Von der Turnhalle bis zur Messe: Frederik Rohde leitet seit mehr als acht Jahren Kölner Flüchtlingsunterkünfte. Was ihn antreibt.
Der HerbergsvaterFrederik Rohde leitet seit 2015 Kölner Unterkünfte für Geflüchtete

Heißt Geflüchtete willkommen: Frederik Rohde vom Deutschen Roten Kreuz.
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Wenn es hart wird, schreckt Frederik Rohde nicht zurück. Im Gegenteil. Schließlich hat er Metallbauer gelernt. „Erst mal hab ich mit den Händen angefangen, irgendwann durfte der Kopf hinterher ziehen“, sagt der 47-Jährige. Nach abgeschlossener Lehre und einer Zeit in Frankreich als Schmied studierte er Soziale Arbeit. Etliche Jahre war er Betreuer im Kinderheim, hatte mit minderjährigen Geflüchteten zu tun. Bis 2015. Dem Jahr als fast eine Million Menschen nach Deutschland flüchteten, viele von ihnen vor dem Krieg in Syrien.
„Frederik, wir brauchen dich. Wir wollen Turnhallen als Unterkünfte eröffnen. Wir wissen nur noch nicht wie“, sagte Rohdes Schwester, die beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) arbeitet, damals. Ein Termin in Köln, Gespräche und Schulungen ... Am 5. August 2015 eröffnete Rohde mit dem DRK 2015 die erste Turnhalle als Notunterkunft. „Innerhalb kürzester Zeit kamen 20 Turnhallen dazu. Unser Team hat auf der linken Rheinseite alle Turnhallen aufgemacht“, sagt Rohde.
„Wilde Zeit“ 2015
Eine „wilde Zeit“ sei es gewesen. 200 Feldbetten ohne Abtrennung in einer Halle. Aber: „Da war ein wahnsinniger Schwung. Jeder wollte irgendwie helfen. Die Spendenbereitschaft war enorm“, erinnert sich der Sozialarbeiter. Als 2017 die letzte Turnhalle geschlossen wurde, betreute er als Heimleiter einen ehemaligen Praktiker-Baumarkt in Porz. „Zuerst ging es vor allem nach dem Motto ‚satt, sauber, trocken‘. Jetzt hatten wir mehr Möglichkeiten. Die Fläche vom ehemaligen Gartencenter war unsere Freifläche für die Kinder“, schwärmt er. Statt eines Büros in der Turnhallen-Umkleide hatte Rohde nun einen richtigen Raum.
Doch auf solche Dinge legt der Camper und Naturfreund wenig Wert. Meist kommt er in Wanderschuhen zur Arbeit. „Die Menschen sind doch das Wichtigste“, findet er. Tausende hat er in den vergangenen Jahren kommen und gehen sehen. In den unterschiedlichen Flüchtlingsunterkünften, die das DRK in Köln betreibt. Kürzer oder auch länger war er dort. 1.500 Leute in zwei Messehallen, das war bisher die größte Einrichtung, die Rohde geleitet hat. Im vergangenen Winter musste sie schnell aus dem Boden gestampft werden.
„Dass man in meinem Job improvisieren muss, ist klar“, sagt er. Das ist auch jetzt an der Vorgebirgstraße nicht anders. Seit März leitet Rohde hier die Kommunale Erstaufnahme und Notunterkunft für geflüchtete Menschen. Ukrainer und Nicht-EU-Bürger, meist unerlaubt eingereist, kommen hier an. Rund um die Uhr. Platz ist für rund 400 Menschen. Für jeweils vier Personen gibt es einen 15-Quadratmeter-Container. Kühle Gänge aus Zelthaut verbinden die Container mit den Sanitärräumen, dem Kinderbereich und dem Zeltsaal zum Essen und zum Aufenthalt. Eigentlich sollte die Mischung aus Containern und Zeltstadt im August schließen. Aber es gibt nicht genügend Platz für Geflüchtete in Köln.
Gut 20 Geburten in diesem Jahr in der Notunterkunft
„Gerade jetzt im Winter kommen sehr viele Familien. Fast vier Fünftel der Menschen hier sind Kinder. Nicht wenige sind staatenlose Menschen.“ Rohde sind alle willkommen. „Keiner verlässt seine Heimat gerne. Die Menschen sagen, ‚dort gibt es nicht genug für meine Kinder‘.“ Oft sind Hochschwangere unterwegs. Gut 20 Geburten gab es dieses Jahr in der Vorgebirgsstraße. „Neugeborene werden schnellstmöglich in enger Zusammenarbeit mit und durch das Amt für Wohnungswesen in geeignetere Unterkünfte verlegt“, sagt Rohde, der immer wieder betont, wie toll das Team sei. „Phantastische Sozialarbeiter, eine wirklich gute Geschäftsführung, eine super Chefin“, lobt er. Nur so sei die Hilfe auch zu leisten.
„Wir leisten Hilfe, die sehr direkt ankommt.“ Dazu gehört auch der Umgang mit Krankheiten. Mit jeder Familie wird ein TBC-Screening gemacht. Zuweilen gibt es Läuse. Letztens hatte ein Baby Krätze. „Alles, was Menschen passieren kann, passiert hier.“ Dazu gehören Ehekräche genauso wie Schlägereien oder Liebesdinge. Nur: Die Wände in der Flüchtlingsunterkunft sind dünn, Privatsphäre gibt es wenig. „Es ist wie ein Aquarium, man kann viel sehen.“ Wann immer nötig, greift Rohde ein. Spricht mit Streithähnen, erklärt, zeigt Regeln auf oder beruhigt auch schon mal Putzkräfte, die Angst vor Läusen haben. Das Team und er stellen Kontakte zu Ämtern her, die die Menschen beim Ankommen begleiten.
Früher in der Turnhalle als Geflüchteter, jetzt Sozialarbeiter
Die „Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit“ mag Rohde an seiner Arbeit. „Menschen, die ich 2015 in der Turnhalle hatte, sind heute Kollegen von mir. Zwei albanische Jungs wurden als die besten Tankwarte Deutschlands ausgezeichnet“, nennt er spontan Beispiele für gelungene Integration.
Doch es gibt auch Tieftrauriges. Zweimal hat Rohde erlebt, wie sich Menschen selbst durch Zündeln auf ihren Matratzen verletzten wollten. In einer Quarantänestation während der Corona-Pandemie.
Kontrolle gehört auch in der Vorgebirgsstraße in den Alltag. Mitarbeitende überprüfen regelmäßig, ob in den Containern keine Kochplatte oder ähnliches genutzt wird. Kochen wäre zu gefährlich. Und ist dennoch etwas, das gerade den Familien sehr fehlt. „Die allerwichtigste Frage, wenn es in eine andere Unterkunft geht, ist immer, ob sie dort kochen dürfen.“ Rohde versteht den Wunsch sehr gut. So wie er für viele und vieles Verständnis hat.
Das zeigt sich auch darin, welches Wort er auf den meisten Sprachen beherrscht. Es ist weder Willkommen noch Bitte. Er sagt es beispielsweise, wenn jemand die Tür schließt oder am Ende eines Gesprächs. „Danke.“ Warum es sein Lieblingswort ist, kann er nicht genau benennen. „Danke finde ich irgendwie wichtiger.“
Aktuelle Zahlen
10.637 geflüchtete Menschen bringt die Stadt Köln derzeit in Einrichtungen unter (Stand 15. 12. 2023). Wöchentlich kommen rund 110 Menschen in Köln an. Derzeit erfüllt Köln die Aufnahmequote des Landes zu 98,75 Prozent. Weil die Stadt damit leicht unter ihrem Sollwert liegt, ist mit weiteren Landeszuweisungen von Geflüchteten zu rechnen. Die Zuweisungen würden sich jedoch wegen der geringen Unterschreitung der Quote in einem überschaubaren Rahmen halten, teilte die Stadt mit.
Leicht zurück geht die Zahl der neu ankommenden unerlaubt Eingereisten. Ob diese Tendenz auch nach den Feiertagen anhalten werde, sei noch nicht abzusehen. Von den 110 ankommenden Menschen pro Woche stammen rund 70 Prozent aus den Westbalkanstaaten. In einem neuen Containerdorf in Chorweiler können rund 400 Menschen unterkommen. Es werde voraussichtlich im Laufe der zweiten Januarhälfte nach und nach belegt, teilte die Stadt mit. Bereits seit Dezember stehen in den Wohncontainern an der Herkulesstraße 144 zusätzliche Schlafplätze zur Verfügung; die Kapazität der Einrichtung wurde damit verdoppelt. Zudem prüfe man fortlaufend, wo weitere Plätze geschaffen werden könnten.
Die Halle 11.1 der Kölnmesse in Deutz wird seit dem 1. Dezember 2023 vom Land NRW zur vorübergehenden Unterbringung geflüchteter Menschen genutzt. Wie geplant, wird die Belegung am 12. Januar beendet; in der Halle leben derzeit noch 30 Menschen. Dabei handelt es sich nach Auskunft der Bezirksregierung vor allem um Alleinreisende aus Syrien und der Türkei. Die derzeit dort Untergebrachten werden in andere Einrichtungen des Landes verteilt. (bos)