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Rita Gorklo-BlameuserSo führte sie den Offenen Ganztag in Köln ein

Lesezeit 5 Minuten
Rita Gorklo-Blameuser unterhält sich.

Im Rundschau-Gespräch: Rita Gorklo-Blameuser. 

Dass in Köln 2006 der Offene Ganztag eingeführt wurde, hat Rita Gorklo-Blameuser (64) bewerkstelligt. Kurz vor ihrem Ruhestand erinnert sie sich im Gespräch mit Diana Haß.

Frau Gorklo-Blameuser, Sie hatten seit 2003 sechs Jahre lang bei der Stadt Köln die Projektleitung für den Offenen Ganztag. Hat das viel Vorlauf gebraucht?

Es war eine sehr kurzfristige Entscheidung des Landes, die Horte in den Offenen Ganztag zu überführen. Und 2003 war das erste Schuljahr, in dem begonnen wurde. Ich bin also im ersten Schuljahr des offenen Ganztags eingestiegen.

Wie war die Ausgangslage damals?

Als ich die Aufgabe übernommen habe, gab es das Interesse von fünf Schulen und wir hatten 235 Plätze  mit fünf verschiedenen Trägervereinen. Meine Aufgabe bestand darin, möglichst schnell möglichst viele Plätze in Köln zu schaffen, weil ja die Horte überführt werden sollten. Wir brauchten 10.000 Plätze innerhalb von vier oder fünf Jahren. Das war eine Mammutaufgabe.

Wie sind Sie vorgegangen?

Ich hatte keine Projekterfahrung, habe mich aber im Vorfeld sehr gründlich mit den Prämissen und Anforderungen auseinandergesetzt. Ich habe überlegt, ob ich mich in ein stilles Kämmerlein setze und ein umfangreiches Konzept schreibe oder mich vor Ort umsehe, mit den Schulleitungen in das Gespräch komme und mir einen persönlichen Eindruck verschaffe. Ich habe mich dann dafür entschieden, vor Ort zu schauen, wie die Situation, die Stimmung und die Haltung ist.

Und wie war es vor Ort in den Schulen?

Die meisten Schulen wollten, auch auf Drängen der Eltern, am liebsten an den Horten, die in den Kindergärten waren, festhalten. Wir kamen mit einem Novum, als wir sagten, dass wir diese Betreuung in die Schule verlagern wollten. Das war für die meisten unvorstellbar. Dort fand bislang fast ausschließlich Unterricht statt, an manchen eine kurze Betreuung um die Mittagszeit. Künftig beides, also Unterricht und Betreuung, an einem Ort durchzuführen, erschien nicht vorstellbar. Es gab viel Kritik und viele offene Fragen. Man wusste nicht, wie man die Struktur aufbauen sollte, die Finanzausstattung war zu gering und die pädagogischen Anforderungen und Rahmenbedingungen durch das Land nicht definiert.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich habe Kontakt zu den Trägern in Köln aufgenommen. Die Einrichtung des Offenen Ganztags war eine spannende Aufgabe aber auch eine, bei der man sehr unter Druck stand. Ich habe argumentiert, dass wir beginnen und dann im Prozess lernen und alles weiterentwickeln müssen, um insbesondere aus den Erfahrungen konkrete Forderungen formulieren zu können. In der Folge gab es immer mehr Schulen, die sich mutig auf den Weg gemacht haben. Und das Ganze hat auch nur mit diesen Schulen und den engagierten Kölner Trägern funktioniert. Nach vier Jahren sind die Horte geschlossen worden. Wir als Stadt hatten das Soll übererfüllt. Allerdings waren die Bedarfe in diesen vier Jahren gestiegen, sodass wir immer mehr Plätze benötigten.

Ich war ehrlich. Ich habe auch die Probleme benannt.

Was war der Schlüssel zum Erfolg?

Ich habe versucht, die Leute mit Motivation mit auf den Weg zu nehmen. Nach dem Motto: Leute lasst uns beginnen. Ich war ehrlich. Ich habe auch die Probleme benannt. Mein Argument war: Wenn immer mehr das Wagnis eingehen, kriegen wir immer mehr Beispiele, wie es funktionieren kann, aber auch woran noch gearbeitet und nachgebessert werden muss. Ich wollte, dass alle gemeinsam am Aufbau und der stetigen Weiterentwicklung arbeiten. Das ist aufgegangen. Das war wie ein Schneeballeffekt. Ich habe von mir aus nie ein Riesenpapier entwickelt. Und ein Vorteil war sicherlich auch, dass eine Pädagogin den Aufbau des Ganztags mit ihrer Expertise begleitete und die Schulen und Träger in der Entwicklung der pädagogischen Konzepte vor Ort unterstützen und beraten konnte.

Hat sich die Stadt gut eingebracht?

Ich finde: Ja. Die Stadt ist über die Jahre weit über das hinausgegangen, was sie leisten musste. Da ist immer wieder auch nachgebessert worden, beispielsweise in sozialen Brennpunkten. Und das waren gute Signale an die Schulen. Die Stadt hat auch die Eckpunkte gesetzt, was im Ganztag stattfinden soll, wie auf jeden Fall beispielsweise Bewegungsangebote, Freispiel, musische Angebote, Lernförderung und vieles mehr. All dies und vieles mehr ist in einer Vereinbarung zwischen Schule, Ganztagsträger und Stadt festgehalten. Die Augenhöhe zwischen allen Beteiligten war uns von Anfang an wichtig.

Das Sozialgefüge und auch die warmen Mahlzeiten, die es in der Schule und im Offenen Ganztag gibt, sind für viele Kinder wichtig.

Was sehen Sie als Vorteil des Offenen Ganztags?

Klarer Vorteil ist die Verzahnung, der enge Austausch zwischen Lehrkräften und Mitarbeitenden im Offenen Ganztag. Daraus kann eine ganzheitliche Betrachtung des Kindes resultieren. Offener Ganztag ist ja weitaus mehr als eine Betreuung. Das soll tatsächlich eine Förderung sein. Das Sozialgefüge und auch die warmen Mahlzeiten, die es in der Schule und im Offenen Ganztag gibt, sind für viele Kinder wichtig. Ich denke, dass viele Kinder davon profitieren.

Ab 2026 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Offenen Ganztag. Ist das eine Aufgabe, die leicht zu lösen sein wird, Ihrer Meinung nach?

Nein, das ist eine Herausforderung. Küchen sind oft ein Problem. Sie konnten bislang nicht immer mit den steigenden Plätzen wachsen. Weitere Räume fehlen häufig. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Eine leichte Aufgabe wird das nicht. Aber wir haben es bis hierhin gut geschafft. Am Anfang ist man davon ausgegangen, dass man für 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler ein Angebot braucht. Heute haben wir rund 85 Prozent der Grundschülerinnen und –schüler im Offenen Ganztag. Wir haben in Köln meines Wissens nach weiterhin die größte Versorgungsquote in NRW. Bei allen bestehenden Herausforderungen müssen wir auch im Hinblick auf 2026 optimistisch sein, aber auch realistisch und die Probleme sehen und versuchen zu lösen.

Fänden Sie das gut, wenn Ganztag verpflichtend wäre?

Ich bin etwas hin- und hergerissen, weil es auch ein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit von Familien wäre. Rhythmisierter Ganztag ist allerdings ein Konzept, bei dem ich viele Vorteile sehe. Er wird in einigen Kölner Schulen, wo 100 Prozent der Kinder bereits im Ganztag sind, angeboten. Beim Rhythmisierten Ganztag greifen die Angebote ineinander. Es gibt zum Beispiel Sport am Vormittag, Unterricht am Nachmittag. Ich glaube, das entzerrt und entspannt den ganzen Tag. Es bedarf natürlich des schulischen Willens und es bedeutet auch, dass Lehrkräfte auch nachmittags unterrichten müssen. Es bedeutet aber auch, dass das Personal des Ganztagsträgers sowohl vormittags als auch nachmittags eingesetzt wird. Dies stellt hohe organisatorische Anforderungen, aber auch finanzielle. Es müssten weitaus mehr Vollzeitverträge bei den Ganztagsträgern ermöglicht werden. Bislang lässt die Ganztagsfinanzierung das nicht oder nur selten zu.