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Weihnachten bei Ukraine-Flüchtlingen in KölnEs fehlt das Schwarze Meer in Neuehrenfeld

Lesezeit 5 Minuten
Schs Menschen sitzen gemeinsam an einem Esstisch und blicken in die Kamera.

Angekommen in Köln: Yulia Sviachena, ihre Kinder Vova und Katya, ihr Mann Denys und die deutsche Gastfamilie Steffi und Herjo Thiel (v.l.).Foto: Meike Böschemeyer 

Als die ersten Raketen Odessa beschossen, flüchtete Yulia mit ihrer Familie in den Westen. Wie erlebt sie Weihnachten in diesem Jahr? Und was ist ihr größter Wunsch?

Es gibt nicht viel, was an die Heimat erinnert. Aber es gibt „Wecherya“. Ein Korb, der mit Nüssen, Orangen, Rosinen, Plätzchen und einer Art Hefezopf gefüllt ist. „Das ist in der Ukraine etwas sehr typisches“, sagt Yulia Sviachena aus Odessa. „Den bringen die Kinder ihren Eltern an Weihnachten mit und die Eltern schenken den Kindern einen Korb.“ Auch dieses Jahr hat sie einen ukrainischen „Wecherya“ vorbereitet – für Steffi und Herjo Thiel in Köln-Neuehrenfeld. Sie haben Yulia und ihrer Familie in diesem Jahr ein neues Zuhause gegeben.

Dass Yulia Sviachena dieses Jahr Weihnachten an einem anderen Tag, in einem anderen Land und mit einer ihr bis vor kurzem unbekannten Familie feiern würde, hätte sie bis Anfang 2022 für völlig verrückt gehalten. Genau wie die Vorstellung, dass plötzlich Krieg in Europa, in ihrem Heimatland Ukraine, herrscht. Im Gespräch über die Situation ihrer Familie fällt trotzdem ein Satz immer wieder: „Wir hatten Glück im Unglück.“

Wie so viele Ukrainerinnen ist sie mit ihren Kindern vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen. Die russischen Angriffe haben sie und ihre Familie in der Nacht zum 24. Februar dieses Jahres buchstäblich aus dem Schlaf gerissen. „Ich wurde um fünf Uhr morgens von Raketengeräuschen wach und sagte zu meinem Mann: wir müssen weg, es ist Krieg“, erzählt die 37-Jährige, die mit ihrer Familie in einer Wohnung in Odessa gewohnt hat, noch immer ungläubig. Der Krieg kam für die Sviachenyis genau so überraschend wie für die meisten Menschen, die bis dahin ein ganz normales Leben in der Ukraine geführt haben.

Auf einmal stand der Vater vor der Tür, die Kinder haben sich so gefreut.
Yulia Sviachena

Wolodomyr, genannt Vova, der 14-Jährige Sohn, hatte dem 24. Februar eigentlich freudig entgegengefiebert – es war der Tag, an dem er mit seiner Tanzgruppe zu einem internationalen Wettbewerb nach London hätte fliegen sollen. Neben der Schule betreibt er das Tanzen, das in der Ukraine einen hohen Stellenwert hat, gemeinsam mit seiner Tanzpartnerin als Leistungssport. In ihrer Altersklasse sind die beiden Vizeweltmeister. Aber statt nach Großbritannien flüchtet er mit seinen Eltern und der 12-jährigen Schwester Katya ins Ferienhaus ans Schwarze Meer. „Wir haben allerdings schnell gemerkt, dass wir auch dort vor dem Krieg nicht sicher sind“, sagt Yulia Sviachena, die in der Ukraine als Maklerin gearbeitet hat. Ihnen wird klar, dass sie die Ukraine verlassen müssen. Kontakt nach Köln bekommen sie über den Tanzsportverein „Art of Dance Köln“, der schon lange intensive Kontakte in die Ukraine pflegt.

Über Bekannte erfährt das Ehepaar Steffi und Herjo Thiel von der Hilfsaktion. Sie sind sich einig, dass sie eine Mutter und ein oder zwei Kinder in ihrem Haus aufnehmen wollen. Während ihr Mann Denys in der Ukraine bleiben muss, macht sich Yulia mit den beiden Kindern Anfang März im Nachtzug auf Richtung Köln. „Normalerweise ist in einem Abteil Platz für vier Menschen, wir waren zehn, das war wirklich nicht schön, trotzdem waren wir froh, im Zug zu sein“, erinnert sie sich.

Insgesamt drei Tage sind sie unterwegs, über Warschau und Berlin landen sie schließlich am Kölner Hauptbahnhof – wo Steffi Thiel sie in Empfang nimmt. „Wir hatten uns vorher schon Fotos geschickt, deshalb konnten wir uns auf dem Bahngleis ziemlich schnell finden. Wir waren natürlich alle etwas aufgeregt, aber vor allem glücklich“, erinnert sich die Neuehrenfelderin.

Vova und Katya gehen auf die Liebfrauenschule in Lindenthal

„Wir haben uns sofort gut verstanden“, erzählt Herjo Thiel. „Es war toll, dass unsere Verständigung von Anfang an kein Problem war, Yulia spricht englisch, die Kinder sogar sehr gut deutsch, weil sie es seit der ersten Klasse gelernt haben.“ Schon zwei Wochen nach ihrer Ankunft können Vova und Katya auch hier zur Schule gehen, beide besuchen die Liebfrauenschule in Lindenthal. Yulia Sviachenas Mutter und Schwester kommen in Wuppertal unter und Vovas Tanzpartnerin nur einige Straßen vom Haus der Thiels entfernt.

Die schönste Nachricht erreicht die Ukrainerin allerdings einige Monate nach ihrer Ankunft. „Mein Mann hat aus gesundheitlichen Gründen eine Ausnahmegenehmigung vom ukrainischen Staat erhalten und wurde nicht eingezogen. Im Juni hatte er die entsprechenden Papiere und durfte endlich nachkommen“, erinnert sie sich. „Den Kindern hatten wir vorher nichts gesagt und auf einmal stand ihr Vater vor der Tür, sie haben sich so gefreut.“

Bei allem Glück ist die Familie gedanklich oft in der Heimat bei ihren Freunden und der Familie. Sie verfolgen die Nachrichten, sehen die Bilder von zerstörten Städten und machen sich Sorgen. „Mein Vater ist noch in Odessa, die Versorgungslage ist sehr schlecht. Er wohnt im 8. Stock, er muss Etagen zu Fuß gehen, weil der Aufzug nicht läuft, die Wohnung ist meistens kalt. Wir versuchen, so viel Kontakt zu halten wie möglich, aber auch das ist nicht einfach“, erzählt Yulia Sviachena.

Trotz aller Schreckensmeldungen, die sie Tag für Tag aus der Heimat erreichen, haben sich die Sviachenyis entschieden, nach vorne zu schauen und für sich und vor allem für ihre Kinder eine Zukunft in Deutschland aufzubauen. „Hier haben sie einfach mehr Möglichkeiten“, sagt Denys Sviacheny, der inzwischen wieder in seinem Beruf als Masseur arbeitet. Sogar eine eigene Wohnung hat die Familie in Neuehrenfeld gefunden – ganz in der Nähe der Thiels, mit denen sie dieses Weihnachten verbringen.

Wir haben sozusagen eine Familie dazugewonnen.
Herjo Thiel

In der Ukraine fallen die Weihnachtsfeiertage eigentlich auf die Zeit zwischen 6. bis 8. Januar, nach dem julianischen Kalender. „An diesen Tagen feiern wir in Wuppertal bei meiner Mutter, auch mein Vater wird kommen und es wird 12 verschiedene Speisen ohne Fleisch geben, das ist ukrainische Tradition“, erzählt Yulia Sviachena. „Und dass wir schon vorher mit Steffi und Herjo und ihrer Familie feiern, ist einfach unheimlich schön.“ Auch die Thiels freuen sich auf das gemeinsame Weihnachtsfest, wie Herjo Thiel betont: „Wir haben ein halbes Jahr lang zusammengewohnt, für uns war es selbstverständlich, dass wir zusammen feiern. Wir haben sozusagen eine Familie dazugewonnen.“

Auch wenn die ukrainische Familie in der neuen Heimat gut angekommen ist, gibt es traurige Tage. „Die Kinder vermissen ihre Freunde sehr“, sagt Yulia Sviachena „wir alle vermissen unsere Verwandten und Freunde, die noch in der Ukraine sind. Und natürlich das schwarze Meer, weil wir dort unser ganzes Leben lang gewohnt haben.“ Und auf die Frage, was sich die Sviachenyis zu Weihnachten wünschen, zögern sie keine Sekunde: „Frieden.“