Nach fast einem Jahrhundert schließt der Geigenbaumeister Heribert Bünnagel sein traditionsreiches Geschäft in Köln und blickt stolz zurück.
Aus in KölnGeigenbaumeister schließt Traditionsgeschäft auf der Breite Straße

Lange Geschichte: Heribert Bünnagel hält eine selbstgefertigte Geige in seinen Händen. Die Bilder erinnern an die Familientradition.
Copyright: Johannes Spätling
Eine Kölner Institution sagt Lebewohl: Jahrzehntelang war der Name „Bünnagel“ auf der Breite Straße 99 eine wichtige Adresse für Musiker aus Köln und ganz Deutschland. Hier wurden Geigen, Bratschen, Celli und weitere Streichinstrumente repariert, ausgebessert und gefertigt. Inhaber und Geigenbaumeister Heribert Bünnagel hat seit 1959 für den Familienbetrieb gearbeitet – zunächst als Gehilfe seines Vaters, später als Kompagnon seines Bruders, und in den letzten 20 Jahren als eigenständiger Geschäftsführer: Nun verabschiedet sich der 78-Jährige schweren Herzens von seinem Geschäft und seiner Werkstatt, welche insgesamt 96 Jahre lang in Köln existierten - zunächst auf dem Mauritiussteinweg, dann in Sülz, später in der Innenstadt. Heribert Bünnagel blickt kurz nach der Schließung Ende März mit Wehmut und Stolz auf die Zeit zurück – weiß jedoch auch, dass das Geschäft heute ein anderes ist, als noch zu Beginn seiner Laufbahn.
Eine Geige bedeutet 500 Arbeitsschritte
„Heutzutage gibt es zu viel Konkurrenz durch den Online-Handel – ich würde nur noch eine Werkstatt eröffnen, wenn ich von vorne beginnen könnte“, betont Bünnagel in seinen Räumlichkeiten. Zwischen Geigen, Celli und Gamben schaut der gebürtige Kölner zufrieden zurück auf 66 Jahre, die er der Geigenbaukunst gewidmet hat.
„Mein Vater Josef war auch Geigenbaumeister und hat die Firma 1929 gegründet. Er hat viele Instrumente selbst gebaut“, erzählt Bünnagel, der als junger Mann ab 1966 den Umzug auf die Breite Straße miterlebte. „1969 ist mein Vater leider früh verstorben, und mein älterer Bruder führte das Geschäft anschließend mit mir.“ Bünnagel hat das Cello- und Posaunenspiel gelernt, jedoch nicht das Geigenspiel. „Ein Geiger ist ja auch meist kein Geigenbauer“, schmunzelt der begeisterte Musiker, der im Jahr 1975 die Meisterprüfung des Geigenbauers ablegte.
Die Brüder Wolfgang und Heribert legten im Gegensatz zum Vater den Fokus auf Reparatur, Instandsetzung und Weiterverkauf von Instrumenten. Dank der Musikhochschule, der Kölner Musikschulen und zahlreicher Orchester fand sich über die Jahre ein fester Kundenstamm – von Schülern bis hin zu bekannten Solisten und Professoren. „Gerade in den ersten Jahren haben sich tolle Freundschaften gefunden, von denen viele bis heute anhalten“, freut sich Bünnagel. „Durch gute Arbeit wird man zum Glück schnell bekannt.“ Sogar ein Münchener Professor sei regelmäßig mit dem Nachtzug nach Köln gekommen.
Heutzutage gibt es zu viel Konkurrenz durch den Online-Handel – ich würde nur noch eine Werkstatt eröffnen, wenn ich von vorne beginnen könnte.
In den 70er Jahren gab es laut Bünnagel deutlich weniger industrielle Fertigung, so dass die Arbeit auf der Breite Straße geschätzt wurde. „Später kam dann der Markt aus Asien dazu – dieser hat uns allerdings nicht so getroffen, wie man annehmen könnte. Die Qualitäten sind einfach zu unterschiedlich“, betont Heribert Bünnagel. Herausforderungen seien erst zur Jahrtausendwende dazugekommen: „Der Fokus auf billige Ware und schnelles Geschäft machen es heutzutage schwerer, mit guten Instrumenten gutes Geld zu verdienen.“
Ab 2004 konnte sich der erfahrene Geigenbaumeister nach Austritt seines Bruders seiner größten Leidenschaft widmen, und baute eigene Geigen. „Das war eine sehr schöne Zeit – es ist ein unglaubliches Gefühl, eine selbstgebaute Geige in den Händen zu halten.“ Geschätzte 16 Geigen hat Heribert Bünnagel gebaut. Die hochwertigen Bünnagel-Geigen beruhten auf rund 500 Arbeitsschritten, seien aus hochwertigem Ahorn sowie Fichten- und Ebenholz gefertigt. „Es kommt auf die Verarbeitung an, beispielsweise die Deckenwölbung – daran erkennt man Qualität“, erklärt der Kölner, der noch vor Kurzem an sechs Tagen in der Woche gearbeitet hat.
Die Hoffnung, dass hohe Geigenbaukunst und musikalisch hochwertige Ausbildung überleben, hat Bünnagel in jedem Fall: „Wenn ich sehe, wie toll meine Enkelkinder an den Musikschulen ausgebildet werden und an was für großartigen Konzerten sie am Kölner Humboldt-Gymnasium teilnehmen, freue ich mich sehr. Ich glaube, dass das Bewusstsein für gute musikalische Ausbildung in den letzten Jahren wieder gewachsen ist.“
Nun freut sich Heribert Bünnagel auf viele schöne Jahre im Kreise seiner Familie. „Er wird sich sicherlich nur schwer vom Laden trennen können – er war ja in den letzten Jahren mehr in der Werkstatt als bei uns zuhause“, lacht seine Ehefrau, die wie Tochter Verena bis zum Schluss Teil des Familienunternehmens war. Zur Schließung des Geschäfts gab es noch eine riesige Überraschung: „Plötzlich standen knapp 100 Rote Funken vor meinem Laden, dazu ein Orchester und ein Chor von der Rheinischen Musikschule — und alle haben gratuliert, musiziert und gesungen. So möchte man als Funk verabschiedet werden.“