Kölsche LiederDie Kneipenchöre von Köln
Köln – Missverständnisse lässt Margot Schiesberg, Wirtin des „Weißen Holunder“, gar nicht erst aufkommen. „Wir sind kein Chor“, sagt sie. Punkt. Es gebe keine Auftritte, keine ernsthaften Proben. Es sollen schon Menschen versucht haben, die Sänger zu buchen. Doch die einzige Bühne für die Hobby-Musiker ist die Kneipe.
Die Atmosphäre ist fast schon andächtig, wenn sonntags in der Kultkneipe im Belgischen Viertel die Liederhefte verteilt werden. „Lokalhelden“ stehen dieses Mal auf dem Programm. Ein Mann mit Akkordeon stimmt „Die Hüsjer bunt om Aldermaat“ an. Als der Geräuschpegel in der Kneipe kurzzeitig anschwillt, sorgt Margot Schiesberg für klare Verhältnisse. „Könnt ihr mal aufhören zu schwade. Wir sind hier zum Singen.“ Punkt.
In vielen Kölner Kneipen wird gesungen – und das nicht nur an der Theke kurz vor Ladenschluss. Eine lebendige Szene hat sich in vielen Veedeln etabliert. Mit Karneval hat das nichts zu tun. Die ausgeprägte Sangesfreude ist vielmehr gelebtes Brauchtum. Kölsche Musik spielt auch beim „Singenden Holunder“ nur eine Nebenrolle. „Es treffen drei Traditionslinien aufeinander: bündische Lieder, internationale Musik und kölsche Lieder“, erklärt Akkordeonspieler Christian Hecker. Der Film „Sound of Heimat“, der voriges Jahr im Kino lief, habe der Szene einen gewaltigen Aufschub gegeben.
Zwei Stunden lang wechseln sich an diesem Abend im Holunder mehrere Chöre ab. „Danach beginnt die offene Therapiestunde. Wer ein Lied weiß, legt los“, sagt Gina Mues. Auch sie spielt Akkordeon. „Ich habe mich überwunden und einfach gespielt“, meint sie. „Man kann sein Bierchen trinken. Irgendwann herrscht Anarchie“, sagt Hecker. Als nächstes wird „Mönch und Nonne“ angestimmt, ein Volkslied aus dem 17. Jahrhundert.
Ortswechsel: Im Sülzer Brauhaus Unkelbach sitzen 20 Frauen und Männer um einen Tisch im ersten Stock. Ein Köbes bringt Kölsch und Halven Hahn. Immer dienstags trifft sich der „Ostermannchor“. „Wir sind kein Chor, dafür wird das Singen nicht ernst genug betrieben“, sagt Peter Schmitz-Hellwig, ehemaliger Präsident der Willi-Ostermann-Gesellschaft. Er hat die Gruppe vor vier Jahren gegründet.
Dort, wo der Chor probt, sind die Wände mit Motiven aus Ostermanns Liedern bemalt. „Fahr hin, du trauriger Geselle – der Drachenfels auf alle Fälle – nimmt dir dein ganzes Herzelein“, singt der Chor. Franz Nürnberger dirigiert, Hans Kampfer spielt Akkordeon. „Wir wollen die Pflege der Ostermann-Lieder aufrechterhalten“, sagt Schmitz-Hellwig, auch dessen Weihnachtslieder werden gesungen.
Einen Auftritt hat der Chor dann doch: Immer am 6. August, dem Todestag von Willi Ostermann, versammeln sich die Sänger am Grab des Komponisten auf Melaten – und singen seine Lieder.