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Kölner Forscherin Anja BierwirthNachhaltigkeit schafft soziale Gerechtigkeit

6 min
Anja Bierwirth steht an einen Baum gelehnt in einer Allee in der Kölner Südstadt.

Jedes Zehntel Grad zählt. Anja Bierwirth leitet zahlreiche Forschungsprojekt, um schnellere Planungsprozesse und alternative Lösungswege zu etablieren.

Ein Gespräch mit der Kölner Forscherin Anja Bierwirth über ihre Klimaschutz-Projekte mit mutigen Ämtern, die Wucht sozialer Kipp-Punkte und Schönheits-OPs für Häuser.   

Sie gehen Klimaschutz und Fragen der sozialen Gerechtigkeit in vielen Bereichen gemeinsam an. Wie geht das zusammen?

Das geht, und oft sogar sehr gut. Nachhaltige Mobilität und energetische Gebäudesanierung kommen Menschen mit weniger Geld direkt zugute. Denn sie leben auch in Köln oft in schlecht gedämmten Wohnungen an viel befahrenen Straßen und haben selbst kein Auto. Für Ältere ist Hitzestau, etwa in öffentlichen Gebäuden, eine große Belastung. Ich kenne in Köln Krankenhäuser, da ist die einzige Lösung Durchzug. Und Schulen, die sehr oft Hitzefrei geben müssen. Damit werden Kinder in einkommensschwachen Vierteln von einem überhitzten Gebäude ins nächste geschickt. Wo das geändert wird, gehen soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ganz großartig Hand in Hand. Politisch werden sie trotzdem gegeneinander ausgespielt. Das ärgert mich sehr!

Was muss außerdem noch passieren, damit Köln 2035 so klimaneutral wie möglich ist?

Jede Ecke – jede Straße, jedes Gebäude, jeder Platz, die ich ab jetzt anpacke, muss diesem Ziel genügen. Wenn in einer Straße Leitungen verlegt werden, muss geprüft werden, ob nicht zugleich ein Radweg gebaut oder eine Fläche begrünt werden kann. Aber es wird weiter in Projekte investiert, die dem Ziel entgegenstehen, wie der Ausbau von Straßen.

Bauen ist schlecht für die CO2-Bilanz, aber der Bedarf an Wohnungen ist in Köln riesig. Ein Dilemma?

Es fehlen nicht Wohnungen. Es fehlt altengerechter Wohnraum. Es gibt in Köln sehr viele über 100 Quadratmeter große Wohnungen, in denen nur ein oder zwei Menschen leben. Und in Einfamilienhäusern leben bundesweit im Schnitt 2,3 Personen. Studien belegen, dass die Lebenszufriedenheit ab einer gewissen Wohnungsgröße nicht mehr zunimmt und sich Ältere teils durch die große Wohnfläche überfordert fühlen.

In Österreich ist Wohnungstausch im Mietrecht enthalten und wird oft umgesetzt.
Anja Bierwirth

Aber ausziehen wollen sie oft nicht?

Weil sie ihr Viertel nicht verlassen wollen und es da zu wenig kleinere und altengerechte Wohnungen gibt. Stattdessen wird neben einer Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand gleich die nächste ausgewiesen - „für junge Familien“. Wir müssten in Quartieren das bauen, was fehlt. Kleine Wohnungen und Angebote mit betreutem Wohnen. Denn es wird immer mehr ältere Kölnerinnen und Kölner geben.

In gemischten Quartieren könnte man doch tauschen…

Das klappt eher selten, weil beide Vermieter zustimmen müssen. In Österreich ist Wohnungstausch im Mietrecht enthalten und wird oft umgesetzt. Vermieter müssen das akzeptieren, solange nichts Gravierendes wie etwa Mietschulden dagegen spricht.

Trotzdem soll mit Kreuzfeld das nächste Viertel auf der grünen Wiese entstehen.

Unser Instrumentarium ist auf „Neubau“ ausgerichtet. Mit Umbau oder Umnutzung haben wir keine Erfahrung. Bonn geht hier neue Wege. Es versucht etwa, ein Gewerbegebiet - ein großes, versiegeltes  Areal mit  Infrastruktur - schrittweise neu zu nutzen. In Köln haben wir jeden Menge Brachen und Leerstände - etwa in Mülheim, Ehrenfeld, Kalk - wo Wohnraum entstehen könnte. Selbst in Sülz könnten allein durch Aufstockung 170 Wohneinheiten gebaut werden, das zeigt eine Masterarbeit auf. Zehn Jahre alte Bauvorhaben müssen mit Blick auf das Klimaziel geprüft und wenn nötig neu geplant werden.

Was in den Gremien dann wieder lange dauert.

Trotzdem können wir den Klimawandel nur im demokratischen Konsens stoppen. Aber mit neuen Planungs- und Umsetzungsprozessen, anstatt über jedem Baum oder Parkplatz einzeln zu diskutieren; in dieser Kleinteiligkeit werden wir das nicht schaffen.

Ein Beispiel?

Wir haben ein Projekt in Wiesbaden, das Planung agiler machen will. Der Status quo ist: Ein Amt plant, fünf oder mehr Ämter geben schriftliche, oft divergierende Stellungnahmen ab. Diese Ämter sitzen jetzt an einem Tisch zusammen, bringen ihre Aspekte ein und versuchen, einen guten Kompromiss auszuhandeln. Das spart enorm viel Zeit.

In Köln gibt es hochmotivierte Menschen, die die Stadt verändern wollen. Wir müssen nur die Strukturen schaffen, dass sie das auch können.
Anja Bierwirth

Im großen Köln ginge so etwas nicht?

Doch, denn es geht um kleine Planungsräume. Und in Köln gibt es hochmotivierte Menschen, die die Stadt verändern wollen. Wir müssen nur die Strukturen schaffen, dass sie das auch können. Die Prozesse sind das Problem. Wir haben uns an das „Gegeneinander“ gewöhnt.

Jetzt suchen Sie auch noch eine Kommune mit mutigen Politikern?

Eine, in der die Politiker ihr Parteibuch weglegen und als denkende Personen zusammenkommen, die die Stadt zu mehr Nachhaltigkeit verändern wollen. Ohne dass eigene Ideen gleich getwittert werden. Und die den erarbeiteten Kompromiss gemeinsam präsentieren.

Das wären einschneidende Veränderungen.

Nur so bekommen wir eine Beschleunigung hin. Und etablieren Prozesse, mit denen eine deutlich schnellere Umgestaltung überall möglich wird. Ebenso wichtig ist ehrliche Kommunikation. Jeder einzelne von uns muss verstehen, dass nachhaltige Stadtentwicklung kein Wunschkonzert ist. Wir müssen uns alle umstellen.

Geht das so ganz freiwillig schnell genug?

Es braucht klare Vorgaben und Unterstützungsangebote. Wir sprechen viel über Akzeptanz von Maßnahmen, aber meines Erachtens würde Toleranz oft reichen. Und wir müssen Alternativen anbieten. Der Stellplatz vor der Tür geht nicht mehr, wenn Köln das Klimaziel erreichen will.  Aber der Bau von Radwegen, der ja in Köln erkennbar passiert, kann forciert, Carsharing schnell ausgeweitet, der ÖPNV ausgebaut und Quartiersgaragen geschaffen werden – womöglich auch in der riesigen Tiefgarage am Rheinauhafen.

Gerade in Sachen Auto gibt es massive Proteste…

… etwa gegen die wieder gekippte Umgestaltung der Deutzer Freiheit. Auch hier sind Parkplätze weggefallen. Aber auf einem Platz können vier Fahrräder von Kunden stehen. Viele Studien belegen: Räume, die zum Bleiben einladen, sind das Beste, was einer kleinen, diversen Einkaufsstraße passieren kann. Aber Verkehrsplanung bedeutet auch in Köln immer noch „der Verkehr muss fließen“. Und nicht: „Mach mir ein Mobilitätssystem, das 2035 klimaneutral ist“.

In Köln gibt es Klima-Check-Listen, etwa für Ratsvorlagen. Gibt es Erfahrungswerte, ob das reicht, um Planungen nachhaltiger zu machen? 

Das ist gut, nicht zuletzt, weil es die Verantwortlichen dafür sensibilisiert, das Thema mitzudenken. Als alleiniges Instrument ist es aber nicht ausreichend, um zukünftige Planungen klimaneutral oder  insgesamt nachhaltiger zu machen.

Bekommt Klimafolgenanpassung gerade mehr Beachtung als Klimaschutz?

In der Diskussion nehmen sie sich die Energie weg. Die wichtigste Anpassungsmaßnahme sind aber auch Projekte zum Klimaschutz. Beide haben eine Unmenge von Synergien. Dämmung ist teuer, aber man kann sich auch bei großer Hitze gut in Räumen aufhalten und es wird weniger Energie zum Kühlen verbraucht. Trotzdem werden die Kosten meist nur gegen die eingesparte Heizenergie gerechnet. Wir müssen jetzt für das Klima bauen, mit dem wir in zehn Jahren leben werden. Ein  Breslauer Platz, ohne Bäume und mit einem Glasdach, das nicht vor Sonne schützt, ist das exakte Gegenteil davon.

Wie bekommt man Menschen dazu, mitzumachen?

Es gibt schon viele, die gute Ideen umsetzen wollen. Etwa das Mietstrommodell mit Solarmodulen auf Mietshäusern. Es hat jahrelang ein Nischendasein geführt, weil es für Wohnungsbauunternehmen so schwer umzusetzen ist. Wenn man die Leute machen lassen würde, die wollen, wäre viel gewonnen.

Und wie beim Klima gibt es auch im Sozialen Kipp-Punkte. Wenn eine bestimmte Menge Menschen mitmachen, kommt der Rest nach. Das sieht man an den vielen Radfahrende in Städten, wo der Radverkehr konsequent gefördert wurde: Paris, Kopenhagen, Münster. Oder wenn Menschen die Erfahrung machen, wie sehr Straßen ohne Autos ihre Lebensqualität verbessern.

Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.
Anja Bierwirth

Läuft uns nicht trotz allem die Zeit davon?

Wir müssen dringend überall da anfangen, wo es leicht ist, statt endlos über Ausnahmen zu diskutieren - etwa, wie schwierig die energetische Sanierung von Stuckfassaden ist. Im Klimaprogramm 2010 stand das Wort „Sanierungsverpflichtung“. Dass es rausdiskutiert wurde war ein Riesenfehler. Wieviele Häuser stehen in Köln, für die die Sanierung eine Schönheits-OP wäre, die sich in wenigen Jahren amortisieren würde?

Auch wenn wir das gesteckte Klimaziel nicht erreichen gilt, dass jedes Zehntel-Grad weniger zählt. Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Aufgabe hört nicht auf. Wir müssen versuchen, so schnell wie irgend möglich zu sein.


Anja Bierwirth ist Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel in der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie. Sie lebt in der Kölner Südstadt.