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Zwischen Instagram und KrankenhausKölner Influencer „Gynäkollege“ klärt online auf

Lesezeit 3 Minuten
Dr. med. Mertcan Usluer ist der „Gynäkollege“

Dr. med. Mertcan Usluer ist der „Gynäkollege“

Dr. Mertcan Usluer über Körperwissen, Klinikalltag und digitale Aufklärung.

Als wir Dr. Mertcan Usluer erreichen, liegen zwei 24-Stunden-Dienste in der Geburtshilfe hinter ihm. Er arbeitet im Evangelischen Klinikum Köln Weyertal als Assistenzarzt für Gynäkologie. Seit drei Jahren ist er dort im Dienst. Doch man hört ihm die Erschöpfung nicht an. Seine Stimme klingt ruhig, klar und freundlich. „Mir geht’s gut“, sagt er. „Ein bisschen gestresst vielleicht. Aber es sind schöne Dinge.“

Neben seiner Arbeit im Krankenhaus ist Usluer in den sozialen Netzwerken unter dem Namen „Gynäkollege“ aktiv. Dort klärt er medizinisch auf. Mehr als 255.000 Menschen folgen ihm. In kurzen Videos erklärt er Themen wie den weiblichen Zyklus, Verhütung, hormonelle Therapien, Geburt, Kinderwunsch, Wechseljahre und Hormonbehandlung. Aber auch politische und strukturelle Fragen sind Teil seiner Arbeit: Wie sieht eine gerechte medizinische Versorgung aus? Wer erfährt Diskriminierung? Wie kann Medizin intersektional gedacht werden?

Aufklärung über Vorurteile in der Medizin

Das Interesse seiner Schwester an Medizin brachte ihn ins Studium. Im Praktikum kam der Wendepunkt. Er saß in einer Beratung zu Verhütung und Hormontherapie. „Da wurde mir klar: Das ist mehr als nur ein Fach. Das ist politisch.“ Schon im Studium arbeitete er als Hilfskraft und als Lehrperson. Er bereitete Inhalte grafisch auf. Er erklärte Dinge, die sonst kaum angesprochen wurden. Der Schritt in die digitale Aufklärung war für ihn logisch. Er habe Wissen teilen wollen. Für Menschen, die oft übersehen werden. 

Besonders oft schreiben ihm queere Menschen oder Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie berichten von Diskriminierung im Wartezimmer, von unangemessenen Fragen, von Blicken, die verunsichern. Manche erzählen, dass ihre Identität ignoriert oder infrage gestellt wurde. Andere berichten von falschen Diagnosen oder ungleichen Behandlungen. „Viele erleben, dass ihnen nicht geglaubt wird“, sagt Dr. Usluer. „Oder dass Beschwerden abgetan werden.“ Er sagt auch: „Die Medizin ist oft gar nicht auf diese Menschen ausgerichtet. Und das führt zu echten Behandlungsfehlern.“ Diese Erfahrungen seien kein Zufall. Sie zeigten, wie weit Vorurteile in der Medizin reichen. „Es betrifft queere Menschen genauso wie Menschen, die rassistische Erfahrungen machen. Und es braucht mehr Sichtbarkeit, Empathie und Solidarität.“

Ich wünsche mir mehr Freundlichkeit und Wohlwollen statt Hass. Das würde schon vieles verändern.
Dr. Mertcan Usluer, der „Gynäkollege“

Seine Vorbilder findet er nicht in der Medizin. Aber er nennt Aiman Abdallah, Ranga Yogeshwar und Martin Nguyen. Menschen, die wissenschaftliche Inhalte öffentlich erklären – verständlich und ohne Hürde. Täglich erhält er Fragen aus seiner Community. Es geht um Zykluswissen, Hormontherapien, queere Perspektiven, transmedizinische Versorgung, Geburten, Verhütung und Schamgrenzen in der Untersuchung. Viele schreiben, dass sie sich in der klassischen Medizin nicht wiederfinden oder nie gefragt wurden, wie es ihnen eigentlich geht. „Ich wünsche mir mehr Empathie und Mitgefühl. Wir wissen nie, womit jemand innerlich gerade kämpft. Ich wünsche mir mehr Freundlichkeit und Wohlwollen statt Hass. Das würde schon vieles verändern.“

Neben der Arbeit im Krankenhaus und dem Auftritt auf Social Media, war er auch auf großen Bühnen: TINCON, re:publica, die Comedyshow „Geschlechtsverkehrt“ mit Kölner Content Creatorin Samantha Eiding und Comedian Serkan Ateş-Stein. Humor ist für ihn Teil der Aufklärung. „Er nimmt Druck raus. Er macht Themen leichter zugänglich. Nicht, weil sie nicht wichtig sind. Sondern, weil viele erst dann zuhören.“