„Retter vom Rhein“ starb vor einem JahrFamilie trauert um Ali Kurt: Noch heilt die Zeit keine Wunden

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Einen Erinnerungsplatz haben Angehörige und Freunde an der Unglücksstelle errichtet.

Einen Erinnerungsplatz haben Angehörige und Freunde an der Unglücksstelle errichtet.

Köln – Mindestens einmal pro Woche besucht Cemre (12) seinen Vater und erzählt aus seinem Leben. Von den Herausforderungen des Gymnasiums zum Beispiel oder von seinem Boxverein, wo er seit Kurzem trainiert. Dann steht er da und redet drauf los, ganz allein, manchmal ist seine Mutter dabei. Auf dem Friedhof in Stammheim. Am Grab von Ali Kurt.

Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es, aber noch ist nicht genug davon vergangen. Abends, vor dem Schlafengehen, spürt Bensu (7) das Fehlen ihres Vaters am meisten. „Er hat ihr immer Gutenacht-Geschichten vorgelesen, sie weint dann öfters, weil er nicht mehr da ist“, erzählt Oktay Ilgaz, Schwager von Ali Kurt. Überhaupt habe er sich viel um seine Kinder gekümmert, im Fußballclub seines Sohnes war er der Trainer. Seit seinem Tod erhalten die Kinder psychologische Hilfe. Sein ältester Sohn aus erster Ehe ist bereits erwachsen.

Es war der 15. März 2014 als aus Ali Kurt der „Held vom Rhein“ wurde, wie seine Familie ihn nennt. Vom Wohnzimmerfenster aus hatte er zwei Mädchen (6/10) im Fluss treiben sehen. Sofort war er hinunter gelaufen und ins Wasser gesprungen. Während Passanten das ältere Mädchen retten konnten, blieb die sechsjährige Claudette so lange unter Wasser, dass sie später im Krankenhaus starb. Und Ali Kurt, der beide Mädchen retten wollte, wurde abgetrieben, von der Strömung mitgerissen und erst nach zwei Wochen bei Xanten angespült.

Den Job gekündigt, um der Familie zu helfen

In diesen Tagen soll auf dem Friedhof in Stammheim der Grabstein aufgestellt werden, die Inschrift wird lauten: „Ali Kurt – Der Held vom Rhein“. Ein Foto des dreifachen Vaters soll ebenfalls in den Stein eingearbeitet werden. Nur wenige Meter entfernt liegt die kleine Claudette begraben. Am Samstag wollen etwa 300 Freunde und Angehörige von Ali Kurt eine Andacht in der alevitischen Gemeinde in Chorweiler feiern. Viele von ihnen hatten vor einem Jahr rheinabwärts in Kleingruppen nach der Leiche des Ertrunkenen gesucht. Die quälende Ungewissheit vom Verbleib des Vaters sollte sich endlich in traurige Gewissheit wandeln.

Zu Ehren von Ali Kurt findet am Sonntag, 15. März, ein Benefizlauf am Rheinufer statt. Start ist um 12 Uhr am Haus der Ruderer des RTHC Bayer Leverkusen (Am Stammheimer Schlosspark 20), er führt zur Mülheimer Brücke.

Ab 11 Uhr sind Anmeldungen am Start möglich, die Teilnahme kostet fünf Euro, der Erlös ist für den Kinder- und Jugendhospizdienst bestimmt. Es wird mit etwa 500 Teilnehmern gerechnet. (tho)

In Kürze will die Stadt der Familie eine Ehrenmedaille für den Einsatz von Ali Kurt verleihen. Ohnehin will die Familie ihrem tragischen Helden posthum zur Unsterblichkeit verhelfen. Am liebsten würde sie in Stammheim eine Straße nach ihm benennen oder ein Mahnmal am Rheinufer aufstellen. „Für uns ist wichtig, dass sein Name lebendig bleibt. Und seine Kinder sollen später verstehen, warum er ins Wasser gesprungen ist“, erklärt Ilgaz. Offizielle Anträge für diese Vorhaben seien noch nicht gestellt worden. Noch gibt es Dringenderes.

Wie schwer solche Vorhaben umzusetzen sind, hat die Familie bereits kurz nach dem Tod von Ali Kurt festgestellt. Um auf die Gefahren des Rheins hinzuweisen, hatten sie sich dafür eingesetzt, dass Warntafeln oder Rettungsringe entlang des Ufers angebracht werden. „In Hamburg gibt es so etwas, aber das kostet Geld und die Stadt hat Sorge, dass die Rettungsringe gestohlen werden“, sagt Oktay Ilgaz und blickt auf die Linien und Kringel, die von der tückischen Strömung auf die Wasseroberfläche gemalt werden. „Sieben Stundenkilometer fließt der Rhein schnell, in tieferen Wasserschichten sind es 14 Stundenkilometer“, weiß er. Es sind Fakten, von denen er sich wünschte, sie nicht zu kennen.

Den Verlust von Ali Kurt versucht die Familie so gut es geht gemeinsam zu kompensieren. Oktay Ilgaz hat seinen Job in München aufgegeben und ist mit seiner Frau nach Stammheim gezogen. „Einen neuen Job habe ich noch nicht, aber die Kinder brauchen Unterstützung. Für sie bin ich eine Art Vaterfigur“, sagt er. Auch die Großeltern seien nach Köln gekommen, um der Witwe und den Kindern zu helfen. „Sie ist eine starke Frau“, sagt er. Um die Familie zu ernähren, arbeite sie so viel es geht. Sie versuche die Situation bestmöglich zu meistern.

Auf der Fensterbank im Wohnzimmer steht heute eine Lilie. Es ist jene Stelle, an der das Unheil vor einem Jahr seinen Lauf nahm.

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