Vandalismus und Verrohung machen auch vor Kirchentüren nicht Halt. Die Romanischen Kirchen in der Innenstadt könnten ohne freiwillige Helfer schon lange nicht mehr offen bleiben. Zwei Ehrenamtler erzählen, was sie erlebt haben und warum ihnen die Arbeit Spaß macht.
Kölns romanische KirchenDie „Türöffner des Herrn“ – zwei Ehrenamtliche berichten

Hans-Otto Brinkkötter öffnet das schmiedeeiserne Tor in St. Aposteln.
Copyright: Costa Belibasakis
In den Cafés rund um St. Aposteln ist an diesem Morgen schon jede Menge los. Die Straßenreinigung beendet gerade ihre Arbeiten. Die Einkaufsstraßen drumherum erwachen langsam zum Leben. Erste Geschäfte öffnen ihre Türen.
Und auch Hans-Otto Brinkkötter öffnet ein großes schmiedeeisernes Tor. Allerdings jenseits des Trubels der Stadt, in der Basilika St. Aposteln. „Ich bin ein Türöffner“, sagt er und lacht. Der 83-Jährige engagiert sich seit zwei Jahren ehrenamtlich beim Kirchenempfangsdienst. Dessen Motto lautet „Räume öffnen“ - und genau das sieht Brinkkötter als seine Aufgabe. „Ich gehe auf die Besucher zu, heiße sie willkommen und frage, ob ich ihnen helfen kann“, beschreibt der Volljurist seinen Dienst in der Kirche. Bis zu seiner Rente arbeitete er als kaufmännischer Angestellter in Mannheim. Vor vier Jahren zog er der drei Enkelkinder wegen in die Domstadt. Nun ist er an drei Tagen Taxifahrer für den Nachwuchs, spielt auch gerne mal eine Runde Skat, aber der Empfangsdienst passte zeitlich noch perfekt rein.
Viel Wissen angeeignet
„Das Erfüllende ist das Gespräch mit den Menschen aus verschiedenen Kulturen“, sagt Brinkkötter, der Englisch, Italienisch und Französisch spricht. „Die ganze Welt ist hier zu Gast.“ Aber natürlich gebe es auch einheimische Stammgäste, die jede Woche kämen, vor allem wenn draußen auf dem Vorplatz Markt ist. Besonderen Spaß hat er, wenn kleine Kinder kommen und ihn zum Beispiel nach dem rot-gelb-gestreiften Schirm im Altarraum fragen. Der kegelförmige Seidenschirm trägt viele Namen wie Basilikaschirm oder Umbraculum und wird bei Prozessionen zum Schutz der Priester genutzt.
Dabei handelt es sich um ein vom Papst verliehenes Ehrenzeichen für den Rang einer Basilica Minor. Brinkkötter kann den Besuchern über die Säulen ebenso etwas berichten wie über die Statuen. Er kennt sich aus. Nicht nur, weil er Katholik ist, sondern auch weil er sich viel Wissen angeeignet hat. „Denn wenn man's nicht weiß, sieht man's auch nicht“, ist er überzeugt. Also gibt er gerne die ein oder andere Geschichte weiter, wenn die Menschen interessiert sind.

Für die Prozession: die Stange mit dem Glöckchen (Tintinnabulum) und der kegelförmige Seidenschirm.
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„Man muss nur offen und kommunikativ sein“, sagt Brinkkötter über die Voraussetzungen für sein Ehrenamt. Dann ergebe sich schon ein Gespräch. Wenn er nach seinem zweieinhalbstündigen Dienst zu seiner Frau heimkommt, mit der er in Dom-Nähe wohnt, berichtet er ihr begeistert von all den Kontakten und Erlebnissen mit den Menschen. „Es sind viele Banalitäten, aber die machen ja das Leben aus.“
Gerade kommt eine kleine Gruppe Menschen in die Kirche. Brinkkötter geht auf sie zu und heißt sie willkommen. Als er merkt, dass sie kein Deutsch sprechen, wechselt er ins Englische: „Where are you from?“ Nach einem kleinen Gespräch zeigt er ihnen auf einem Stadtplan noch die anderen romanischen Kirchen und erklärt, weshalb sie unbedingt noch einmal für einige Tage nach Köln kommen und auch diese besuchen sollten.
Rund 220 Ehrenamtliche engagieren sich bereits
„Wir haben so kostbare Kirchräume in Köln, vor allem unsere romanischen Kirchen“, sagt Domkapitular Pfarrer Dr. Dominik Meiering. „Wir müssen gewährleisten, dass diese geöffnet sind.“ Der leitende Pfarrer in der Innenstadt weiß, dass dies nur mithilfe zahlreicher Ehrenamtler funktioniert. „Ein Security-Dienst wäre nicht zu bezahlen und ist ja auch nicht das, was wir wollen.“
Stattdessen geht es um das Willkommen-heißen der Gäste im Kirchraum. Seit 2018 sorgen die ehrenamtlich Engagierten dafür, dass Touristen und Einheimische tagsüber die Kirchen besuchen können und einen Ansprechpartner haben. Das stetig wachsende Team besteht zurzeit aus rund 220 Menschen und kann elf der zwölf großen romanischen Kirchen mit seinem Einsatz offenhalten. Bedarf hätten sie aber für 350 Helfer, sagt Meiering. Wer sich also engagieren möchte, ist herzlich willkommen (siehe Infokasten).
Voraussetzungen gibt es keine, man muss noch nicht einmal katholisch sein, nur „eine Liebe zu Menschen haben“, sagt Meiering und betont die Wichtigkeit des Dienstes. Denn er ist der Meinung: „Wer Kirchen abschließt, der sorgt dafür, dass Menschen mit der Kirche abschließen.“ Die Ehrenamtlichen werden eingewiesen, erhalten Führungen durch die Kirchen und tauschen sich bei Treffen untereinander aus. Außerdem werden sie geschult, beispielsweise im Umgang mit schwierigen Menschen, auch Vandalismus und Diebstahl sind ein Thema. Mit dabei sind ganz unterschiedliche Leute, viele Rentner, aber auch Jüngere. Und jeder macht den Dienst auf seine Weise. Bei manchen steht das Religiöse im Vordergrund, bei anderen das Historische, manche haben einen sozialen Fokus, andere interessieren sich für Architektur.
Ebenso vielfältig sind die Gründe, weshalb Menschen Kirchen aufsuchen. Manch einer sucht die Stille inmitten des Trubels. Einer kommt vielleicht nur kurz rein und zündet eine Kerze an. Ein anderer nutzt die Ruhe zum Beten. Wieder andere ruhen sich mit schweren Taschen vom Einkaufsbummel aus. Im Sommer genießen Touristen hier die Kühle, im Winter wärmen sich auch Obdachlose mal für eine Zeit auf. Kirchenräume sind Zufluchtsorte für alle. Und Besucher fühlen sich noch willkommener, wenn sie dort ein freundliches Gesicht, ein offenes Ohr empfängt.

Irene Weniger an ihrem Platz in St. Aposteln.
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Irene Weniger bietet beides. Die 77-Jährige hat sich bewusst St. Aposteln für ihren Dienst ausgesucht. „Ich empfand das als einen Hotspot“, erzählt die Rentnerin aus Brück, die früher mal bei einer Bank gearbeitet hat. Sie mag es, wenn viel los ist. Trotz der sommerlichen Temperaturen draußen sitzt sie mit Jacke an ihrem Empfangstisch. Die offenen Schuhe bereut sie ein wenig, denn der Boden ist kühl. Im Winter sitzt sie auch mal in langer Leggins unter der Hose und mit dicken Socken dort, verrät sie.
Zeit für sich an einem besonderen Ort
Da flattert plötzlich eine Taube hinein. Weniger staunt: „Das ist mir bislang noch nie passiert.“ Dabei wirkt sie bereits seit sechs Jahren beim Kirchenempfangsdienst mit. Schnell öffnet sie die Kirchentüren weit, um dem Tier wieder nach draußen zu helfen. Aber die Taube tritt einen Rundflug unter der Kirchendecke an und sucht sich ein Plätzchen auf einem Säulensims. Weniger weiß, jetzt heißt es erst einmal abwarten.
Die Zeit an diesem besonderen Ort mitten in der Stadt gebe ihr viel, sagt Weniger: „Die Ruhe hier tut mir gut. Man hat mal Zeit, um die eigene Woche Revuepassieren zu lassen.“ Gleichzeitig mag sie aber auch den Austausch mit den Menschen. An ihrem Namensschildchen ist sie zu erkennen. Manch einer wolle vielleicht einfach in Ruhe gelassen werden. Aber wenn sie jemand anspricht, hilft Weniger gerne weiter. „Der Kontakt macht mir Freude.“ Sie sei immer gerne gereist und habe eine Affinität zum Ausland. Einmal kam ein holländisches Ehepaar mit historischen Unterlagen, aus denen hervorging, dass ihre Vorfahren im 17. Jahrhundert in St. Aposteln geheiratet hatten.

Blick in die Basilika St. Aposteln.
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„Ein bisschen Seelsorge ist aber auch dabei, wenn man ein Ohr für die Tiefen hat“, sagt Weniger. Manchmal erzählten Menschen von ihren Schicksalsschlägen, neulich erst ein älterer Herr, der seine Frau gerade verloren hatte. Häufig werde sie deshalb nach Heiligen gefragt. Judas Thaddäus beispielsweise, der in schwierigen und ausweglosen Situationen um Hilfe angerufen wird. Oder die Marienkapelle mit den Nothelfern für jede Lebenslage. „Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich Menschen beten“, sagt Weniger, die selber evangelisch ist. Eine Frau sei einmal knicksend in die Kirche gekommen, habe sich dann im Mittelgang auf den Boden geworfen und später knicksend rückwärts die Kirche wieder verlassen.
Kontakt zu Menschen aus der ganzen Welt
Grund für Wenigers Engagement war, dass sie nach Impulsen außerhalb ihres Freundeskreises suchte. Sie ist gerne unter Menschen. Mit ihrem Mann kümmert sie sich gerne um ihre „Wahl-Enkel“, die Kinder ihres Patensohns, außerdem macht sie bei einer Herzsportgruppe mit. „Ich wollte etwas Neues erleben“, sagt Weniger. Gerade spricht sie ein junger Mann an und fragt, wo das Pfarrbüro sei. Er wolle die Taufe seiner Tochter besprechen. Weniger erklärt ihm freundlich den Weg.
Auf einmal ist ein Flattern zu hören. Die Taube hat sich von ihrem Sims aus in Bewegung gesetzt. Und als kenne sie den Weg ganz genau, führt ihr Flug bis vor die weit geöffnete Kirchentüre. Weniger freut sich darüber. Die Taube spaziert hinaus. Auf den Markt. Zurück ins städtische Treiben.