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Einsame KlasseAlltag mit viel Abstand am Erich-Gutenberg-Berufskolleg

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Vereinzelt können Schüler in einer Klasse alleine arbeiten.

Köln – Mathelehrer Daniel Schellberg sitzt allein in der verwaisten Berufsfachschul-Klasse, Raum 215, und spricht ins Laptop-Mikro vor sich auf dem Pult. „Lukas Podolski ist doch wohl allen ein Begriff?“, fragt er in die Stille. „Sprechen Sie mit mir!“, ermuntert er, sich zu beteiligen. Es kostet die Schüler am anderen Ende der Leitungen etwas Überwindung, bis sie sich in der Videokonferenz von Zuhause aus melden. „Wer verbindet damit mehr als nur Fußball?“, bohrt Schellberg nach. Die ersten trauen sich: „Der hat einen Dönerladen“ - „und eine Eisdiele, der ist Unternehmer.“ Es läuft. Die Jugendlichen sind leibhaftig weg, aber digital im Distanzunterricht voll da, geschrumpft auf Videos im Bildschirmformat.

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Der Schulleiter hält Kontakt per PC zum Kollegium.

Nicht nur die Wirtschaftsstunde läuft virtuell: Das Erich Gutenberg-Berufskolleg (EGB) hat die komplette analoge Stundentafel 1:1 mit der Teams-Software in den Distanzunterricht übertragen. So weiß jeder, wann was auf dem Plan steht.

Das Buchheimer EGB ist eine der größten Schulen Kölns mit rund 2000 Schülerinnen und Schülern, 105 Lehrkräften  – und wirkt in Corona-Zeiten wie ein ziemlich vereinsamter Ort. Keiner mehr da? Nicht ganz. Das weitläufige  Foyer  ist unheimlich still und leer, aber im Lockdown nicht fluchtartig verlassen wie „The Day After“.   In der unsichtbar ablaufenden digitalen Parallelwelt hat alles  weiter seine Ordnung.

Hausmeister hat freie Bahn

Allein auf weiter Flur kehrt in der Eingangshalle gerade ein Mann die letzten Nadeln des abgeschmückten Weihnachtsbaums zusammen. Trist findet Hausmeister Wolfgang Knappe  die Atmosphäre nicht, auch wenn er den persönlichen Kontakt vermisst. Denn er hat  vorübergehend freie Bahn. „Arbeit gibt’s genug und ist ohne den Betrieb teilweise besser zu erledigen“, sagt er. Grünpflege   koordinieren, in der Turnhalle die Wasserspülung erneuern, seine Loge einrichten  zum Beispiel.

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Kein Gedränge im Foyer, der Hausmeister hat freie Bahn.

Vor Ort in der Schule laufen  täglich eigentlich nur vier Dinge, beschreibt  EGB-Schulleiter Dr. Rolf Wohlgemuth sein Gefühl beim Berufsalltag auf Distanz: „Schulleitung, Sekretariat,  Hausmeister und  Kaffeemaschine. Alle anderen sind auf Besuch hier.“  Und der ist an einer Hand abzuzählen. Dass die vielfach ausgezeichnete, smarte  Schule mit ihren digitalen Konzepten so schnell in der virtuellen Zukunft gelandet ist,  hätte er  nie gedacht. „Dabei haben wir  schon 2016 angefangen,  Home-Schooling-Tage einzuführen. Gerade für Berufskolleg-Absolventen werden Homeoffice-Kompetenzen immer relevanter.“ Das ist jetzt kein Modell mehr, sondern plötzlich Realität, mit der viele weniger gut aufgestellte Schulen  sehr zu kämpfen haben.

Wohlgemuth blickt aus seinem Bürofenster  genau aufs Eingangstor des Buchheimer Berufskollegs. In Pausen knubbeln sich direkt vor dem Schulgelände normalerweise viele Jugendliche – ohne Masken, mit Zigaretten. „Ich bin heilfroh und unglaublich entlastet, dass ich das im Moment nicht sehen muss“, sagt er. „Ich hatte schon fünf Mal das Ordnungsamt alarmiert.“   Die Gefahr, sich mit Covid 19 zu infizieren, sei nun auf ein Minimum reduziert. Beim Präsenzbetrieb kurz vor den Weihnachtsferien sah das noch anders aus.

Ins Arbeitszimmer klicken

Am Schulleiter-PC laufen alle digitalen Fäden von den Schreibtischen der Lehrkräfte aus zusammen. Er kann sich über die Teams-Software zu allen in die privaten Arbeitszimmer klicken, gezielt nachhören, Besprechungen durchführen. „Ich bin der Lehrer, der im Moment am wenigsten zu tun  hat. Für die Kollegen ist es sehr anstrengend, sechs Stunden Unterricht am Monitor auf Distanz, und danach muss alles sehr genau vorbereitet werden, damit es online läuft. Alle sind extrem gefordert“, so Wohlgemuth.

Viele haben nach den ersten Tagen mit dem virtuellen, pädagogisch weniger geschätzten Frontalunterricht zunehmend auf   Gruppenarbeit umgestellt, damit Teamwork auch ohne persönliche soziale Kontakte nicht ganz wegfällt. Die Organisation ist aufwendig. Für  Schüler ohne Tablets stellt die Schule Ausleihgeräte bereit. Außerdem gibt es für einen Teil der Jugendlichen ein Smartphone-Konzept, zum Beispiel für die Internationalen Flüchtlingsklassen. Wer zuhause kein WLAN und keinen Drucker hat, der kann in die Schule kommen und sich die Blätter abholen. Vertretungslehrerin Hicret Aslan koordiniert die  Materialausgabe. „Es ist alles ungewohnt. Aber es ist toll, dass die Schüler trotz der Umstände so gut wie möglich daran teilnehmen können“, sagt sie. Täglich sind ein, zwei Schüler vor Ort, die in einer „eigenen“ leeren Klasse am Laptop  lernen.

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Fast wie ausgestorben  wirkt das „EGB“, eine der größten Schulen Kölns.

Dabei wird niemand allein gelassen. Schulsozialarbeiterin Marion Müller hält Kontakt, trifft Absprachen für Praktika oder Berufsvorbereitungen für Förderschüler, gibt Geräte aus. Und die beiden Schulsekretärinnen finden die Schule gerade gar nicht so verwaist. Kollegen kommen gerade punktuell rein, um Zeugnisnoten einzutragen. „Und das Telefon klingelt wie jeck, wir müssen viel umstellen, bescheinigen “, zählt Anja Zoni auf.  Wünschen würde sie sich „eine bessere Unterstützung durch die Stadt als Arbeitgeber, im Homeoffice zu arbeiten“.

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Ein kurzes Wiedersehen auf Abstand gab es zu den Halbjahreszeugnissen. Die  Übergabe fand am letzten Freitag im Januar im EGB statt. In letzter Zeit mit Abstand das  Persönlichste.