Kölner Geisterzug„Mer klävve am Levve – Jeister trecke för Hück un Morje“

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Das Motto perfekt umgesetzt haben diese drei Jecken.

Das Motto perfekt umgesetzt haben diese drei Jecken.

Offen für alle, kostet nicht, ist politisch und ein Riesenspaß - der Zug der Geister.

Samstagabend, 19 Uhr: Im rechtsrheinischen Buchheim ist bereits die Sonne untergegangen, als sich in der Dunkelheit der Wichheimer Straße scheinbar Paranormales ereignet. Fernes Trommeln durchbricht die Ruhe und bahnt sich immer pochender seinen Weg. Die Pupillen entgeisterter Passanten weiten sich beim Blick gen Horizont, wo schemenhafte Wesen erkennbar werden. Eine unheilvolle Allianz naht durch den Dunst des Sprühregens, die ominöse Trommelmusik wird lauter, die Unruhe größer.

Karneval sollte nicht nur ein Fest sein, bei dem man sich besäuft. Er soll auch politisch sein.
Erich Hermans, Vorsitzender des organisierenden Vereins „Ähzebär un Ko“

Und dann plötzlich sieht man freudentaumelnde Gespenster, sambatanzende Skelette und Hexen mit Pappnasen. Piraten und Zombies, umringt von Jecken in zerfetzten Kostümen. Was für Außenstehende wie Halloween wirkt, ist im Kölner Karneval seit 1991 Tradition. Wie fast jedes Jahr zieht der „Jeisterzoch“ durch die Straßen Kölns, immer auf anderen Routen. Dieser ist sowohl alternativer Umzug als auch politische Demonstration. Als erster Zug der Session findet er inzwischen traditionell am Samstag vor Weiberfastnacht statt. Dieses Jahr lautet das Motto: „Mer klävve am Levve – Jeister trecke för Hück un Morje.“ Unter anderem wird für den Schutz von Leben und Lebensräumen demonstriert. Somit gegen Tierversuche, Artensterben, Umweltverschmutzung, aber auch gegen Kriege.

Friedensbotschaften sind auch bei Geistern guter Ton.

Friedensbotschaften sind auch bei Geistern guter Ton.

Jedes Jahr wählt der Geisterzug eine andere Route. 2024 ging es durch Buchheim und Mülheim. Vom Aufstellplatz in der Wichheimer Straße über die Herler Straße, die Alte Wipperfürther Straße bis zur Frankfurter Straße und hoch zum Wiener Platz. Erich Hermans, Vorsitzender des organisierenden Vereins „Ähzebär un Ko“, freut sich über das Spektakel. Er ist als Ähzebär – dem personifizierten Winter – verkleidet und betont: „Karneval sollte nicht nur ein Fest sein, bei dem man sich besäuft. Er soll auch politisch sein.“

Kamelle und Strüssjer sind nicht erlaubt

Der Geisterzug ist ein karnevalistisch-buntes Treiben, aber eben auf andere Art. Kamelle und Strüssjer sind nicht erlaubt. Dafür darf jeder mitgehen, auch spontan, und selbst ohne Kostüm. Zu den angemeldeten 1500 Menschen gesellen sich so über die Route viele spontan hinzu, wie der 25-jährige Hao. Er lebt seit zwei Wochen in Köln und war mit seinen Freunden eigentlich auf dem Heimweg. „Ich wusste vom Karneval, aber nicht, dass es so einen Zug gibt. Ich finde cool, dass wir einfach mitgehen können.“ Schnell sind sie im Meer aus Jecken, zwischen Waschbär, Freiheitsstatue und Tatortreiniger, verschwunden. Dabei sind das noch die „harmlosesten“ Kostüme. Hier ist viel Personifiziertes unterwegs. Von der bunten Vielfalt, der Endzeit über das verschmutzte Weltmeer und Korallenriffe bis hin zum Geist der traurigen Karnevals-Pferde.

Besonders einfallsreich ist das Kostüm von Sabine und Klaus sie stellen die Ampelkoalition dar. Die beiden sind seit den Anfängen dabei. „Es ist ein großer Spaß, weil der Zug kreativ und frisch ist und politisch viele Botschaften vereint“, sagt Sabine. „Generell ist es wichtiger denn je, zu demonstrieren.“

Es wichtiger denn je, zu demonstrieren.
Sabine und Klaus, Teilnehmende

Der Meinung ist auch Nadine. Sie nimmt mit ihrem Mann Rüdiger seit acht Jahren teil. Tochter Chaya ist auch dabei. „Unsere Tochter war letztes Jahr noch im Kinderwagen dabei, dieses Jahr geht sie selbst mit. Wir mögen den Zug, er ist anti-karnevalistischer als die anderen.“ Und so ziehen Groß und Klein zu Tausenden durch die Straßen. Und das, obwohl es auch schaurig im meteorologischen Sinne ist. Der Regen lässt die Jecken unbeeindruckt. Weil Musik nur ohne Strom erlaubt ist, spielen Samba-Gruppen. Viele haben ihre eigenen „Instrumente“ von zu Hause mitgebracht – und seien es die aus der Küche. Mit Kochlöffeln wird auf Pfannen, Töpfen und sogar Brotdosen geklimpert. Auch improvisierte Rasseln, Trillerpfeifen oder Xylofone finden Anklang.

Laute Geister in der Nacht.

Laute Geister in der Nacht.

Seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht der Geisterzug dann bei den Unterführungen am Mülheimer Bahnhof. Unter den grün beleuchteten Tunnelbögen liefert sich die Trommeltruppe „Katakichi Cologne“ in giftgrünen Kostümen ein wahrhaftes Trommelgefecht. Von T-Rex bis Qualle tanzen alle im Rhythmus mit. Dann geht es für die kreativen Kostümträger weiter. Darunter: Neon-Strichmännchen, Regenwolken, Disco gegen Nazis oder Cyber-Punks. Schlussendlich erreicht der andersartige Schmelztiegel der karnevalistischen Euphorie um 21:11 Uhr den Wiener Platz. Und während manche Jecken schon nach Hause gehen, bleiben andere noch bei der Kundgebung im Anschluss.

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