Interview mit Kettcar-Sänger„Wir wissen, dass wir nicht mehr der heiße Scheiß sind“

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Kettcar mit Frontmann Marcus Wiebusch.

Kettcar mit Frontmann Marcus Wiebusch.

Ihre Hochphase hatte die Band Kettcar in den Nullerjahren. Doch auch gut 20 Jahre später gibt es eine treue Fangemeinde.

Das neue Kettcar-Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ erscheint am Freitag, 5. April. Am 19. April steht das Konzert im Luxor an. Mit Frontmann Marcus Wiebusch sprach Christopher Dröge.

Ihre neue Platte „Gute Laune ungerecht verteilt“ ist das sechste Kettcar-Album. Was zeichnet es vor allem aus?

Es ist sicher eine deutliche Kehrtwende zu unseren Alben in den Nullerjahren, die sich sehr stark um das eigene Ich gedreht haben und um die Frage, wie man sich zur Welt positioniert. Aber jetzt reagieren wir sehr stark auf die Zeit - heißt, dass wir eben politische Songs schreiben, die mehr wollen als dass man zu ihnen mitsingt und -nickt, sondern eben auch versuchen, Gedankenanstöße zu geben. So gesehen unterscheidet sich unser neues Album von den beiden ersten sehr stark. Vom letzten, „Ich vs. Wir“, nicht so sehr, es ist vielmehr dessen direkte Weiterführung.

Die erste Single „München“, ein Song mit explizit politischer Aussage, ist also typisch fürs Album?

Nein, wir haben auch Liebeslieder auf dem Album oder Songs, die sich um Kindererziehung drehen, es ist nicht alles explizit politisch. Wir wollen nicht zu Polit-Onkels werden, aber „München“ ist schon ein sehr wichtiger erster Song für uns. Schon lange, bevor die Recherche über die Konferenz in Potsdam bekannt wurde, und vor den Gegendemonstrationen, war uns klar, dass „München“ unsere erste Single sein wird. Der Song ist über ein Jahr alt, aber die Zeit hat uns eingeholt.

Wir sind keine Parolen-Band, sondern wir versuchen Narrative zu bilden und damit Zeichen zu setzen.
Marcus Wiebusch

Steht man als Künstler in den heutigen Zeiten mehr in der Verantwortung, sich politisch zu äußern?

Ich würde schon sagen, dass der Zeitgeist heute ein anderer ist. In den Nullerjahren konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass einmal so undemokratische Kräfte in unserem Land aktiv sein würden, die sich mit Leuten treffen, die davon fantasieren, alle Leute, die ihnen nicht gefallen, zu deportieren. Die Großdemonstrationen nach dem Potsdamer Treffen sind ein unfassbares Symbol dafür, wie viele Menschen das auch so wahrnehmen und fühlen. Unser Album ist voll von solchen Gedanken: dass die Demokratie erhaltenswert ist und für unser Zusammenleben, auch mit all ihren schlechten Aspekten, immer noch besser als die Alternative. Aber von uns wird man nie Songs hören wie „Scheiß AfD“, oder „Nazis raus“. Wir sind keine Parolen-Band, sondern wir versuchen Narrative zu bilden und damit Zeichen zu setzen.

Ihre Musikerlaufbahn reicht inzwischen gut 30 Jahre zurück. Wie hat sich das Geschäft für Sie verändert?

Man kann schon sagen, 2002 bis 2005, als wir unsere ersten beiden Alben herausgebracht haben, hatten wir unsere Hochphase. Da waren wir von den Tagesthemen bis zum Feuilleton Thema, unsere Videos wurden im Musikfernsehen gespielt, 1Live hatte unsere Songs in der Tagesrotation, das ist bei einer Band wie uns heute undenkbar. Wir wissen, dass wir nicht mehr der heiße Scheiß sind, aber wir haben das Glück trotz der veränderten Musiklandschaft sehr treue Fans zu haben. Ich bin dankbar, dass ich immer noch meine Platten machen kann und wir von der Musik leben können und die Herzen und Köpfe der Leute erreichen, auch wenn es nicht mehr der ganz große Wurf ist.

In ihrer Hoch-Phase bildeten Kettcar, Tomte und weitere Bands eine zweite Welle der „Hamburger Schule“. Haben sie heute noch Kontakt untereinander?

Auf jeden Fall, wir sind noch total gut befreundet. Immer wenn ich in Berlin bin, penne ich bei jemandem aus Hamburg und wenn die in Hamburg sind, pennen sie bei mir. Thees Ullmann (Sänger von Tomte, Anmerkung der Redaktion) und ich teilen uns ja auch noch eine Firma und streng genommen kann man auch Künstler wie Olli Schulz dazu nehmen, bei dem ich letztens noch auf einem Konzert war. Wir mögen und schätzen uns immer noch sehr. Interessanterweise ist diese sogenannte zweite Welle der Hamburger Schule bis auf Kettcar später komplett nach Berlin gezogen, alle Mitglieder von Tomte etwa.

Ich frage mich oft, wie lange man das noch in Würde machen kann, ohne sich zum Affen zu machen.
Marcus Wiebusch

Wie erleben sie das Älterwerden im Musikgeschäft?

Ich frage mich oft, wie lange man das noch in Würde machen kann, ohne sich zum Affen zu machen. Aber dann sage ich mir immer, solange Neil Young noch auf der Bühne steht, stehe ich auch noch auf der Bühne (lacht). Bands wie die Toten Hosen oder die Fantastischen Vier, die ja noch jugendlicher agieren als wir, müssen sich das wahrscheinlich auch ständig fragen. Dadurch, dass wir ein starkes Gewicht auf die Texte legen und nicht so sehr dazu animieren herumzuspringen, ist es für uns sicher noch leichter.

Gibt es heute noch so etwas wie die Hamburger Schule?

Also ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass es die Hamburger Schule heute nicht mehr gibt. Es gibt natürlich immer wieder kleine, unbekannte Bands, die auch aus Hamburg kommen, aber der heißere Scheiß, wie Betterov, der kommt jetzt aus Berlin. Da ist Hamburg ein bisschen ins Hintertreffen geraten, muss man wohl leider sagen.

Haben Sie eine Lieblings-Location, oder ein besonderes Konzert-Erlebnis in Erinnerung?

Wenn ich mal die Top 5-Konzerte meiner Karriere aufzählen müsste, dann wäre auf jeden Fall unser erstes Kettcar-Konzert 2002 im „Underground“ zu nennen, das gab es damals ja noch. Da haben wir zum ersten Mal eine Energie gespürt, das war so ein Moment von „ach, so kann es also auch sein.“ Das war schon krass. Inzwischen ist es so, dass die Leute, die unsere Plattenfirma „Grand Hotel Van Cleef“ jetzt leiten, alle aus Köln kommen. Das sind uralte Freundschaften, die in den 90ern entstanden sind.

Bemerken sie dabei auch die viel beschworenen Mentalitätsunterschiede zwischen Norddeutschen und Rheinländern?

Ich habe jetzt keine Anekdoten in der Art von „wir haben so gelacht, weil die Kölner so und so sind“, auf Lager. Aber die Unterschiede sind schon auf allen Ebenen spürbar. Wenn du nach Hamburg kommst, merkst du irgendwann, hier wartet keiner auf dich, die Mentalität ist eher kühl. Aber wenn man sie mal hat, die Norddeutschen, dann sind sie auch herzlich und innig. In Köln habe ich hingegen immer das Gefühl, hier herrscht so eine Einstellung von „Ach, wo kommst du denn her? Lass‘ dich mal in den Arm nehmen“. Das macht auch was mit einem, dass man sich gleich so anerkannt fühlt.

Das neue Kettcar-Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ erscheint am 5. April

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