Zentrum für WeißWie ein Bestatter um die Dorfmitte eines Kölner Vorortes kämpft

Lesezeit 4 Minuten
Das alte Wohnhaus: Eigentlich wollte Brodesser auch die alten Fachwerk-Balken verarbeiten, aber die sind leider durchgemodert. 

Das alte Wohnhaus: Eigentlich wollte Brodesser auch die alten Fachwerk-Balken verarbeiten, aber die sind leider durchgemodert. 

Weiß – Die Heimat ist Michael Brodesser wichtig. Und seine Heimat ist das beschauliche Weiß. Hier ist er mit zehn Angestellten der wohl größte Arbeitgeber im Dorf. Brodesser ist Bestatter, privat aber will er beleben. Sein Dorf beleben.

Und seine Vision beginnt direkt vor der eigenen Haustür, Auf der Ruhr. Dort stand jahrzehntelang das Haus von Anni Klebb. Jetzt wird es abgerissen. Das Haus ist schon lange baufällig, im letzten Spätsommer stürzte dann auch noch das Dach ein. Schon länger durfte Anni Klebb das Haus nicht mehr betreten, eigentlich. Doch die ältere Dame zog es immer wieder in ihr kleines Wohnhaus zurück. Jetzt ist sie glücklich in Michaelshoven untergebracht und hat dem „Michael von gegenüber“ das Grundstück verkauft.

Stein für Stein wird in Eigenleistung abgetragen

Darauf steht einer jener Höfe, wie sie hier früher oft zu finden waren, dieser hat noch einen kleinen Gemüseladen. Das Wohngebäude ist kaum größer, sein Dach schon verschwunden. Aber das kleine Sofa steht noch im Wohnzimmer, an einem der Deckenbalken schaukelt eine Lampe. Die Gardinen hängen noch, ebenso ein paar Clownsfiguren an der Wand.

Also auch ein Fall für den Container. Zwischendurch ein kleiner Plausch mit den Nachbarn. 

Also auch ein Fall für den Container. Zwischendurch ein kleiner Plausch mit den Nachbarn. 

In dem Laden hat Michael Brodesser als Kind noch eingekauft. „Weiß ist ein Dorf, in dem man schlafen und sterben, aber nicht leben kann“, meint der Bestatter. Genau das möchte er jetzt ändern: mit einer neuen Dorfmitte vis à vis seiner Geschäftsräume und der örtlichen Apotheke.

In Eigenleistung trägt der handwerklich versierte 43-Jährige, wenn es die Zeit zulässt, Stein für Stein ab, säubert die Klinker und sammelt sie. Denn später möchte er sie für den Neubau wieder verwenden. Sortiert wird nach Eisen, Müll und Steinen. Am Anfang hatte er gehofft, die Fachwerkbalken noch verwenden zu können. „Hier ist aber alles baufällig“, weiß er mittlerweile.

„Ich brauche auch Hilfe, das geht nur gemeinsam“

Nachbarn stehen am Zaun, fragen nach, was da vor sich gehe, einige helfen auch. „Ich brauche auch Hilfe, das geht nur gemeinsam“, erklärt Brodesser. Denn er möchte nicht nur etwas Lebendiges, sondern etwas Gemeinsames schaffen. Einen Platz, an dem man sich trifft. Einen Ort, der einen Bäcker, einen Mittagstisch und eine Einkaufsmöglichkeit, vielleicht einen Hofladen oder Werkstätten, vereint. Eine Außengastronomie sei denkbar, dies biete sich in der Sonnenlage geradezu an.

Haupthaus, Anbauten – alles kommt weg. Wird aber wieder neu aufgebaut, mit so viel Originalmaterial wie irgend möglich.

Haupthaus, Anbauten – alles kommt weg. Wird aber wieder neu aufgebaut, mit so viel Originalmaterial wie irgend möglich.

Brodesser erzählt von den Einkaufsmöglichkeiten, die man in Weiß früher hatte. Heute ist selbst die Sparkasse weg, der Kiosk seit Jahren leer, an den kleinen Supermarkt erinnert sich fast niemand mehr. Brodesser hat ein weiteres Motiv: „Ein Grund für den Bau ist auch, dass ich nicht auf eine hässliche, weiße Protzfassade gucken möchte, so einen fetten Architektenklotz“, sagt er. Fast alle Baulücken in Weiß sind mittlerweile geschlossen. Und nicht jeder Neubau passt ins dörfliche Ambiente. Die Steine der alten Gebäude werden ohnehin kaum wiederverwendet. Absurderweise widerspricht der Bebauungsplan der Stadt dem Kleinteiligen, das dem Bestatter vorschwebt. Immerhin hat er die Abrissgenehmigung. Ein Anfang.

In der Zwischenzeit lässt er Zeichnungen anfertigen, wie die Verbindung von „arbeiten und leben“ hier aussehen könnte. Die gleiche Ruhe, die bei seiner beruflichen Tätigkeit herrscht, nimmt er sich auch bei seiner Dorfbelebung. Und doch ist der Zeitplan ambitioniert: „In fünf Jahren soll der Schlüssel umgedreht werden“, so Brodesser.

1200 Quadratmeter sollen barrierefrei zugänglich sein

Die hier geplanten Geschäfte sollen über den Wohnraum quersubventioniert werden. Der Unternehmer hat die geringere Rendite für Geschäfte einkalkuliert. „Wir hätten hier auch keine Apotheke, wenn ich nicht kostengünstig vermieten würde. Wir müssen ein Modell finden, das sich für alle rechnet.“

Zehn potenzielle Kunden, auch einen Bäcker, hat Brodesser schon angesprochen, aber er bleibt offen für Vorschläge. 1200 Quadratmeter sollen barrierefrei zugänglich sein. „Ob das Miet- oder Eigentumswohnungen werden, oder eine Art Genossenschaft, das wird sich zeigen.“ Den Grundgedanken von „Eigentum“ findet er nachgerade befremdlich – Mithilfe ist erwünscht, solange sie von Dorfbewohnern kommt und den Dorfbewohnern nützt.

Sollte Brodesser von der Stadt keine Baugenehmigung erhalten, kann er sich eine Bürgerinitiative vorstellen. „Die Verwaltung sollte für uns da sein, vom Gefühl her ist es umgekehrt“, meint er. Er fühlt sich falsch behandelt, wenn ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1980 keine Änderungen erfahren darf.

Mit einem Entgegenkommen der Stadt rechnet er nicht wirklich, kann aber die Verwaltungssicht partout nicht nachvollziehen: „Ein Argument gegen ein Nahversorgungszentrum war der erhöhte LKW-Verkehr“, sagt Brodesser und findet das lächerlich: „Ist es besser, wenn 300 Leute in ihren Autos nach Rodenkirchen zum Einkaufen fahren, anstatt mit dem Fahrrad ihre Einkäufe vor Ort zu erledigen?“ Als Unternehmer sieht er eher die Arbeitsplätze, die geschaffen werden. „Ich möchte hier mittags auch mal essen gehen. Alleine dafür lohnt es sich“, meint er und nutzt weiter jede freie Minute, um das Grundstück aufzuräumen.

Rundschau abonnieren