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Intensivpfleger erzähltSo war das Corona-Jahr auf der Intensivstation

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Intensivpfleger Sven Mühlan bereitet Bettenplätze auf der Intensivstation im St.-Hildegardis-Krankenhaus vor.

  1. Wie hat Corona die Arbeit auf einer Intensivstation beeinflusst? Welche Anstrengungen waren erforderlich, um Covid-19-Patienten zu betreuen und mit der Ansteckungsgefahr zu leben?
  2. Sven Mühlan ist Leiter der Intensivpflegestation im St. Hildegardis Krankenhaus. Im Gespräch mit der Rundschau erzählt er, wie er sein persönliches Corona-Jahr 2020 erlebt hat.

Köln – „Bei mir begann alles erst im März“, erinnert sich Intensivpfleger Sven Mühlan (40). „Ich kam aus dem Urlaub. Und die erste Mitteilung, die ich am ersten Arbeitstag bekam, war: Herr Mühlan, wir treffen Sie gleich im Corona-Krisenstab.“ Dann ging es auch sofort in die Vollen: Konzepte erarbeiten, um für das Haus die schnellsten und besten Lösungen in der Krise zu finden. „Wir mussten einen Berg an Problemen stemmen, verbunden mit der Sorge: Bekommen wir das alles hin“, erinnert sich Mühlan. Keiner im Team hatte eine Pandemie dieser Art schon einmal miterlebt und konnte somit sagen, was auf das Team zukommt. Viele Fragen stellten sich: Wer kommt? Wie viele werden kommen? Und wie krank sind sie? Dann der Druck, alles viel schneller erledigen zu müssen als man das kannte.

Mühlan lobt sein Team: „Die erfahrenen und jungen Kollegen haben da toll zusammengearbeitet und gute Lösungen gefunden. „Trotz der großen Belastung waren wir kürzester Zeit auf die Covid-Patienten gut vorbereitet“ so Mühlan.

Jeder sei in den vergangenen Monaten auch mal an seinem Limit gewesen. „Ich würde lügen, wenn ich das leugnen würde“, gibt Mühlan zu. Zum Glück gebe es im Team keine Querdenker, lacht der 40-Jährige. Im Gegenteil: Die Kollegen begleiten Äußerungen in den Sozialen Medien, die Corona leugnen oder verharmlosen, mit Bedauern und Kopfschütteln. „Bei all den vorliegenden Fakten und Berichten aus Krankenhäusern der ganzen Welt fehlt mir jegliches Verständnis, wenn Leute sagen: Corona gibt es gar nicht oder die Pandemie werde viel zu sehr dramatisiert.“ In Facebook ist er deshalb auch kaum unterwegs. Aber wenn er mal Aussagen von Corona-Leugnern mitbekomme – im Fernsehen oder in der Zeitung –, dann mache ihn das einfach nur traurig.

Seit dem Frühjahr und bis heute befinden sich alle in einer noch nie dagewesenen Ausnahmesituation auf der Station, die für alle zeitlich und psychisch deutlich belastender war als in all den Berufsjahren davor. Im Sommer hätte man mal kurz durchatmen können wegen der geringeren Zahlen. Aber in der aktuellen zweiten Welle sind deutlich mehr schwere Fälle als im Frühjahr auf der Station. Im Frühjahr waren es die Organisationsaufgaben, um gewappnet zu sein für das, was da zu kommen drohte. Jetzt sei es vor allem die Versorgung der schwerstkranken Covid-Patienten. „Wir haben momentan regelmäßig einen bis vier Patienten, die wir aufgrund von Covid-19 intensiv betreuen müssen“, so der Intensivpfleger.

Die Betreuung eines Covid-Patienten beginnt bereits vor dem Betreten des Krankenzimmers und ist viel zeitintensiver als bei anderen Intensiv-Patienten. Ärzte und Pfleger müssen überlegen: Was will ich tun? Was hat Priorität? Welche Medikamente nehme ich mit? „Man kann eben nicht mal einfach wieder zurückgehen, wenn man etwas vergessen hat. Denn das Anlegen der umfangreichen Schutzbekleidung ist viel zeitintensiver – bis zu fünf Minuten –, als das normalerweise der Fall ist, manchmal nur ein paar Sekunden“, erläutert Mühlan. Durch gegenseitige Kontrolle schützen sich die Kollegen. Zudem ist ein Extra-Spiegel angebracht, um sehen zu können, ob Anzug und Gesichtsschutz, sprich Haube, Maske, Kunststoff-Visier, richtig sitzen. Und je nachdem, was man erledigen muss, dauert die Versorgung eines Covid-Patienten bis zu zwei Stunden.

Komplizierte Hygiene

Das Komplizierte und oft Nervenaufreibende bei einer so ansteckenden Viruserkrankung wie bei Covid-19 ist, die geforderte Hygiene einzuhalten, um sich selbst und andere nicht in Gefahr zu bringen. Konkretes Beispiel: Wenn der Patient beatmet werden muss, wird er intubiert (das Einführen des Beatmungsschlauches), wodurch eine erhöhte Aerosolbildung in der Atemluft des Patienten hervorgerufen wird. Für den Arzt und den Pfleger bedeute das aller höchste Konzentration hinsichtlich des richtigen Sitzes der Schutzkleidung. Dazu der Check, ob auch alles für einen möglichen Notfall dabei ist. Zudem muss draußen eine weitere Kraft als Springer bereit stehen. Ein Covid-19-Patient, der künstlich beatmet werde, binde bis zu drei Pflegekräfte, plus einen Arzt. Das kann eine komplette Besetzung einer Intensivstation sein, erklärt Mühlan die Alltagspraxis.

Angst spielt in der Intensivstation immer eine Rolle – gerade bei der Betreuung von Covid-19-Patienten. Heute weiß man glücklicherweise vielmehr über das Virus als noch am Anfang der Pandemie. „Im Frühjahr hatten wir mangels Erfahrung selbstverständlich viel mehr Respekt bei der Patientenbetreuung als das heute der Fall ist“, so Mühlan. Es wurden daher auf der Station frühzeitig Schulungen mit einem Hygiene-Fachpfleger des Hauses durchgeführt. Er zeigte dem Team, wie man die Schutzkleidung richtig an- und wieder auszieht, um Virenübertragungen möglichst auszuschließen. „So konnten wir den Kollegen Sicherheit geben. Aber ganz beseitigen kann man die Ängste natürlich nicht.“ Alle weiteren Fragen wurden dann intern in vielen Gesprächen besprochen, so der 40-Jährige weiter.

Kliniken helfen sich gegenseitig

In dem Zusammenhang erinnert er sich an die Probleme zu Beginn der Pandemie, als Schutzausrüstungen knapp waren: „Wir waren zwar gut ausgestattet, und die Kliniken haben sich gegenseitig geholfen, wenn es eng wurde. Es war auch nie so, dass wir keine Masken oder Schutzanzüge mehr hatten oder gebrauchte Anzüge desinfizieren mussten. Aber wir haben schon genau hingeschaut, wann wir die Schutzmaterialien wechseln mussten.“ Fertig ausgerüstet war die Intensivstation Ende März, Anfang April. Aber es ging bis in den Sommer hinein, bis alle Abläufe standen und die Ausstattungen komplett waren.

Bei der Frage, was ihm am meisten fehlt nach diesem Jahr, wird Mühlan nachdenklich: Es seien die spontanen sozialen Kontakte, die er vermisse. Einfach mal rausgehen, Leute treffen und abschalten. Zu Hause, nach der Arbeit, versucht er das. Aber gerade die schwer verlaufenen Fälle nimmt jeder mit. Zudem hat jeder in der Station ständig die Sorge, dass sie Angehörige und Freunde anstecken. „Jeder von uns begibt sich daher in eine Art private Isolation und verabredet sich deutlich seltener als vor Corona“, erzählt Mühlan. Jeder gehe damit anders um und verkrafte das unterschiedlich gut. Eine Mitarbeiterin erzählte ihm vor ein paar Wochen, dass sich einige Freunde während der Corona-Krise distanziert haben. Das kommt vor. „Man muss versuchen, den Leuten die Angst zu nehmen“, so Mühlan. Weihnachten habe er mit seiner Mutter mit FFP2-Maske und regelmäßigem Lüften gefeiert. „Wir haben das vorher besprochen. So konnte ich sie mit ruhigerem Gewissen sehen. Und so war es dann auch in Ordnung und trotz allem ein schöner Abend.“

In der Freizeit auch mal Corona ausblenden

Ansonsten fragen ihn natürlich die Mutter, die Freunde oder sonstige Angehörigen regelmäßig nach Corona. Klar sei das Thema, aber er versuche es dann kurz zu halten. „Ganz ehrlich: Wenn ich acht bis zehn Stunden im Dienst war, dann möchte ich auch mal ein bisschen Abstand von dem Thema haben.“

Das Team rede sehr viel und offen über diese Situationen und die damit verbundenen Ängste und Sorgen. Zudem ist da der tägliche Austausch in den Tagesbesprechungen, ansonsten über Mails und Telefon oder Videokonferenzen. Als Leiter der Station ist er zudem im regelmäßigen Austausch mit der Partnerklinik, dem „Severinsklösterchen“, und natürlich im Krisenstab der Stadt vertreten.

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Alle spüren das anstrengende Jahr. Aber das Team und auch die eigene Motivation helfen, um sagen zu können: Wir halten die Qualität, die wir uns erarbeitet haben. Auch wenn die kommenden Monate vermutlich noch einmal sehr hart werden. Ganz besonders bedanken wolle er sich daher bei seinem Intensivpflege-Team, bei der Notaufnahme-Mitarbeitern und bei der Covid-Station „Elisabeth“, die für die Patienten alles möglich mache, was für sie leistbar sei.

Auch die anstehenden Corona-Impfungen werden dabei helfen. „Ein genaues Datum, wann wir geimpft werden, haben wir bislang noch nicht“, sagt Mühlan. Aber die Bestellungen seien bereits erfolgt. Er und sein Team hoffen, dass die Impfungen nun bald losgehen. „Wir stehen ja an der Front des Pandemiegeschehens und bekommen dadurch mehr Sicherheit bei unserer Arbeit.“