Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

CSD in KölnQueere Menschen im Alter - Diverse Gemeinschaft im AWO-Seniorenzentrum in Zündorf

4 min

Seniorin Anne Steimle und Fachbereichsleitung Elisabeth Römisch

Queere Menschen im Alter benötigen eine LSBTIQ*-sensible Pflege. Im AWO-Seniorenzentrum Lotte-Lemke-Haus in Zündorf wird die diverse Gemeinschaft gelebt.

„Ich bin froh, dass wir hier in Sicherheit sind“, sagt Seniorin Anne Steimle. Ein Satz, der schwer wiegt. Angstfrei im Alter zu leben, ist nicht selbstverständlich. Die 70-Jährige lebt mit ihrer 76-jährigen Lebensgefährtin in einer Service-Wohnung am Lotte-Lemke-Haus in Zündorf. Das im August vergangenen Jahres eröffnete AWO-Seniorenzentrum möchte ein „Zuhause für Senior*innen“ sein. Für alle.

„Der Verein rubicon, mit dem wir schon seit vielen Jahren kooperieren, fragte nach einem Haus für queere Senior*innen“, erinnert sich Elisabeth Römisch, Fachbereichsleiterin für Senior*innen beim AWO-Kreisverband Köln. So wurde ein Haus mit elf Wohnungen am Komplex Lotte-Lemke-Haus für dieses Projekt reserviert. Die AWO hat sich bereits am  Modellprojekt ,Queer im Alter' beteiligt und sich als „Lebensort Vielfalt“ von der Schwulenberatung Berlin zertifizieren lassen. Dafür müssen zahlreiche Kriterien erfüllt sein. Zur LSBTIQ*-sensiblen Pflege gehören aufgeklärtes Personal, sensible Sprache, aber auch Unisex-Toiletten oder „divers“ als mögliche Antwort nach dem Geschlecht auf Fragebögen, zählt Römisch einige Beispiele auf: „Und wir müssen stetig weiter daran arbeiten, um das Siegel zu behalten.“

„Wohlwollendes Miteinander“

Die ehemalige Internatsleiterin Steimle und ihre Partnerin waren auf der Suche nach einer Wohnung in Köln, weil sie Teil des rubicon-Stammtisches „Golden Girls“ für Lesben über 60 sind. Als sie von dem Porzer AWO-Haus hörten, ahnten sie, dass dies der richtige Ort für sie sein könnte. So zogen sie aus dem Sauerland in die neue 75 Quadratmeter große Wohnung. „Wir fühlen uns hier sehr willkommen“, sagt Steimle und lobt das „wohlwollende Miteinander“. Sie mag die diverse Mischung der Menschen, die hier leben. Auch mit der jüngsten Generation gibt es dank der AWO-Kindertagesstätte „Doppeltes Lottchen“ nebenan regen Austausch.

Beim Einzug, erinnert sich Steimle, hätten sie sich erst einmal gedacht: „Wir gucken mal, was da für Menschen sind.“ Aber wenn man sich dann kennenlerne, sei es doch vollkommen egal, wer wen und wie liebt. Ihr Leben lang habe sie in Gemeinschaft gelebt, es gebe nichts Besseres. Das sehen die anderen im Lotte-Lemke-Haus offenbar zum Glück ähnlich. Dies sichert auch der Ehrenkodex, der vor dem Einzug unterschrieben werden muss und der besagt, dass niemand diskriminiert wird. „Ich habe das Gefühl, dass hier jeder Interesse am gegenseitigen Kontakt hat“, sagt Steimle. So trifft man sich bei vielen gemeinsamen Veranstaltungen, zum Feiern im Garten, hilft aber auch mal mit dem Einkauf, wenn jemand gesundheitlich eingeschränkt ist. Steimle betont: „Die Hausgemeinschaft ist schon sehr besonders.“

Ohne Angst und Scham

„Aber auch die Menschen, die hier arbeiten, leben das komplett“, sagt Steimle. Dazu tragen unter anderem die Mitarbeiterschulungen bei. 75 Prozent des AWO-Personals wird geschult, auch um eventuelle Vorurteile abzubauen. Das geht weit über die Pflegekräfte hinaus. Gelernt werde laut Römisch, wie den Menschen begegnet wird, aber beispielsweise auch der Umgang mit HIV-Erkrankten, denn da gebe es noch viele Res­sen­ti­ments. Und immer wieder spielt die Sprache eine große Rolle: Welche Fragen dürfen beispielsweise gestellt werden, wenn auf alten Fotos der Senior vielleicht Arm in Arm mit einem Mann zu sehen ist?

„Längst nicht alle älteren Menschen sind geoutet, bei vielen herrschen nach wie vor Angst und Scham vor“, weiß Römisch. Viele hätten Ausgrenzung in ihrem Leben erfahren, Brüche in ihren Biografien und oftmals keinen Kontakt mehr zu Angehörigen. „Manche wurden damals sogar noch zur Therapie geschickt oder zur Geschlechtsangleichung zwangsoperiert“, berichtet Römisch. Umso wichtiger sei deshalb der tolerante Umgang des Personals mit den älteren Menschen. „Wir sind ein offenes Haus, hier muss niemand Ängste haben“, sagt Römisch. „Die Bewohner*innen müssen sich nicht ständig erklären, weshalb ihr Lebensentwurf so war, wie er war.“

Sorgen in der Community werden größer

Noch sind Steimle und ihre Lebensgefährtin nicht auf Pflege angewiesen. Sollte es aber eines Tages so weit kommen, können sie möglichst lange zusammen in ihrer Wohnung bleiben. „Wenn wir Hilfe benötigen sollten, werden wir diese hier bekommen“, ist sich Steimle sicher. Sie fühlen sich gut aufgehoben. „Ich habe ganz, ganz großes Glück und bin jeden Tag dankbar, hier leben zu dürfen.“ 

Zwar habe sie selbst wenig Diskriminierung in ihrem Leben erfahren müssen, erzählt Steimle, sie weiß aber, dass die Sorgen in der queeren Community wieder größer werden, auch mit Blick auf den Christopher Street Day (CSD) an diesem Wochenende. „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es immer gefährlicher wird. Viele haben Angst, dass etwas passiert.“ Dass die Lage schon mal besser war, sieht Römisch ähnlich: „Gerade jetzt ist es so wichtig, dass alle zum CSD gehen.“ Selbst in einer Stadt wie Köln seien Toleranz und Offenheit keine Selbstverständlichkeit. Deswegen sei auch die AWO immer bei dieser politischen Demonstration mit einer Fußtruppe dabei.

An der Parade an diesem Sonntag kann die 70-jährige Anne Steimle wegen Problemen mit der Hüfte leider nicht teilnehmen. Aber sie hofft: „Beim nächsten Mal bin ich wieder dabei.“