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„Nicht als Bettler hier“Bürgermeister von Dnipro spricht in Köln über die Lage in der Ukraine

Lesezeit 4 Minuten
Borys Filatow - Buergermeister von Dnipro

Vergangene Woche war eine Delegation aus der ukrainischen Stadt Dnipro in Köln. Darunter auch Borys Filatow, Buergermeister von Dnipro.

Vergangene Woche war eine Delegation aus der ukrainischen Stadt Dnipro in Köln. Diana Haß sprach mit Borys Filatow (51), dem Bürgermeister der Millionenstadt.

Vor dem Rathaus weht eine ukrainische Flagge.

Das ist toll. Ich war auch am Rhein und habe ukrainische Flaggen an Schiffen gesehen. In dieser Stadt spürt man stark den ukrainischen Geist. Das tut gut.

Was bedeutet die Partnerschaft mit Köln für Ihre Stadt?

Wir sind dafür sehr dankbar. Das Sprichwort „Den wahren Freund erkennst du in der Not“ beschreibt das Verhältnis gut. Die konkreten Hilfen wie Stromgeneratoren und Busse, die wir von Köln bekommen haben, waren eine große Hilfe. Aber noch wichtiger ist uns das Gefühl, dass die Kölner an unserer Seite stehen. Das gibt Kraft und Zuversicht. Die moralische Unterstützung wärmt uns und bedeutet uns sehr viel.

Warum sind Sie persönlich nach Köln gekommen?

Es war für mich nicht leicht, meine Stadt zu verlassen. Aber es ist wichtig, hier Gespräche zu führen. Wir haben viele Vertreter von Organisationen getroffen. Wir haben uns zu Wirtschaftsförderung, Wasserversorgung und Brandschutz ausgetauscht. Wir waren bei Köln Business, der Industrie- und Handelskammer, der Rheinenergie und der Feuerwehr. Wir sind nicht als Bettler gekommen, wir sind als Partner gekommen. Wir sind eine fähige Stadt. Nach dem Krieg wird eine gemeinsame Entwicklung stattfinden. Die muss vorbereitet werden.

In welchen Feldern können Sie sich Kooperationen vorstellen?

Praktisch kann diese Zusammenarbeit in allen Bereichen stattfinden. Durch den Krieg haben wir viele Erfahrungen gesammelt bei der Bewältigung von Krisen- und Katastrophensituationen. Wir wissen jetzt, wie man städtische Netzwerke so aufstellt, dass sie auch beim Blackout und unter außergewöhnlichen Umständen funktionieren. Der Krieg ist immer auch eine sehr konzentrierte Erfahrung. Wir sind mit praktischen Vorschlägen gekommen. In friedlichen Zeiten können wir auf allen Feldern kooperieren – von der Wirtschaft über Industrie bis zum Kulturbereich.

Wie würden Sie Dnipro beschreiben?

Dnipro ist eine moderne Millionenstadt. Rund 100 000 Studierende sind in normalen Zeiten dort. Die Stadt ist in ihrer Geschichte immer wieder wie ein Phönix aus der Asche auferstanden. Es gibt in Dnipro keine Vorurteile gegenüber Religionen, sexueller Identität oder ethnischer Zugehörigkeit. Wir haben die größte jüdische Gemeinde der Ukraine, die eines der größten Kulturzentren der Welt hat. Zehntausende Aserbaidschaner und Menschen aus dem Kaukasus leben in der Stadt. Wir haben die größte armenische Kirche in Osteuropa gebaut. Mehr als 40 Nationalitäten leben respektvoll zusammen, darunter auch eine deutsche Community.

Wie ist das Leben dort derzeit?

Da gibt es so eine Irrationalität. Einerseits gibt es fast so etwas wie ein normales Leben, Menschen gehen zur Arbeit, sitzen in Cafés. Aber fünf- bis sechsmal am Tag ist Luftalarm. Einmal in der Woche gibt es einen Einschlag durch eine Rakete, bei dem Menschen getötet werden.

Wie hat Sie persönlich der Krieg verändert?

Keiner von uns ist mehr der Mensch, der er vorher war. Vor Ihnen sitzt ein hundemüder Mensch. Gestern Nacht gab es vor meinem Hotel in Köln Krach von der Müllabfuhr, da bin ich aufgeschreckt und dachte als erstes an einen Alarm. Meine 28-jährige Tochter lebt in Kiew. Sie meldet sich nach jedem Angriff und sagt, dass es ihr gut geht.

Sie tragen eine Art Militärkleidung.Was hat das zu bedeuten?

Anzug und Krawatte trage ich nicht mehr, seitdem der Krieg begonnen hat. Ich habe ein paar dieser praktischen Hosen, T-Shirt und dieses Funktionshemd. Das Hemd werde ich tragen, bis wir den Krieg gewonnen haben. Diese Art Kleidung macht etwas mit einem, einerseits ist sie praktisch. Sie diszipliniert aber auch und sie lenkt den Blick auf das Wesentliche – durchzuhalten und zu kämpfen, bis wir siegen.

Das hat auch ein bisschen was mit Aberglaube zu tun. Viele Menschen in der Ukraine haben sich etwas Symbolisches überlegt. Es gibt Männer, die den Bart bis zum Sieg wachsen lassen. Ich habe zudem beschlossen, dass ich auf einen bestimmten Aussichtspunkt in Dnipro vor dem Sieg nicht mehr gehe.

Warum das?

Dort haben wir gestanden, als die Front immer näher rückte und wir haben überlegt, was wir sprengen würden, wenn die Russen näher rücken. Wir haben überlegt, wie wir die Stadt evakuieren würden und was wir mit den Hunden machen würden.

Sind Hunde Ihnen wichtig?

Ja. Ich habe selbst sieben Hunde aus dem Tierschutz. Wir hatten überlegt, dass wir Hunden und Katzen im Fall einer Evakuierung im schlimmsten Fall werden etwas Schreckliches antun müssen. Eine fürchterliche Vorstellung. Aber der Krieg ist fürchterlich.

Warum haben Sie ein Trümmerstück aus einem bombardierten Haus mit nach Köln gebracht?

Mir war wichtig, den Krieg, das Leid und die Zerstörung sichtbar und greifbar zu machen. Reale Objekte werden immer wichtiger in einer Welt, in der es so viel Virtuelles gibt. In dem eingestürzten Haus sind 46 Menschen begraben worden.