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Pornos im Klassen-Chat„Viele Kinder werden mit der Technik allein gelassen“

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Ein Schüler mit einem Smartphone.

  1. Der Hauptkommissar Dirk Beerhenke berät Eltern und Lehrer an Schulen in NRW.
  2. Im Gespräch erzählt er von seinen Erfahrungen.
  3. Außerdem gibt er Tipps zum Schutz von Kindern.

Köln – Kriminalhauptkomissar Dirk Beerhenke (60) ist bei der Kölner Polizei für den Bereich Cybercrime und Opferschutz zuständig. Jüngst musste er an einer Kölner Schule einem Neunjährigen erklären, dass es falsch ist, in der Umkleidekabine heimlich ein nacktes Mädchen zu fotografieren. Der Junge hatte das Bild in den Klassenchat gestellt. Mit Beerhenke sprach Claudia Hauser.

Herr Beerhenke, wie gefährlich ist ein Smartphone für Kinder?

Beerhenke: Ein Problem ist, dass Kinder immer früher Smartphones bekommen. Noch vor zwei, drei Jahren gab es in Grundschulen keine Smartphones, sondern erst beim Schulwechsel. Inzwischen finden wir sogar schon im Kindergarten Tablets – manche mit Internetzugang. Die Kinder können zwar noch nicht schreiben, aber sie können wischen.

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In Chats testen Schüler auf ihren Smartphones ihre Grenzen aus – laut Beerhenke haben viele dabei kein Unrechtsbewusstsein.

Ist es nicht gut, dass Kinder schon früh mit verschiedenen Medienfunktionen vertraut werden?

Beerhenke: Doch. Aber das Problem ist: Viele Kinder werden mit der Technik allein gelassen. Das ist ja eine komplette digitale Welt, die es zu erkunden gilt – und das machen die Kinder auch. Es gibt viele gute Internetseiten, auch kindgerechte Suchmaschinen, aber noch viel mehr, die für Kinder und Jugendliche nicht geeignet sind.

Rassismus und Pornographie im Klassenchat

Worauf stoßen die Kinder?

Beerhenke: Auf die komplette Bandbreite. Extremistische, pornografische und gewaltverherrlichende Bilder und Videos zum Beispiel. Ein Realschullehrer hat uns Screenshots eines Klassenchats zugeschickt, siebte Klasse. In dem Chat waren pornografische Bilder in wirklich allen Facetten zu sehen. Auch Kinderpornografie. Dann Rassismus, ein Schüler machte sich lustig über ertrinkende Schwarze im Mittelmeer. Auch Bilder von verfassungsfeindlichen Symbolen, das „Dritte Reich“ rauf und runter.

Im Chat von Zwölfjährigen?

Beerhenke: Ja. Ich habe als Polizeibeamter schon viele Dinge gesehen, die ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde, zum Beispiel Enthauptungsvideos. Was in dem Schüler-Chat zu sehen war, ging genau in diese Richtung. Das heißt: Zwölfjährige sehen Dinge, die sie absolut nicht sehen sollten. In dem Chat waren 25 bis 20 Kinder.

Gab es unter ihnen auch welche, die gegen die Inhalte protestiert haben?

Beerhenke: Die gab es, einer schrieb etwa: „Bäh, lass das.“ Und ein Schüler hat sich ja auch dem Lehrer anvertraut und ihm den Chat gezeigt.

Auch die Eltern können nicht für Bilder oder Videos zur Verantwortung gezogen werden

Was tun Sie in solchen Fällen?

Beerhenke: Wir fahren mit Streifenwagen in die Schule, sammeln die Smartphones ein und stellen sie sicher. Die Kinder werden angehört im Beisein der Eltern, mit zwölf sind sie ja strafunmündig. Auch die Eltern können nicht für Bilder oder Videos zur Verantwortung gezogen werden. Mangelnde Aufsichtspflicht kann aber strafrechtlich eine Rolle spielen. Die Handys werden nach der Überprüfung auf Werkszustand zurückgesetzt, damit nichts wiederhergestellt werden kann. Das alles beeindruckt die Kinder erheblich.

Wie reagieren die Kinder?

Beerhenke: Bei vielen ging es nur darum, etwas Verbotenes zu tun, Grenzen zu überschreiten. Das Problematische ist, dass viele kein Unrechtsbewusstsein haben, einer sagte: „Das ist doch nur ein Bild.“ Es ist aber Aufgabe der Eltern und Lehrer, das Bewusstsein für Falsch und Richtig zu fördern, und nicht die der Polizei.

Die Eltern sollten mit ihren Kindern gemeinsam das Smartphone durchgehen

Was sagen Sie den Eltern?

Beerhenke: Ich mache ihnen klar, was es bedeutet, einem Kind ein Smartphone in die Hand zu drücken und es damit allein zu lassen. Das ist, als würde man das Kind abends in der Großstadt aussetzen und es erst eine Woche später wieder abholen.

Wie schützt man sein Kind?

Beerhenke: Die Eltern sollten mit ihren Kindern gemeinsam das Smartphone durchgehen, alle Apps, die Spiele. Was ist das für ein Spiel? Werden da nur Kartoffeln angebaut oder schießen zwischendurch Zombies aus dem Boden, denen man den Kopf absäbeln muss? Gibt es Chat-Funktionen im Spiel?

Da können auch pädophile Erwachsene auftauchen, die sich das Vertrauen der Kinder erschleichen wollen. Oder das Kind wird seit Wochen im Chat von anderen gemobbt. Dann müssen Regeln her zum Umgang mit dem Internet: Was gebe ich zum Beispiel in den sozialen Netzwerken preis? Es braucht Kindersicherungen und vor allem Ruhezeiten. Smartphone und Tablets haben nachts nichts im Kinderzimmer zu suchen.

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Ab welchem Alter ist ein Smartphone sinnvoll?

Beerhenke: Was sinnvoll ist, das müssen Medienpädagogen beurteilen. Ich persönlich würde sagen: Es sollte altersgerecht sein. Wir entscheiden ja auch, wann ich das Kind zum ersten Mal allein zum Bäcker schicke, ihm Geld mitgebe. Das muss ich einschätzen können. Und dann haben Eltern nicht nur das Recht, die Handys ihrer Kinder im Blick zu behalten – sie haben die Pflicht dazu. Es geht darum, das Kind zu schützen und es kompetent machen. So dass es selbst in der Lage ist, sich in bestimmten Situationen zu wehren und zu erkennen, was falsch ist.