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Vor dem Tour-StartWie Rick Zabel auf seine Karriere als Radprofi zurückblickt

4 min
Rick Zabel

In einem Buch hat Rick Zabel seine Erfahrungen auf dem Rad festgehalten. 

Der Kölner spricht von einem Triumph über alle Torturen.

Am 23. Juli 2017 wurde sein Kindertraum wahr: „6,5 Kilometer stille Ekstase, 6,5 Kilometer Wirbelsturm der unterschiedlichsten Empfindungen und Gefühle, 6,5 Kilometer pure Freude.” Gemeint ist die letzte der acht Paris-Runden auf der Schlussetappe der Tour de France, der „Lohn der Qualen” für Rick Zabel.

Als sein Vater Erik beim berühmtesten Radrennen der Welt von 1996 bis 2001 sechsmal das grüne Trikot des besten Sprinters gewann, saß sein Sprössling einmal mit grün gefärbten Haaren auf dessen Schultern. Nun wird er 145. in der Gesamtwertung – „so what?” Mit einem schon beim Tourstart erlittenen doppelten Bänderriss in der Schulter und nachdem ihn auf dem berüchtigten Col de la Croix de Fer fast der Besenwagen einkassiert hätte, ist allein die Ankunft auf den Champs-Élysées ein persönlicher Triumph über alle Torturen.

Nein, der Wahlkölner hat in seiner 13-jährigen Profikarriere Achtungserfolge, aber nie die einsame Klasse des Vaters oder seines Jugend-Idols Mario Cipollini erreicht. Aber gerade diese Distanz zum Siegerglamour macht sein (mit Harald Braun verfasstes) Buch „On the Road” zur fesselnden Lektüre über Lust und Leid eines knüppelharten Sports. Schon als Elfjähriger fährt Rick „Rund um den Bramscher Berg” und begreift rasch, in was für einem langen Schatten er steht. Fällt er zurück, heißt es: „Guck mal, der Zabel, na, da ist der Apfel ja wohl einen Kilometer weit vom Stamm gefallen.” Liegt er dagegen vorn, ist ihm das Talent eben in die Wiege gelegt worden. Trotzdem – der Steppke beim RSV Unna lässt sich von Opa Manni zu fast jedem Schülerrennen in NRW chauffieren und ertrotzt sich schon mit 13 seinen Wechsel ans Erfurter Sportinternat.

Kurz vor dem Abitur dann die Rückkehr ins heimische Kessebüren, unter die harten Fittiche des Vaters, der Rick gern den selbst erlebten DDR-Drill spüren lässt. Als Autor blickt der Sohn mit Distanz und Respekt auf den geborenen Ost-Berliner, dessen (zweites) Doping-Geständnis von 2013 ihn hart trifft. Wobei er durchaus den mildernden Umstand einräumt, dass EPO & Co. seinerzeit allgegenwärtig im Peloton waren.

Er selbst lehnt solche illegalen Mittel ab und feiert früh Erfolge: Deutscher U-23-Meister mit 19, ein Jahr später in der gleichen Altersklasse Sieg bei der Flandern-Rundfahrt. Plötzlich verdient er im Team BMC 150 000 Euro pro Jahr, fährt neben Cracks wie Cadel Evans und Philippe Gilbert – und wird ein „ausgemachter Blödmann in Gucci- und Louis-Vuitton-Klamotten”.

Diesen selbstironischen Blick verliert der Autor zum Glück nie. Präzis analysiert er seine sportlichen Stärken und Schwächen: den „richtig guten Minutenwert”, der ihn zum idealen Anfahrer für Top-Sprinter wie Alexander Kristoff und André Greipel macht – aber auch die mangelnde Schnellkraft-Explosion auf den allerletzten Metern. War Vater Erik „süchtig nach Siegen”, so bekennt sich Rick dazu, nach Erfolgen gern die Beine baumeln zu lassen: „2017 war ich Weltspitze, 2018 ist die Weltspitze dann ohne mich weitergezogen.” Ein Grund: Köln statt Kessebüren, mehr Party als Plackerei, Greipel muss ihn morgens oft aus den Federn klingeln.

Die letzten Jahre bei den Teams Katusha-Alpecin und Israel Start-Up Nation bringen viel Licht und Schatten. Zabel erlebt hautnah mit, wie der deutsche Sprintstern Marcel Kittel schon mit 31 Jahren verglüht. Er selbst gewinnt eine Etappe der schwierigen Tour de Yorkshire, erringt 2020 zum Auftakt des Giro d’Italia im Sprint an einer steilen Rampe sensationell das Bergtrikot und vollendet nach zweimaligem Ausstieg 2021 seine zweite Tour de France. Trotzdem bleibt ausgerechnet „der Parcours des Grauens” sein Lieblingsrennen: Paris – Roubaix.

Sehr nachvollziehbar erzählt der verheiratete Vater zweier Söhne allerdings auch vom immer strammer einschnürenden Korsett aus Training und Rennen, von abflauendem Ehrgeiz und Lust auf Neues. Im Mai 2024, mit nur 30 Jahren, bestreitet er mit Rund um Köln seinen letzten Wettkampf.

Die zweite Karriere hat er indessen schon in seiner aktiven Zeit bestens vorbereitet: als gefragter TV-Experte und im Podcast „Ulle & Rick” mit Jan Ullrich blickt er wie in diesem Buch ebenso kritisch wie locker hinter die Kulissen seiner Sportart. Im Sattel will er weiterhin sitzen, gern gemeinsam mit Vater Erik bei der L’Eroica, die in der Toskana auf stählernen Vintage-Rädern bestritten wird.

Rick Zabel: On the Road. Von der Freiheit auf dem Rennrad. Kiepenheuer & Witsch, 221 S., 24 Euro.