Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Serie „Kölner Kirchen“Sankt Ursula – Großes Kino mit 11.000 Jungfrauen

Lesezeit 4 Minuten
PIC Eusebius

Das größte Beinhaus nördlich der Alpen: Mario Kramp in der Goldenen Kammer von St. Ursula. 

Köln – Aus der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen des Fördervereins Romanische Kirchen veröffentlichen wir ausgewählte Beiträge. Heute spricht Mario Kramp, Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, über St. Ursula.

Gewaltiges Panorma in St. Ursula

Ich mochte sie immer schon, die Basilika St. Ursula. Nicht nur, weil sie in „meinem“ Pfarrbezirk liegt. Nicht nur, weil ich im Förderverein Romanische Kirchen Köln aktiv bin. Sondern weil sich hier Stadt- und Religionsgeschichte derart dramatisch verdichten, dass es – nicht nur für Historiker – eine pure Freude ist. Sind die schönsten Geschichten nicht die, die nur „ein bisschen wahr“ sind und zu denen mit großer Fabulierfreude stets Neues hinzugefügt wurde? Am Ende steht man in St. Ursula vor einem gewaltigen Panorama.

St. Ursula

PIC Sankt Ursula in Köln

Sankt Ursula in Köln

400 nach Christus steht am Ort der heutigen Basilika St. Ursula ein Memorialbau, der einer Gruppe spätrömischer Märtyrerinnen geweiht ist. Senator Clematius lässt die Kirche, die sich auf einem römischen Gräberfeld befindet, wiederherstellen. Angesichts der hier gefundenen Gebeine entwickelt sich der Kult um zunächst elf, dann 11 000 Jungfrauen, der Köln zum bedeutenden Zentrum mittelalterlicher Reliquienverehrung macht und entsprechend viele Pilger in die Stadt lockt.

922 richtet Erzbischof Hermann I. hier ein adliges Damenstift ein, das er mit Stiftsdamen aus Gerresheim besetzt. Die heutige Kirche entsteht ab dem 12. Jahrhundert. Der Altar im Westbau wird 1135 geweiht, der gotische Chor mit elf Fenstern bis etwa 1280 nach dem Vorbild der Pariser Sainte-Chapelle errichtet. 1643/44 entsteht die „Goldene Kammer“ – das größte Beinhaus nördlich der Alpen, in dem es zahllose zu Buchstaben und Ornamenten arrangierte Knochen zu bestaunen gibt. (fu)

Dabei wuchs die Schar der heiligen Ursula und ihrer Gefährtinnen ins Unermessliche: Erst sind es einige wenige, dann elf, dann elftausend. Ein Lesefehler, weiß der Schriftgelehrte: Aus elf wurde elftausend. War auch nötig, entgegnet der Historiker, wie sonst hätte man in Köln viel später, im 12. Jahrhundert, mit so vielen Knochenfunden Geschäfte treiben können?

Und dann der Showdown mit den Hunnen vor Köln: Alle Jungfrauen grausam hingemetzelt, aber die Stadt ist gerettet. Großes Kino. Mediävisten heben den Zeigefinger: Falls die Hunnen vor den Toren Kölns im 5. Jahrhundert überhaupt erschienen sind, wäre nach üblicher Datierung die Schar der Jungfrauen bereits seit über hundert Jahren tot gewesen …

Comiczeichner Ralf König veröffentliche Comic über Kirche

Dem Aufklärer Georg Forster ging bei seinem Besuch in Köln 1791 die Goldene Kammer mit ihrer überbordenden barocken Knochenornamentik und der Anhäufung von Ursulabüsten mächtig gegen den Strich: „scheußlich und empörend“. Mag sein und alle gelehrten Einwände stimmen. Schön ist es dennoch, das vielfache Lächeln des „kölschen Mädchens“.

Ein erhellendes Erlebnis in der Basilika St. Ursula hatte ich, als wir mit dem Comiczeichner Ralf König am 21. Oktober 2011 das Fest der Heiligen besuchten. Ralf, nach eigener Aussage „irgendwas zwischen Pantheist und Agnostiker“, arbeitete gerade an seinem Ursula-Comic, der im Jahr darauf mit viel Erfolg im Kölnischen Stadtmuseum präsentiert wurde.

Ursulabasilika beeindruckte Ralf König

Für ihn als bekennendem Schwulen lag es nahe, in seiner Interpretation der Ursula-Legende die Leibfeindlichkeit des Katholizismus zu thematisieren. Allzu fromm würde es also nicht zugehen. Und dennoch: Man gewinnt sie lieb, seine Protagonisten mit den Knollennasen, Ursula allemal, die als Einzige am Ende keine Jungfrau mehr ist, den schwulen Mönch Camembert, sogar die verhärmte Gefährtin Sprotta. Klar ist auch, dass die Kirchenfürsten weniger gut wegkommen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Außerdem ist Ralf Westfale. Und urplötzlich konfrontiert mit dem Geheimnis des rheinischen Katholizismus. Sein Besuch in der Ursulabasilika in Köln hat ihn so nachhaltig beeindruckt, dass er in einem Interview empfahl, unbedingt am 21. Oktober das Fest in der Kölner Ursulakirche zu besuchen.

Karneval und Heilige

Er jedenfalls war fasziniert von der katholischen Liturgie („Chöre, Weihrauch, das ganze Programm“) und davon, wie eine Theologin an der Kanzel vor dem Schrein der Heiligen darlegte, dass es Ursula, so wie sie heute verehrt wird, „gar nicht gab“. Und erst recht davon, wie dennoch anschließend eine Prozession singend um die Kirche zog, angeführt von der Karnevalsgesellschaft Treuer Husar Blau-Gelb von 1925 e. V., die den Ursulaschrein trug.

Sein Kommentar: „Bei so einem Mischmasch aus Karnevalskultur und Heiligen- und Reliquienverehrung finde ich Köln grandios.“ Und weiter: „Ich kann das zwar nicht verstehen, aber es ist toll!“ Ja, derlei verzwickte kölnische Dialektik kann man – als Westfale wie auch als Aufklärer – vielleicht wirklich nicht verstehen. Doch der erstaunte Comiczeichner mag beruhigt sein: Das muss man auch gar nicht „verstehen“. Erst recht nicht in der Kölner Ursulakirche.

Es ist mit dem rheinischen Katholizismus wohl eher so wie mit dem Weltall, das der zweifelnde Adam im Paradies in Königs Comic „Prototyp“ bewundert, wobei ihn eine Ahnung von Transzendenz beschleicht: unerklärlich, der Vernunft entzogen, mit Humor zu sehen und – schön.