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Hilfe in KölnBesondere Kooperation unterstützt Geflüchtete mit LGBT*I*Q-Hintergrund

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Meike Nienhaus (li.) und Claudia Schedlich.

Köln – Das Caritas Zentrum für Opfer von Folter und Flucht (CTZ) und Rubicon, eine Beratungsstelle für queere Menschen, kooperieren, um Geflüchteten zu helfen. Gabi Bossler bekam im Gespräch mit Claudia Schedlich und Meike Nienhaus einen Einblick ins erste halbe Jahr einer ungewöhnlichen Partnerschaft.

Ein katholischer Träger und eine Beratungseinrichtung für Menschen mit LSBT*I*Q-Hintergrund arbeiten zusammen. Gab es Herausforderungen?

Claudia Schedlich: Die Caritas ist in Sachen Diversity sehr offen und übt Kritik dran, wenn bestimmte Gruppen ausgeschlossen werden. Deshalb hängt eine Regenbogenfahne am Geschäftsgebäude des Caritasverbandes. Trotzdem waren wir sehr erstaunt, dass es überhaupt keine problematisierenden Rückfragen gab. Nur: ja gut, machen wir. Für meine Corporate Identity ist das gut. (lacht)

Meike Nienhaus: Für viele unserer Mitarbeitenden war das schon ein Weg. An unsere Beratung wenden sich auch Menschen, die in kirchlichen Einrichtungen arbeiten. Sie wollen heiraten, verlieren dadurch aber in kirchlichen Einrichtungen ihre Arbeitsstelle. Auch in Beratungen von Nicht-Geflüchteten ist Diskriminierung in kirchlichen Institutionen weiterhin immer wieder ein Thema.

Da mussten die Mitarbeitenden zuerst auf der menschlichen Ebene zusammenfinden...

Schedlich: Das war eine wichtige Grundlage. Wir haben unsere Mitarbeitenden – je zwölf vom CTZ und von Rubicon – zusammengebracht und sind in einen sehr persönlichen Austausch gegangen. Auch darüber, was unserer Arbeit ausmacht und was die Herausforderungen sind. Wenn man die Kooperationspartner so intensiv kennenlernt, ist es eine ganz andere Sache, Klienten an sie zu verweisen. Wir arbeiten ja mit Menschen, die mit Institutionen extrem schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Nienhaus: In unserer Arbeit kann es schnell zu Krisensituationen bei den von Gewalt oder massiver Ausgrenzung betroffenen Menschen kommen. Deshalb ist Vertrauen untereinander sehr wichtig. Das ist jetzt da.

Wieso macht die Zusammenarbeit von so unterschiedlichen Institutionen Sinn?

Nienhaus: Schätzungsweise fünf bis zehn Prozent der 7000 Geflüchteten, die in Köln leben, sind LSBT*I*Q. Viele haben massive Bedrohungen aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Vielfalt erfahren. Das sind mindestens 350 Menschen. Und es gibt eine Dunkelziffer, weil sich manche schämen, den Grund offen zu nennen. Viele dieser Geflüchteten wurden in ihren Ländern verfolgt und waren auch während ihrer Flucht gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt – besonders Minderjährige, die alleine geflohen sind. Wir können die Menschen in Sachen Coming-Out oder Stärkung ihrer persönlichen Ressourcen beraten. Aber wir haben gemerkt, da ist etwas im Raum, an das wir nicht rankommen.

Schedlich: Unter Traumen leiden rund die Hälfte der Geflüchteten – das sind rund 3500 Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Betroffene mit LSBT*I*Q-Hintergrund machen während ihres Asylprüfungsverfahrens teils weitere traumatisierende Erfahrungen. Etwa wenn ihr Fluchtgrund nicht anerkannt wird. Deshalb gab es einen fachlichen Austausch schon vorher, aber nicht annähernd in diesem Umfang. Und in dieser persönlichen Qualität. Auch von wechselseitigen Schulungen, etwa zur Entstehung von Traumen oder zum Thema „Was heißt es, trans zu sein?“, profitieren die Mitarbeitenden nachhaltig.

Wie kommen die Menschen zu Ihnen?

Nienhaus: Oft verweisen die Mitarbeitenden von Geflüchteteneinrichtungen die Betroffenen zu uns. Derzeit werden Geflüchtete mit LSBT*I*Q-Hintergrund meist zusammen mit Menschen aus ihrem Herkunftsland untergebracht. Aber sie sind ja geflohen, weil sie dort nicht mehr sicher leben konnten. Deshalb ist die gemeinsame Unterbringung für sie brandgefährlich. Es gibt 26 Plätze für sie in einer gesonderten Unterkunft. Doch die reichen bei Weitem nicht aus.

Große Bandbreite geschlechtlicher Orientierungen

Die Versalien LSBT*I*Q stehen für eine sexuelle und geschlechtliche Orientierung: lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell und queer. Die Sternchen signalisieren, dass es in den Bereichen transsexuell und intersexuell eine große individuelle Spannbreite gibt. „Queer“ ist ein Oberbegriff für alle sexuellen Orientierungen, die nicht heterosexuell sind.

Die Todesstrafe droht Menschen bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen in elf Ländern, Haftstrafen bis zu acht oder zehn Jahren in 57 Ländern (etwa in Syrien, Marokko, Tunesien).

Caritas Zentrum für Menschen nach Folter und Flucht: Hier erhalten Betroffene psychologische und soziale Beratung, Psychotherapie und Vermittlung in weiterführende Hilfen. Leiterin des 1985 gegründeten Zentrums ist Claudia Schedlich. Das Team wird durch Ehrenamtliche ergänzt, die Geflüchteten zahlreiche Hilfsangebote machen.

www. caritas-therapiezentrum.de

Rubicon bietet für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queer lebende Menschen jeden Alters Beratung, Gesundheitsförderung und Unterstützung in nahezu allen Lebensbereichen. Das Spektrum reicht von der Telefonberatung bis zu regelmäßigen Gruppentreffen. Geschäftsführerin von Rubicon ist Meike Nienhaus.

www. rubicon-koeln.de

Die Angebote der Zentren sind kostenlos. Sprachmittlung ist nach Absprache möglich. (bos)

Schedlich: Zu uns kommen auch sehr viele traumatisierte Jugendliche, die allein geflohen sind, teils auch wegen ihrer geschlechtlichen Orientierung. Aber wir haben nur 60 Behandlungsplätze hier im CTZ. Und eine Wartezeit von ungefähr zwei Jahren. Externe Therapieplätze mit Traumaspezialisierung zu finden, ist extrem schwierig. Dazu kommen die Sprachbarrieren, langwierige Beantragungsprozesse für Sprach- und Kulturmittlung und die oft auf zwölf Stunden begrenzte Therapiedauer.

Gibt es kurzfristig Hilfe?

Nienhaus: Wir haben jetzt auch Stabilisierungsgruppen speziell für Geflüchtete mit LSBT*I*Q Hintergrund. Damit soll Menschen mit ähnlichen traumatischen Erfahrungen die Wartezeit auf einen Therapieplatz erleichtert werden.

Schedlich: Parallel dazu versuchen wir, ihnen mit einem 15-stündigen Kompaktangebot eine Perspektive und Hoffnung zu geben, dass es psychotherapeutische Hilfe bei uns gibt. Und dass sie helfen kann.