Das Literaturprojekt „Stamina“ vereint Texte von geflüchteten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Krisenregionen.
Kölner InitiativeJunge Geflüchtete veröffentlichen Geschichten und Gedichte in „Stamina“

Im Zuge des Literaturprojekts „Stamina“ erschienen bisher zwei Bücher mit Erzählungen, Gedichten und Rezepten aus verschiedenen Kulturen.
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„… Vielleicht sterben wir/Keiner weiß, wann der Tod kommt/Er kommt aber plötzlich/Auf das Leben ist kein Verlass …“, reflektiert Anas A. das Dasein in nachhallenden Worten. An anderer Stelle beschreibt Hakr Hawar eine verzweifelte Lebenslüge: „… Ich lächle trotz meiner Sorgen/Und ich lache trotz meiner Traurigkeit/Und niemand weiß, was in meinem Herzen verborgen ist …“. Die berührenden Zeilen entstammen der Buch-Reihe „Stamina“, einer Anthologie mit Kurzgeschichten, Gedichten und Kochrezepten von jungen Menschen mit Flüchtlingsbiografie.
Die Sammlung stellt einen rheinischen Satelliten des Berliner „The Poetry Project“ dar. Das Kölner Format bietet den Teilnehmerinnen und Teilnehmern – wie das Original – Ausdrucksmöglichkeiten für Erinnerungen, Gegenwartserlebnisse und Zukunftswünsche. Der Titel steht gleichsam für Ausdauer und Geduld. Initiatorin beziehungsweise Fortsetzerin der Idee ist Julia König, die als Herausgeberin von mittlerweile zwei Werken, „Stamina I“ und „Stamina II“, fungiert. Neben der Publikation organisiert die Künstlerin seit rund vier Jahren auch Lesungen der Autoren. So gastierte das literarische Projekt unlängst im Foyer des Orangerie-Theaters, um vor rund 100 Zuhörern aus den Werken zu lesen.
Anstatt über Flüchtlinge zu reden, soll ‚Stamina‘ aus der Perspektive von geflüchteten Menschen erzählen.
Im Fokus der Vorträge stehen dabei laut Julia König viele Alltagsgeschichten, die ihre Verfasser dem Publikum näher bringen sollen. Entgegen den Vermutungen werden nicht „nur“ Fluchtgeschichten geschildert. Es handele sich in vielen Fällen um Texte, die den Tagesablauf der Menschen aus Syrien, der Ukraine oder anderen Kriegsgebieten in Deutschland beschreiben. „Anstatt über Flüchtlinge zu reden, soll ‚Stamina‘ aus der Perspektive dieser Menschen erzählen. Damit soll einer oftmals klischeehaften Sichtweise entgegengewirkt werden“, erklärt König, die ihre Projektteilnehmer in den Integrationsklassen von Bildungseinrichtungen trifft.
Für den aktuellen Doppelband besuchte sie das Hans-Böckler-Berufskolleg Deutz sowie die Tages- und Abendschule in Müngersdorf und arbeitete dort mehrere Monate mit bis zu 90 Sprachschülern, überwiegend im Alter zwischen 16 bis 22 Jahren. „Ich bin keine Lehrerin, sondern Künstlerin. Die Leute müssen sich keine Sorgen um eine Benotung machen“, berichtet die gebürtige Berlinerin. Mitunter fange sie eine Schreibübung mit dem Wort „Heute“ an und motiviere zu einer beliebigen Fortführung. Die Verschriftlichung sowie die Textpräsentation erfolge in der jeweiligen Muttersprache; das Dolmetschen gerate dabei stets zu einer „lebhaften Mischung aus Hand- und Fußgebärden sowie Fremdsprachen-Apps auf dem Smartphone.“
Für die Herausgabe der Bücher standen der Initiatorin zahlreiche Übersetzer zur Seite. Neben dem handschriftlichen und dem gedruckten Werk finden sich in den Büchern zudem QR-Codes, die zu einer Audiodatei der Autoren in Farsi, Arabisch oder Kurdisch führen. Die Finanzierung der liebevoll gestalteten Publikationen ist von Fördertöpfen abhängig, der hohe Arbeitsaufwand spiegele sich nicht in den Umsätzen wider, so die Wahlkölnerin. „Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung, beispielsweise von Soziokultur NRW. Niemand bereichert sich durch das Projekt“, verweist die Herausgeberin auf Solidaritätspreise zwischen 10 und 20 Euro.
„Aber auch wenn sich das jemand nicht leisten kann, stelle ich die Veröffentlichung zu. Es sind kleine Schätze. Ich sehe das als Archiv für eine Dokumentation der deutschen Gegenwart. Sie soll niemandem verschlossen bleiben“, sagt Julia König und freut sich beim Blättern in „Stamina I“ über ein Gedicht von Schülerin Sanaz: „… Meine Mutter hat mir wieder die Haare gekämmt/Und auf mein Kleid einen Schmetterling gezeichnet/Meine Mutter hat mir eine schöne Tasche gegeben/ Heute ist überall und alles ist schön/Mein Vater kost mich mit seinen lieben Händen/Lachen ist der Gast aller Lippen/Jetzt ist es Zeit zur Schule zu gehen …“