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Mitarbeiter auf Kölner Intensivstation„Ich kann Corona-Leugner nicht mehr ertragen“

Lesezeit 8 Minuten

Für den Umgang mit der „künstlichen Lunge“ ist viel Erfahrung notwendig.

Köln – Wenn die Lunge durch Covid so geschädigt ist, dass eine konventionelle Beatmungstherapie nicht mehr genügt, ist die „künstliche Lunge“ die einzige Hoffnung. Das ECMO-Zentrum (Extra-Corporale-Membran-Oxygenierung) der Lungenintensivstation in Merheim gehört zu den führenden deutschen Zentren. Vier Mitarbeitende erzählen Diana Haß von ihrer Arbeit.

Taina Pommeranz, Stationsleiterin: Für die Patienten bei uns steht das Leben immer auf Messers Schneide. Zu Beginn sind viele tief sediert, also praktisch im künstlichen Koma und schweben zwischen Leben und Tod. Und sie bleiben oft sehr lange bei uns. Zum Teil mehrere Monate.

Anna-Elena Schmidt, Krankenpflegerin: Durch die vielen Geräte, die bei uns im Einsatz sind, ist es teilweise sehr laut auf der Station. Wenn man da lange arbeitet, weiß man schnell, welcher Alarmton zu welchem Gerät gehört. Aber man hört tagtäglich etwas bimmeln, das zehrt schon echt an einem. Man hat halt immer alle Sinne offen.

Anna-Elena Schmidt, 28, Gesundheits- und Krankenpflegerin.

Dadurch, dass die Patienten so lange bei uns sind, erfahren wir viel über sie. Und zwar durch die Angehörigen. Einige Patienten liegen in Einzelzimmern, die werden dann mit Dingen von zuhause dekoriert. Mit Karten, Bildern, Fotos. Aber auch in den Doppelzimmern sind die Bettplätze häufig etwas personalisiert. Bevor ich etwas am Patienten mache, spreche ich ihn an und berühre ihn auch kurz an der Schulter oder am Arm.

Tobias Herbers, Fach- und Notfallarzt: Die Patienten haben einen Schlauch vom Umfang eines Gartenschlauchs in der Leiste. Von dort geht das Blut in ein Gerät, das den Gasaustausch, der normalerweise in der Lunge stattfindet, übernimmt. Dann führt ein weiterer Schlauch im Bereich des Oberkörpers das Blut wieder in den Körper zurück. Für gute Arbeit mit der ECMO ist viel Erfahrung notwendig. Die Lungen-Intensivstation (LUITS) hatte zu Beginn der Pandemie von zehn auf 14 Intensivplätze aufgerüstet. Davon verfügen acht über eine ECMO-Möglichkeit.

Dr. med. Tobias Herbers, 35, Facharzt für Innere  und Notfallmedizin.

Derzeit werden wieder zehn Intensivplätze betrieben sowie zehn Plätze im sogenannten Low-Care Bereich. Für mehr fehlt das Personal. Besetzt sind die ECMO-Plätze eigentlich immer. Wenn jemand verlegt wird oder verstirbt, rückt auf der Stelle jemand nach. Die ganze Pandemie über gab es eine Warteliste aus ganz NRW. Wir schauen dann, wer die meisten Aussichten auf Erfolg hat. Priorisierung. Die Patienten sind meistens zwischen 30 und 50 Jahre alt. Etwa 40 Prozent der Patienten auf der LUITS in Merheim versterben trotz ECMO-Therapie. Das ist im deutschlandweiten Vergleich sehr gut. Teilweise wird von einer Sterblichkeit von bis zu 75 Prozent gesprochen.

Bianca Benthues, Intensiv-Krankenschwester: Wir telefonieren sehr häufig mit den Angehörigen, da erfährt man viel über die Patienten. Ich finde nicht, dass es schwerfällt, den Menschen hinter dem beatmeten Patienten zu sehen.

Bianca Benthues, 30, Intensiv-Fachkrankenschwester auf der LUITS.

Man spürt die Körperwärme und man sieht die Atmung. Wenn es ans Wachwerden geht, gibt es manchmal Augenblinzeln oder eine Verstärkung des Herzschlags. Es ist schön zu sehen, wie der Mensch reagiert.

Pommeranz: Man behandelt den Patienten wie einen wachen Patienten. Weil wir ja auch gar nicht genau wissen, was sie wahrnehmen. Für mich ist das immer ein ganz besonderer Moment, wenn wir einen Sprechaufsatz auf die Kanüle zur Beatmung setzen. Ohne diesen Sprechaufsatz können die Patienten nicht reden. Dann kommt das erste Räuspern und der erste Ton – nach Monaten.

Schmidt: Das ist immer ein schöner Moment. Manchmal freuen wir uns dann mehr als die Patienten.

Pommeranz: Kürzlich habe ich einem Patienten, der schon seit Monaten bei uns lag, einen Spiegel gegeben. Der hat sich nach Monaten zum ersten Mal wieder selbst wahrgenommen. Wir versuchen, so behutsam wie möglich mit den Angehörigen umzugehen und sie vorzubereiten. Die sind völlig beeindruckt von den ganzen Apparaten. Unsere Arbeit ist nicht nur Patientenpflege, auch Angehörigenpflege. Die bedürften viel mehr, gerade in der Verzweiflung.

Taina Pommeranz, 37, Stationsleitung und Fachkrankenschwester.

Sie fühlen sich ja auch mit Leben und Tod konfrontiert. Das braucht Empathie. Wir müssen sie da abholen, wo sie stehen. Wir handhaben das ganz individuell mit den Besuchen von Angehörigen. Nichts ist schlimmer als seinen Mann, seine Frau oder sein eigenes Kind in der Sterbephase nicht zu begleiten. Wir finden es sehr wichtig, dass Angehörige in der Sterbephase dabei sein können.

Herbers: Das geht manchmal sehr unter die Haut. Wenn ich beispielsweise in das Zimmer eines Mannes Anfang 30 komme, also so alt wie ich selbst. Und das Fenster ist vollgeklebt mit den Bildern, die sein zweijähriger Sohn gemalt hat, die Ehefrau am Bett Sprachnachrichten abspielt, man Hochzeitsfotos der Familie am Fenster kleben sieht, dann schluckt man schon. Ich bin in den letzten Monaten teilweise weinend nach Hause gefahren und habe gedacht: Das ist alles so unnötig! Das ist auch der Grund, warum ich meine Stelle auf 50 Prozent reduziert habe – zu 100 Prozent hätte ich das nicht mehr lange ausgehalten.

Schmidt: Schlimm ist, dass sich der Verlauf bei Corona sehr oft ändert. Da sieht es heute so aus, als würde es bergauf gehen mit einem Patienten und am nächsten Tag ist alles wieder zunichte. Man ist halt irgendwann nur noch frustriert. Man fragt sich: Was kann ich nur machen, damit es endlich bergauf geht?

Pommeranz: Wir versuchen die Patienten an der ECMO wachwerden zu lassen. Wir versuchen sie spontan zum Atmen zu bekommen und lassen die ECMO noch drin. Diese Phase, bevor man die ECMO ziehen kann, das ist völlig unterschiedlich. Das können Tage sein, Wochen, aber auch Monate. Es gibt gerade bei Covid einen extrem langsamen Verlauf. Den Patienten geht es mal besser, und dann fallen sie wieder in so ein tiefes Loch rein. Und dann fängt man wieder bei Null an. Und das ist ganz häufig.

Benthues: Covid ist so vielfältig. Das zehrt schon sehr an den Nerven. Das belastet. Wir können auch den Angehörigen nicht sagen, was normal ist. Das ist sehr komplex bei Covid.

Schmidt: Nach fast jedem Dienst bin ich so kaputt, dass ich erstmal ein Nickerchen brauche und durch den permanent höheren Lärmpegel auf der Arbeit, habe ich es in der Freizeit dann eher ruhig. Ich spiele Volleyball, um mich abzureagieren. Das ist mir extrem wichtig. Durch die Regelmäßigkeit des Trainings stellt meine Mannschaft das größte Ventil zum Stress- und Frustabbau dar und die machen das auch mit, wofür ich den Mädels sehr dankbar bin. Aber natürlich helfen auch Treffen mit Familie und Freunden.

Benthues: Die Arbeit auf der Station ist anstrengender geworden, physisch wie auch psychisch. Darum schätze ich die Ruhe um mich herum. Freizeitstress versuche ich zu umgehen. Ich habe ein Pferd und genieße die Zeit mit ihm, das lässt mich immer gut von meiner Arbeit abschalten.

Pommeranz: Ich gehe mit dem Hund in den Wald. Und ich vermeide Radio oder Fernsehen. Ich kann keine Corona-Leugner mehr ertragen. Wenn man tagtäglich damit konfrontiert wird, was für junge Menschen da liegen, dann kann ich die Corona-Leugner echt nicht mehr verstehen. Die belügen sich ja nicht nur selbst, sondern die Gesellschaft gleich mit. Mit eigenen Augen zu sehen, was passieren kann, ist noch immer eine andere Nummer, als zu hören oder zu lesen, was passieren kann.

Schmidt: Das Fenster zu öffnen, wenn jemand verstorben ist, geht nicht bei uns, was ich sehr schade finde. Ich persönlich mache ein Kreuzzeichen. Jeder macht das auf seine eigene Art. Bevor ich die Angehörigen ins Zimmer rufe, lege ich die Hände des Verstorbenen übereinander.

Benthues: Ich denke, uns ist es allen wichtig, dass die Patienten, besonders für die Angehörigen, sauber aussehen. Bei Bedarf wird der Patient noch einmal gewaschen, ein neues Hemd angezogen oder das Bett frisch bezogen, damit sich die Angehörigen so gut wie möglich verabschieden können.

Pommeranz: Wir versuchen alles, dass der Mensch würdevoll sterben kann. Wenn wir wissen, dass wir das letzte für ihn getan haben, was machbar ist, dann können wir damit auch ganz gut abschließen. Wir versuchen auch, den Angehörigen Zeit zu geben. Obwohl schon der nächste Patient auf die ECMO wartet.

Herbers: Derzeit sind etwa zwei Drittel der Patienten bei uns ungeimpft. Anfangs waren das mehr. Seitdem sich die Impfstoffsituation geändert hat, hat sich meine Einstellung diesbezüglich geändert. Am Anfang konnte man sagen: Das ist so schlimm, was hier passiert! Jetzt, wo sich jeder impfen lassen kann, denke ich mehr: Das Leid dieses Patienten ist so unnötig! Ich kann einfach nicht mehr über Impfungen diskutieren. Ich sehe, was viele Leute nicht sehen und das nahezu Tag für Tag. Da bekommt man das, was dutzende Studien schon bewiesen haben, täglich vor Augen geführt: Die Impfung vermindert das Risiko einer Intensivaufnahme unwahrscheinlich.

Schmidt: Mittlerweile ist bei mir schon etwas Groll da. Das kommt aber nur kurz auf, und dann ist es auch vom Tisch. Die Patienten behandle ich deshalb nicht schlechter oder weniger empathisch.

Benthues: Genau, es gibt bei mir auch Unverständnis. Ich denke mir: Versteht es doch langsam mal. Aber die Ungeimpften erhalten die gleiche Behandlung und die gleiche Fürsorge.