Plötzlich FamilieKölnerin erzählt, was es bedeutet ein Pflegekind aufzunehmen

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Köln – Ursprünglich hatten Anna Schneider (alle Namen geändert) und ihr Mann sich eigene Kinder gewünscht. Als das nicht klappte, dachten sie über eine Adoption nach. Weil auch das sich nicht einfach gestaltete, bewarben die Schneiders sich schließlich als Pflegeeltern.
„Wir mussten ungefähr 20 Seiten darüber ausfüllen, welche Vorgeschichte des Kindes für uns annehmbar wäre, wir wurden natürlich ,durchleuchtet' und absolvierten verschiedene Kurse. Dann hieß es wieder: warten“, erinnert sich Anna Schneider, heute 53 Jahre alt: „Wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben, da erhielt ich eines Tages einen Anruf bei meiner Arbeit: „Ich hätte da ein Kind für Sie!“
Keine neun Monate Vorbereitungszeit
Das ist inzwischen zwölf Jahre her. So lange schon lebt Katy bei den Schneiders. Vier Jahre später kam Max noch dazu. Beide waren Babys, als die Schneiders sie aufnahmen. Die anfängliche Umstellung sei groß gewesen, erzählt die Pflegemutter: „Ich war auf ein Kind einfach nicht so vorbereitet wie eine Frau, die es neun Monate lang austrägt.“
Doch es gab auch noch einen anderen Unterschied zur klassischen Familie mit leiblichem Verwandtschaftsverhältnis: „Ich hatte die falsche Vorstellung, Katy sei jetzt unser Kind. Aber wir merkten schnell, dass es so nicht war. Ständig kam jemand und wollte etwas von uns: Gespräche mit dem Pflegekinderdienst, mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst, mit dem Vormund. Am Anfang, in der Eingewöhnungsphase, wollte ich einen Termin um eine Woche verschieben. Daraufhin wurden wir gleich beim Jugendamt zum gemeinsamen Gespräch mit dem Vormund einbestellt und es hieß: So geht das nicht!“
Info-Veranstaltung

Bunt, aber nicht einfach: Pflegeeltern werden gesucht, im Alltag müssen sie aber einige Hürden überwinden.
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600 Pflegekinder leben nach Auskunft der Stadt derzeit in Köln. Sie leben in 525 Pflegefamilie. Weitere Paare, Einzelpersonen oder Familien, die einem Pflegekind ein Zuhause geben möchten, werden ständig gesucht. Pädagogische Fachkenntnisse werden nicht vorausgesetzt, sondern Freude am Zusammenleben mit Kindern, Geduld, Zeit und Belastbarkeit.
Interessierte können am morgigen Donnerstag, 7. April 2022, von 19.30 bis 21 Uhr mehr erfahren: Der Pflegekinderdienst des Jugendamtes lädt in Kooperation mit dem Familienbildungswerk und dem Familienforum Agnesviertel zu einem Informationsabend ein. (jot)
Der Abend findet statt an der Weißenburgstraße 14, 50670 Köln. Anmeldung per Mail an info.agnesviertel@familienbildung-koeln.de oder telefonisch unter (0221) 77 53 460.
Mehr Pflichten und weniger Rechte
Pflegeeltern, sagt Anna Schneider, haben deutlich mehr Pflichten, aber weniger Rechte als leibliche oder Adoptiveltern. Das sei nicht immer leicht. „Ich liebe die Kinder, aber ich würde das wahrscheinlich nicht noch einmal so machen, nicht wegen der Kinder, sondern wegen der Bürokratie. Im Nachhinein würde ich mich stärker um eine Adoption bemühen“, gibt sie offen zu. Schwierig sei, dass es kaum einheitliche Regeln gäbe. Das liege zum einen daran, dass die Sorgerechtskonstellationen im Zusammenhang mit Pflegekindern so vielfältig seien, zum anderen aber auch daran, dass amtliche Entscheidungen manchmal von Bezirk zu Bezirk verschieden seien.
Belastend sei, dass man sich für viele alltägliche Entscheidungen rechtfertigen oder vorab Genehmigungen einholen müsse: „Selbst, wenn man nur für drei Tage nach Holland oder Österreich fahren möchte, ist das ja eine Reise ins Ausland, die man, je nach Sorgerechtskonstellation, vorher beim Vormund oder den leiblichen Eltern beantragen muss“, sagt Anna Schneider.
Oft muss man dem Geld hinterherlaufen
Dadurch, dass ihre Pflegetochter eine Behinderung hat, seien viele medizinische Fragen zu entscheiden gewesen. „Wir hatten Glück: Unsere erste Vormünderin ist von sich aus auf uns zugekommen, um uns die Gesundheitsfürsorge, also den medizinischen Teil des Sorgerechts, zu übertragen, da sie in dieser schwierigen Materie nicht so viel Wissen hatte wie wir“, so Anna Schneider. Seither sei manches leichter. Schwierig bliebe aber, dass man oft dem Geld hinterherlaufen müsse, wenn mit Blick auf Bedürfnisse Ausgaben anstehen, meint die Pflegemutter, die ihren Job bei einer Versicherung aufgegeben hat, um sich besser um die Betreuung ihrer Pflegekinder kümmern zu können.
Überhaupt müsse alles im Vorfeld beantrag werden, was manchmal kaum möglich sei. Dann müsse man in Vorkasse gehen – in der Hoffnung auf eine Erstattung. Möglich sei das für ihre Familie, weil ihr Mann in leitender Funktion arbeite. Trotzdem sei es nicht schön, dass es manchmal Wochen dauere, bis die Stadt auf Anträge reagiere: „Es wird einem das Gefühl gegeben, dass man sich bereichern möchte, obwohl es dem Kind eigentlich zusteht.“
Aufgrund der Behinderung ihrer Tochter ist für die Betreuung inzwischen der Landschaftsverband Rheinland zuständig. „Wir haben bis jetzt die Erfahrung gemacht, dass die dort viel schneller und zuverlässiger arbeiten als die Stadt“, so ihre Erfahrung. Mehrere Pflegeeltern und Mitarbeiter des Bereichs Kinderpflegedienstes seien aber im Gespräch, um Schwachstellen im System zu verbessern – etwa die unterschiedliche Handhabung von Angelegenheiten je nach Stadtbezirk. Eines, sagt Anna Schneider, müsse man aber hervorheben: „Pflegekinder sind, genauso wie Adoptivkinder, gewollte Kinder.“ Das gelte auch für jene, die wegen einer schwierigen Herkunftsfamilie eine Herausforderung für die Pflegeeltern darstellen. In ihren Herkunftsfamilien mag es Probleme gegeben haben – doch die Pflegeeltern haben sich bewusst für die Aufnahme der Kinder entschieden.