GentrifizierungStadt Köln schützt ihre Viertel schlechter als München

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Einzelfall: Die Stegerwaldsiedlung hat als einziges Viertel eine Soziale Erhaltungssatzung.

  • Auch in Köln haben am Wochenende viele Menschen gegen hohe Mieten und Wohnungsmangel demonstriert.
  • Wir geben einen Überblick: Wie geht die Stadt gegen Gentrifizierung vor?
  • In einem Punkt steht Köln viel schlechter da als das teure München.

Köln – In vielen deutschen Städten haben am Wochenende tausende Menschen gegen steigende Mieten und Wohnungsknappheit protestiert, provokante Begriffe wie Enteignung sind plötzlich nicht mehr verbannt aus einer Diskussion, die an Schärfe zulegt. Aber wie sieht es in Köln aus? Was tun Stadt und Stadtrat, um das Problem zu lösen oder zu lindern? Aktuell prüft die Verwaltung etwa, ob zusätzlich zur Stegerwaldsiedlung auch die Bewohner anderer Quartiere vor der Verdrängung geschützt werden sollen. Ein Überblick.

Wie ist die Situation in Köln?

Der Druck des Marktes nimmt zu, die Mieten steigen. Rund 50 Prozent der Menschen haben Anrecht auf eine öffentlich geförderte Wohnung – doch nur für einen Bruchteil davon gibt es diese. Zum Vergleich: 1996 waren 15,1 Prozent der Wohnungen öffentlich gefördert, 2018 sind es noch 6,9. Wobei die Quote seit 2015 zumindest nicht mehr sinkt.

Wie viele Wohnungen braucht es?

Bis Ende 2029 beziffert die Verwaltung den Bedarf mit rund 66.000 neuen Wohnungen. Langfristig sollen es jedes Jahr 6.000 sein, davon sind Stadt und Bauwirtschaft weit entfernt. In den vergangenen fünf Jahren waren es im Schnitt 3.217 Wohnungen pro Jahr, die 3.923 von 2018 gelten nach 2.138 im Jahr zuvor als Jubelgrund.

Was ist mit öffentlich geförderten Wohnungen?

Sie fehlen an allen Ecken und Enden. Das Prinzip: Der Bauherr leiht sich Geld beim Land und verpflichtet sich, Wohnungen über meist 20 oder 25 Jahre günstiger als der Markt zu vermieten. Dafür bekommt er einen Teil des Kredits erlassen. Tausend neue dieser Wohnungen pro Jahr sind das Ziel, 2018 waren es 950. Aber bis 2025 fallen 8.000 Wohnungen aus der Bindung.

Ist das Problem der Wohnungsnot neu in Köln?

Nein. Doch es galt lange als nicht drängend, auch weil in den 1990er-Jahren die Rede von sinkenden Bevölkerungszahlen war – wofür also bauen? Seit 2000 kehrt sich der Trend laut Prof. Dr. Volker Eichener, Wohnungsbauexperte an der Hochschule Düsseldorf, in Städten wie Köln um. Doch lange Jahre wollte keiner diese Probleme ernst nehmen. „Es ist nichts passiert.“ Es gelte umzusteuern.

Welche Folgen hat das für die Bürger?

Familien ziehen weg, können sich die Stadt nicht mehr leisten – und verstopfen beim Pendeln die Straßen. Gentrifizierung oder Sanierungen inklusive Mieterhöhungen treiben die Preise hoch. Und: Die Umzüge nehmen ab.

Was tun Stadt und Stadtrat, um gegenzusteuern?

Mittlerweile haben sie einige Instrumente ergriffen. Erstens: Das Kooperative Baulandmodell, es verpflichtet Investoren bei Bauten ab 20 Wohnungen 30 Prozent öffentlich gefördert zu bauen. Jahrelang nutzten Investoren Schlupflöcher, die Stadt justierte nach, laut Baudezernent Markus Greitemann greift es jetzt, aber es dauert, bis die Wohnungen fertiggestellt sind. Zweitens: die Konzeptvergabe. Dabei verkauft die Stadt Grundstücke nicht an den meistbietenden, sondern an das beste Konzept, etwa mit günstigen Wohnungen. Bisher geschah das nur einmal.

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Drittens: die neue Wohnungsbauleitstelle. Zwei Jahre nach der Gründung ist sie seit 1. April mit acht Teammitgliedern komplett und für Projekte ab 50 Wohnungen zuständig. Auch die Genehmigungen sollen schneller werden. Viertens: das Stadtentwicklungskonzept Wohnen. Der Rat hat Ende 2016 Flächen für 16.000 Wohnungen ausgewiesen, doch das dauert. Fünftens: das Baulückenprogramm. Greitemann sagt über die Instrumente: „Das wird einige Jahre dauern, bis sich das auswirkt.“ Er verweist auf Areale für bis zu 10.000 Wohnungen, die baureif sind oder bald sein könnten.

Was ist mit der Sozialen Erhaltungssatzung?

Die Stadt will sie forcieren, dabei werden ganze Quartiere geschützt, unter anderem zur „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“, so steht es im Gesetz. Die Stadt hat dann den Finger drauf, wenn Hausbesitzer etwas ändern wollen. Doch bislang gibt es das seit 1996 nur bei der Stegerwaldsiedlung in Mülheim. Zum Vergleich: In München existieren 23 davon für rund 155.000 Wohnungen mit etwa 279.000 Einwohnerinnen. Laut Stadt München sollen sie „die gebietsansässige Bevölkerung vor Verdrängung aus ihrem Viertel schützen“. In Köln prüft die Verwaltung gerade eine solche Satzung für das Severinsviertel. Bis zum Sommer will sie weitere mögliche Areale vorstellen, die Politik soll entscheiden.

Was sagt der Experte?

Eichener fordert „die Klassiker“, dazu zählen Konzeptvergabe und Baulandmodell. Oder die Eigentumsförderung nicht nur für Familien wie über das Baukindergeld. Oder die steuerliche Förderung über längere Zeiträume. Und er fordert eine Reduzierung von Regeln wie der Energiesparverordnung sowie mehr ausgewiesenes Bauland. „Die Städte und die Politik sind selbst schuld, 20 Jahre haben sie das Thema vernachlässigt.“ Er plädiert für einen Wohnungsgipfel in Köln mit allen Beteiligten – „aber die Politik sollte erstmal nur schweigen und zuhören“.

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