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Seit 50 Jahren im ProvisoriumRat will endlich Musikschule in Köln-Ehrenfeld sanieren

Lesezeit 4 Minuten

In welchem Zustand das Haus ist, das seit den 60er Jahren als Provisorium gilt, zeigt Dr. Tilman Fischer mit diesem Kellerraum, der als Lager genutzt wird.

Köln – Dr. Tilman Fischer (56) ist mit Leib und Seele Musiker. Seit über zwei Jahren leitet der frühere Cellist des Gürzenich-Orchesters eine Kölner Institution – und er liebt sie, wenngleich er einräumen muss: „Der Zustand des Hauses ist erbärmlich.“

Provisorien beweisen oft eine erstaunliche Überlebenszeit, bei der Rheinischen Musikschule ist sie rekordverdächtig: Seit den 60er Jahren hat sie ihre Zentrale in einem Interim an der Vogelsanger Straße in Ehrenfeld, einem ehemaligen Hospital mit fast vier Meter hohen Räumen, dessen Grundstein 1907 gelegt wurde.

Der 56-Jährige geht davon aus, dass bald die 10 000er Marke bei der Schülerzahl geknackt wird.

Seit 50 Jahren nur das Nötigste gemacht

Seit 50 Jahren ist das Gebäude in Ehrenfeld als Übergangslösung gedacht, deshalb wurde auch seit fünf Jahrzehnten nur das Nötigste gemacht. Jetzt endlich hat der Rat die Planungsaufnahme für Sanierung oder Neubau des Bestandsgebäudes und einen Erweiterungsbau beschlossen. Platz dafür gibt es in der angrenzenden Baulücke, einem städtischen Grundstück, wo heute neben einem kleinen Parkplatz marode Pavillons stehen.

Als Fischer seinen Job als Musikschuldirektor antrat, da war noch das alte Rautenstrauch-Joest-Museum am Ubierring als neuer Sitz in der Diskussion. Der Direktor ist froh, dass der jetzige Standort nicht aufgegeben wird: „Gerade in einer wachsenden Stadt und angesichts steigender Flüchtlingszahlen dürfen wir unser Prinzip der Regionalschulen nicht aufgeben.“

In der Südstadt gibt es bereits eine Dependance im Humboldt-Gymnasium. Die Rheinische Musikschule, 170 Jahre alt, unterhält acht Regionalschulen – einschließlich Ehrenfeld. Allein hier werden rund 1000 Schüler unterrichtet.

Schüler von sechs Monaten bis 91 Jahre

Das Angebot ist ungeheuer breit gefächert. „Unser jüngster Schüler ist sechs Monate alt, unsere älteste 91 Jahre. Sie spielt Blockflöte im Ensemble für alte Musik“, erzählt Fischer. Innerhalb der Schule gibt es über hundert Musikensembles, ein sinfonisches Blasorchester, das Jugendsinfonieorchester und das RMS Jazz-Orchester, die Jugend Big Band im Humboldt-Gymnasium, das mit dem Festkomitee neu gegründete „Jugendmusikkorps im Kölner Karneval“, das Ensemble für zeitgenössische Musik, diverse Chöre und, und, und.

Fischer und sein Stellvertreter Franz-Jürgen Anton wünschen sich, dass mit der nun vom Rat angestoßenen Erweiterung (sowie Sanierung oder Neubau) zum einen der Bedarf für die nächsten Jahrzehnte abgedeckt sein wird und dass ein großer Probenraum für die Orchester gebaut wird. Derzeit gibt's nämlich keinen, so dass regelmäßig Schulen nach freiem Raum abgeklappert werden müssen.

Natürlich werden in der Rheinischen Musikschule hochbegabte Musiker gefördert. Aber auch der, der ohne großes Talent ein Instrument spielen möchte, ist willkommen. Darüber hinaus ist das Ausprobieren von Instrumenten ausdrücklich erwünscht.

Bestandteil der sozialen Infrastruktur

Der Direktor betont: „Wir sind ein Bestandteil der sozialen Infrastruktur, und ich denke, das weiß die Politik.“ So gibt es eine Initiative, die jetzt starten soll: Ein Lehrer fährt mit Wagen und einem Anhänger voller Schlaginstrumente sechs Schulen an, in denen dann Klassen gemeinsam musizieren, in denen Flüchtlingskinder integriert werden sollen.

Finanzielle Unterstützung hat die Rheinische Musikschule dabei von ihrem Förderverein bekommen, der gut 600 Mitglieder hat – neue sind herzlich willkommen, der Monatsbeitrag beginnt bei zwei Euro.

Die Schule ist in rund 40 Kindergärten aktiv. Und: „Wir bieten Unterricht in Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien an.“ So gibt es beispielsweise acht Bläser-klassen an weiterführenden Schulen, eine inklusive Musikklasse am Gymnasium Nippes, zwei Musikzweige an Gymnasien, aber auch Projekte in Grundschulen, wo sogar Musicals „gestemmt“ wurden.

Die dortigen Aktivitäten münden nun ins „JeKits“-Programm der Landesregierung: „Jedem Kind Instrumente Tanzen Singen“, eine Weiterentwicklung von Jeki („Jedem Kind ein Instrument“). „Wir würden gerne mehr machen“, sagt Fischer mit Blick auf das „JeKits“-Projekt, „wir könnten noch zehn weitere Schulen dazu nehmen, aber wir geraten schon jetzt vollständig an unsere Grenzen.“

Der 56-Jährige ist keiner, der „kühmt“, aber er weist doch darauf hin, dass der Stellenplan aus einer Zeit stamme, in der die Rheinische Musikschule halb so groß war wie heute. 300 Lehrer sind hier beschäftigt und deren berufliche Situation ist zumeist nicht einfach. Die Mehrzahl hat einen Teilzeitjob und arbeitet noch in anderen Musikschulen, um leben zu können.