Schuldezernent Robert Voigtsberger schaut im Interview auf Leistungen und Herausforderungen für Köln.
Kölns Schuldezernent„Köln könnte Pilotprojekt für ein Pflicht-Vorschuljahr werden“

Anstrengungen sind noch notwendig, um die Schulplatzsituation in Köln zu entspannen.
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In Köln fehlen weiterhin Schulplätze. Das liegt jedoch nicht nur an fehlenden oder sanierungsbedürftigen Schulgebäuden: Unter anderem der Wechsel zu G9 und der Anspruch auf den Ganztag erschweren die Situation für die Kommune. Mit Robert Voigtsberger, Beigeordneter der Stadt für Jugend, Bildung und Sport, sprach Diana Haß über Herausforderungen und Maßnahmen.
Wir sind kurz vor den Sommerferien. Welches Zeugnis würden Sie sich ausstellen?
Ich denke, wir haben viel geschafft. Bei den Schulplätzen haben wir in einem Maß aufgeholt, das uns viele nicht zugetraut haben. Im Gesamtschulbereich haben wir in den letzten zehn Jahren die Kapazitäten von 1750 Schulplätzen im Vergleich zum kommenden Jahr auf 3000 Plätze in den Eingangsklassen erweitert. In den Gymnasien sind wir zum nächsten Schuljahr bei 4600 Plätzen. Das sind knapp 700 Plätze mehr als noch vor zehn Jahren in den Eingangsklassen. Wenn man sich Primarbereich und Sekundarstufe I anschaut, dann haben wir insgesamt alleine in den letzten drei Jahren 2000 neue Schulplätze in den Eingangsklassen geschaffen.
Es gibt aber immer noch Bezirke, wo die Schulplatzsituation schlecht ist. Beispielsweise in Porz oder Mülheim.
Wir wissen, dass wir in einigen Bezirken nach wie vor hohen Bedarf haben. Gerade im Grundschulbereich sind wir sehr daran interessiert, Schulplätze möglichst wohnortnah bereitzustellen. Die größte Schwierigkeit dabei ist in einer Großstadt wie Köln die Flächenknappheit. Dennoch ist es uns in der Vergangenheit nach meiner Auffassung weitestgehend gelungen, möglichst gute Grundstücke zur Bedarfsdeckung zu finden. Im weiterführenden Bereich denken wir auch bezirksübergreifend. Wir haben beispielsweise zum kommenden Schuljahr die neue Gesamtschule Kalk zunächst als Interim in Deutz an den Start gebracht. In den vergangenen Jahren hatten wir als Stadt enorm viel damit zu tun, diese Bedarfe, die sich sozusagen aufgestaut hatten, aufzuholen. Jetzt kommen wir allmählich an einen Punkt, an dem wir zusätzliche Kapazitäten schaffen, die auch auf die demografische Entwicklung einzahlen. Diese Kapazitäten werden insgesamt zu einer Verbesserung der Schulplatzsituation in unserer Stadt führen.

Der Leiter des Dezernats IV - Bildung, Jugend und Sport Robert Voigtsberger
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Wie lange dauert es etwa noch, bis wir auskömmliche Schulplatzsituation haben?
Das wird man noch nicht direkt im kommenden oder übernächsten Jahr spüren, aber auf jeden Fall mittelfristig. Ich sage jetzt mal, ab 2030 wird sich die Situation deutlich verbessern.
Welche Herausforderungen liegen vor Ihnen?
Wir haben noch enorme Herausforderungen vor der Brust. Diese erfordern weiterhin unsere komplette Konzentration. Und, das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen: Ein gemeinsames Agieren innerhalb der Verwaltung wie auch mit unseren externen Partnerinnen und Partnern, ist ein Schlüssel zum Erfolg. Das Thema G8/G9 ist eine riesige Aufgabe. Dazu fordert uns die Situation im Bereich des offenen Ganztags. Wir haben im nächsten Jahr den Rechtsanspruch zu erfüllen, allen Erstklässlerinnen und Erstklässlern einen Platz im offenen Ganztag anzubieten. Nach wie vor besteht ein großer Bedarf an Grund- und Förderschulplätzen sowie auch weiterhin an Kapazitäten im Gesamtschul- und Gymnasialbereich. Das alles führt dazu, dass wir uns auf dem Erreichten jetzt nicht ausruhen dürfen. Zusammengefasst kann ich sagen: Es ist viel geschafft, aber auch noch viel zu tun!
Was bedeutet die Rückkehr zu G 9 im kommenden Schuljahr, also der Wechsel von bisher acht auf wieder neun Jahre am Gymnasium, organisatorisch für die Stadt?
Das ist eine enorme Aufgabe. Im Schuljahr 2026/27 werden nach aktuellen Einwohnerdaten rund 10.000 Schülerinnen und Schüler in die Sekundarstufe I eintreten. Erfahrungsgemäß wechseln etwa 45 Prozent aufs Gymnasium. Also rechnen wir mit einem Bedarf von rund 4500 Plätzen allein in den Eingangsklassen. Und aufgrund der Umstellung auf G9 verbleiben zusätzlich auf den Gymnasien circa 4000 Schülerinnen und Schüler. In den vergangenen Jahren haben wir Lösungen und Maßnahmen konzipiert, die auf diese Situation einzahlen.
Wie sind Sie da vorgegangen?
Ab dem Schuljahr 2019/20 haben wir Analysen der Raumsituation vorgenommen und Maßnahmen vorangetrieben, um die erforderlichen Räume zu gewinnen. Wir mussten in Teilen geplante Baumaßnahmen an Gymnasien, die auf G8 ausgelegt waren, auf die Bedarfe von G9 anpassen. Bei Bestandsgebäuden haben wir individuelle Lösungen gefunden, beispielsweise einen Bio-Hörsaal in einen Klassenraum umgewandelt. An 16 Standorten müssen wir zusätzliche Maßnahmen umsetzen. An acht Standorten von diesen 16 können wir nach aktuellem Stand fehlende Kapazitäten im Baubestand auffangen, zum Beispiel durch die Nutzung benachbarter Schulen, die Umwandlung von Räumen, durch interimistische Moduleinheiten oder Containeranlagen. Bis auf eine Schule können wir nach aktuellem Stand die Raumsituation für G9 auf diese Weise herrichten. An dem einen Gymnasium wird die Zahl der Eingangsklassen vorübergehend um eine reduziert werden müssen, um erforderliche Fachraumanteile zu gewinnen. Das halte ich vor dem Hintergrund der Herausforderung, mit der wir konfrontiert sind, für eine gute Leistung.
Aber G 9 ist zu stemmen?
Ja, ich gehe, Stand jetzt, davon aus. Wir haben die Maßnahmen gemeinsam mit allen Akteurinnen und Akteuren so abgestimmt, dass wir das nächstes Jahr hinbekommen sollten. Aber daraus werden sich weitere Maßnahmen in der Zukunft ableiten müssen.
Beispielsweise aus den Interims herauszukommen.
Ja, das Interim verschafft uns Zeit, in der wir dann die nachhaltigen Maßnahmen umsetzen können. Das ist unser Auftrag.
Wird es durch G9 nächstes Jahr noch schwieriger wird, einen Gymnasialplatz zu finden?
Es wird nicht leichter oder schwieriger als zuvor. Nächstes Jahr haben wir jedoch zwei städtische Gymnasien mehr im Bestand – insgesamt also 37.

Neu in Deutz: Zum nächsten Schuljahr startet das Gymnasium Brügelmannstraße.
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Im kommenden Jahr gibt es einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung im offenen Ganztag. Schafft Köln das?
Wir planen seit geraumer Zeit, wie wir die erwarteten OGS-Bedarfe decken möchten. Es wird zur baulichen Umsetzung sogenannte Beschleunigungspakete geben. Gut ist in Köln, dass wir mit fast 88 Prozent eine relativ hohe Quote im OGS-Bereich haben. Damit sind wir im Vergleich zu vielen anderen Kommunen deutlich besser aufgestellt. Wir haben aber auch Schulen, an denen beispielsweise die Verpflegungsräumlichkeiten, also Mensa- und Küchen-Kapazitäten, zur Erfüllung des Rechtsanspruchs nicht ausreichend sind. Da müssen wir ran und werden Zwischenlösungen organisieren müssen, etwa Essenslieferungen oder Lunchpakete.
Weiteres Problem in Köln sind die vielen Wiederholer in der ersten Klasse. Was halten Sie von einem verpflichtenden Vorschuljahr?
Hamburg macht das. Ich hatte Gelegenheit, mir selbst ein Bild von den Strukturen vor Ort zu machen. In Hamburg wird der Ansatz „Fördern statt Wiederholen“ verfolgt. Die Hansestadt fährt damit sehr erfolgreich. In Anbetracht der Herausforderungen fände ich es richtig und gut, wenn wir in NRW zukünftig ein verpflichtendes Kita- oder Vorschuljahr hätten. Es würde Kinder etwa im Alter von fünf Jahren zusätzlich unterstützen, bei denen Unterstützungsbedarfe festgestellt wurden. Das ist etwas, was das Land NRW gesetzlich verankern müsste. Meine Unterstützung hätte das Land und ich könnte mir auch vorstellen, dass man im Rahmen eines Pilotprojektes hier in Köln Erfahrungen sammelt.