Rinderwahnsinn in WorringenWütende Anwohner zerschneiden Zaun – Kompromiss in Sicht

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  • Seit 21 Hektar der einst frei zugänglichen Rheinwiesen eingezäunt worden sind, kocht die Wut der Bürger hoch.
  • Der Konflikt: Wo jetzt die Rinder weiden, möchten auch die Worringer die Natur genießen.
  • Mehrfach wurden nun die Zäune zerschnitten. Doch endlich ist ein Kompromiss in Sicht

Köln – Die Rinder sind noch da. Sie haben es sich auf der südlichen Weidefläche der Worringer Aue gemütlich gemacht und den sozialen Netzwerken und dem dort tobenden Zorn, der sich durchaus gegen sie persönlich richtet, keinerlei Beachtung geschenkt. Den Tag über hatte die Nachricht die Runde gemacht, die Tiere seien quasi aus Sicherheitsgründen entfernt worden. Aber Fluchtgedanken hat offenbar keins der Rinder entwickelt.

Dabei gäbe es durchaus Anlass zur Sorge. Denn seit die 21 Hektar der einst frei zugänglichen Rheinwiesen eingezäunt worden sind, kocht die Wut der Bürger hoch. Die Fläche in der Worringer Rheinaue ist als Ausgleichsfläche für den Ausbau der Bundesautobahn A1 zwischen Anschlussstelle Köln-Niehl und Autobahnkreuz Leverkusen-West einschließlich des Neubaus der Rheinbrücke Leverkusen auserkoren worden. Die Wahl der Ausgleichsmaßnahme gab die Stadtverwaltung vor, der Landesbetrieb Straßen.NRW setzte die Maßnahme um. Genauer gesagt bestimmte sie einen Schäfer, der die Aue mit acht Mütterkühen und ihren Kälbchen, drei Jungrindern und einem Bullen bestückte. Ihr Auftrag: Weiden zur Landschaftspflege im Naturschutzgebiet.

Interessenskonflikt Rind vs. Spaziergänger

Dem kommen die Glanrinder seit zwei Wochen in aller Gemütsruhe nach. Doch, wo die Rinder weiden, möchten auch die Worringer die Natur genießen. Auf einer Informationsveranstaltung, zu der 300 Anwohner kamen, schlug der Stadt die geballte Wut der Bürger entgegen. „Ich will dort auch meine Seele baumeln lassen“, rief ein Teilnehmer erzürnt. Dass man sich nicht vom Rhein abschneiden lasse und dass ein Stacheldrahtzaun in einem Naturschutzgebiet sowieso ein Unding sei. Der müsse weg, sagt Kaspar Dick, Vorsitzender des Bürgervereins. Einige Anwohner riefen eine Onlinepetition ins Leben, schnell fanden sich 1200 Unterstützer. Auch bei der Bezirksvertretung am Donnerstag wollen die Worringer protestieren.

Wollen in Ruhe grasen: die Glanrinder in Worringen.

Wollen in Ruhe grasen: die Glanrinder in Worringen.

Unbekannte ließen den Worten Taten folgen. Mehrfach durchschnitten Täter Zaun und Stacheldraht, das letzte Mal in der Nacht zu Dienstag und zwar auf beiden Seiten des Werthweges. Ein Handwerker war am Mittwoch schwer mit Ausbesserungsarbeiten beschäftigt. Der Schäfer erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Es geht auch um Haftungsfragen –falls doch mal ein Tier das Gelände verlassen sollte. Die Eskalation des Konfliktes ließ die Stadt am Mittwoch einen Krisengipfel einberufen. „Eine Maßnahme gegen 100 Prozent Ablehnung durchzusetzen, macht keinen Sinn“, sagt Joachim Bauer, Abteilungsleiter im Umweltamt. „Die Botschaft ist angekommen, wir sind kompromissbereit.“ Mit am Tisch saßen Vertreter von Straßen.NRW und der Unteren Naturschutzbehörde. Leider sei die Bürgerveranstaltung nicht sehr konstruktiv gewesen, sagt Bauer, aber gesucht sei nun eine Lösung, mit der Bürger wie Rinder gut leben können.

Glanrinder

Ende April hatte die Stadt mitgeteilt, in der Worringer Aue Rinder anzusiedeln. Das Glanrind ist eine alte Haustierrasse und vom Aussterben bedroht. Man findet es mittlerweile in verschiedenen Auenbereichen, etwa auch in der Wahner Heide.

Die Ansiedlung in der Worringer Rheinaue ist Teil eines Pflege- und Entwicklungskonzeptes. Die Beweidung dient dem Naturschutz und schaffe neue Lebensräume für streng geschützte Wiesenbrüter. Durch die Beruhigung des Gebietes haben Vögel bessere Bedingungen, Nistplätze anzulegen und ihre Brut aufzuziehen. (EB)

Offenbar läuft der Flächenstreit darauf hinaus, dass die Bürger wieder einen breiteren Zugang zum Rhein bekommen und die Weideflächen der Rinder neu abgesteckt werden. Die Rinder werden sich also vermutlich etwas bescheiden müssen.

Ganz so spontan wie es nun erscheint hat die Stadt die Aue übrigens nicht entdeckt. Schon im Jahr 2000 wurde rund um das Gebiet der Pflege- und Entwicklungsplan der Stadt Köln definiert und 2014 zuletzt überarbeitet. In dem Plan wurde die Fläche als Extensivgrünland mit Beweidung aufgeführt. Und klare Regeln galten schon, bevor die Zäune kamen: Wege dürfen nicht verlassen werden, Grillen ist verboten und Hunde müssen angeleint sein. Um es vorsichtig zu sagen: Daran hält sich nicht jeder.

Klar war mit der Ansiedlung der Rinder aber auch: Die Aue soll weiterhin für Erholungssuchende zugänglich sein, als Zugang zum Rhein wurde eine Verlängerung des Werthweges zwischen den großen Weideflächen offen gelassen. Zusätzlich wurde ein unbefestigter Weg entlang der Weidefläche und damit ein Rundweg in Richtung Osten ermöglicht.

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Nun bekommen die Bürger offenbar mehr Platz eingeräumt. Doch bevor Anwohner und Rinder den Frieden von Worringen finden, benötigt der Vorschlag den Segen der nächsten Hierarchieebene. Die Höhere Naturschutzbehörde der Bezirksregierung muss zustimmen. Bauer hofft, dass Ende dieser oder Anfang nächster Woche die Kuh vom Eis ist: „Damit die Tiere in Ruhe grasen können.“

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