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JamestownKölner Hecht im New Yorker Haifischbecken

Lesezeit 4 Minuten

Dieser Wolkenkratzer gehört zum Immobilienfonds.

Köln – Der schmale Wolkenkratzer am Anfang des Times Square, dessen Fassade von leuchtenden Reklametafeln beherrscht wird, ist auf der ganzen Welt bekannt. Und er hat Geschichte: Bei seiner Fertigstellung 1905 war das damalige Verlagsdomizil der New York Times mit 110 Metern eines der höchsten Gebäude Manhattans. Heute stehen 22 der 25 Stockwerke leer. Trotzdem wirft die Immobilie jährlich Millionen ab – als eine Art moderne Litfaßsäule. Mancher hat sich gewundert, als der Kölner Christoph Kahl das Haus für 120 Millionen Dollar kaufte. Und staunte erst recht, nachdem Kahl die Mieteinnahmen verdoppeln und den Wert des Hauses vervierfachen konnte.

Als der Gründer und geschäftsführende Gesellschafter des Unternehmens Jamestown das Gebäude an der Kreuzung von Broadway und 7. Avenue 1996 für das Portfolio eines von ihm aufgelegten Immobilienfonds erwarb, hat mancher Branchenexperte den Kopf geschüttelt. Der Ruf des New Yorker Theaterviertels hatte stark gelitten, viele Musicalhäuser waren geschlossen oder von billigen Kinos verdrängt worden. Nicht wenige Gebäude standen leer, und die Kriminalitätsrate war ebenso beachtlich wie der Preis, den Lehmann Brothers für das Gebäude aufriefen – schließlich konnte schon damals ein Großteil der Büroetagen wegen der riesigen Werbetafeln vor den Fenstern kaum genutzt werden.

Aber ein großes Sanierungsprogramm für den Stadtteil zeigte erste Früchte. Und Kahl sah die Masse von Passanten auf dem Times Square, täglich eine halbe Million Menschen, die den Blick vor der dampfenden Nudeltasse von Nissin an der Spitze des Gebäudes gar nicht verschließen konnten. Als nach zehn Jahren ein Großteil der Verträge für die Reklametafeln auslief, verlangte Kahl einen ordentlichen Aufschlag. Dennoch wurden alle Verträge verlängert. Und heute leuchten sogar noch mehr Werbebotschaften an dem Turm, an dem seit 1928 ein Nachrichtenband von Dow Jones auch die Börsenkurse verkündet.

Kahl kam mit vier Jahren nach Köln und studierte hier nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre. Seit 1979 widmet er sich – zunächst als Selbstständiger, später als Firmengründer – ausschließlich Gewerbeimmobilien in den Vereinigten Staaten als Renditeobjekte für deutsche Anleger. Er suche nach Immobilien, in deren wirtschaftlicher Nutzung er noch Luft nach oben sehe, entwickele sie wertsteigernd weiter und verkaufe sie nach etwa zehn Jahren mit Gewinn, erklärt der Geschäftsmann seine Profession. Dass er ein Gespür für chancenreiche Objekte hat, beweist dabei nicht nur der One Times Square.

Als Anfang des vergangenen Jahrzehnts die Immobilienpreise in den Himmel stiegen, hat Kahl den Absturz schon vorausgesehen. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise hat er mehr als 70 Prozent des Jamestown-Bestands mit deutlichem Gewinn für etwa fünf Milliarden Dollar veräußert. 36 Fonds habe er in über drei Jahrzehnten aufgelegt, „und keiner war ein Flop“, sagt der 60-Jährige. Natürlich habe auch er schon mal Verluste gemacht, zum Beispiel mit einem noch bis 2018 laufenden Fonds. „Aber wenn das so ist, teilen wir das unseren Anlegern unumwunden mit und arbeiten daran, das wieder auszugleichen.“

In Köln gehöre ihm lediglich sein Wohnhaus, keine fünf Minuten von der Unternehmenszentrale an der Marienburger Straße entfernt. Habe ihn die Stadt am Rhein denn nie als Immobilienstandort gereizt? „Ich kenne mich besser auf dem amerikanischen Markt aus, das ist eine größere Spielwiese oder ein größeres Haifischbecken – wie Sie wollen – und ich habe da alle Hände voll zu tun“, sagt Kahl. Ob er denn mal darüber nachgedacht habe, seinen Lebensmittelpunkt in die Staaten zu verlegen? „Meine Familie lebt hier, meine Frau und meine vier Kinder. Und eine Woche im Monat bin ich in den USA – ich habe das Beste von beiden Welten“, antwortet er.

Entgegen seinem Prinzip hat er sich von dem Hochhaus am Times Square Nr.1 auch nach über einem Jahrzehnt noch nicht getrennt. Und er will die Immobilie, deren Wert er heute auf rund 500 Millionen Dollar schätzt, auch nach 20 Jahren nicht verkaufen. Obwohl auch weiterhin nur die ersten drei Stockwerke genutzt werden sollen – als Filiale der Apotheke Walgreens. Aber die LED-Technik schreitet weiter voran, und noch sieht Kahl nicht sämtliche Möglichkeiten ausgereizt. „Künftig können wir die gesamte Fassade mit einem Bild bespielen oder minutenweise die Werbung wechseln“, sagt er.

Für ein Gebäude wie das One Times Square eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten. Am 31. Dezember sind jedes Jahr die Augen von vielen Millionen Menschen in Amerika und auf der ganzen Welt auf das Haus gerichtet, senkt sich an seiner Spitze doch bereits seit 1907 zum Jahreswechsel eine Weltkugel am Fahnenmast herab. Der so genannte „Ball Drop“ beginnt 60 Sekunden vor Mitternacht und wird von einer Million Amerikaner auf dem zur Partymeile verwandelten Times Square und vielen Millionen Fernsehzuschauern am Bildschirm verfolgt – ein riesiges Publikum auch für die Reklametafeln. Die Werbeminute um kurz vor zwölf könnte kaum wertvoller sein. Kahl: „Da steckt noch einiges drin.“