Sozialverband „In Via“ KölnVisionen und Tatkraft seit 125 Jahren

Lesezeit 5 Minuten
Bastian rührt die Spätzle um.

Das könnte etwas für ihn sein: Fachpraktikant Bastian D. hat Spaß dabei, unter der Anleitung von Koch Julian Jacobs (r.) in der Großküche zu arbeiten.

Erkennen, wo Menschen durchs Raster fallen, schnell Hilfsangebote schaffen: Der Sozialverband In Via ist seiner Zeit oft voraus.   

Bastian ist mit Verve dabei. Mit einem langen Paddel aus Metall wendet er die Spätzle im Bräter der Großküche. Das muss gleichmäßig passieren, damit sie gleich schnell gar werden. „Mach langsam“, erinnert Koch Julian Jacobs seinen engagierten Fachpraktikanten. Der schaltet einen Gang runter, findet den passenden Rhythmus, bald glänzen alle Spätzle in sattem Buttergelb.

Nebenan hilft Willi Schuh an der Großspülmaschine aus. Eigentlich ist das Lager sein Metier, aber gegen Ende der Schicht ist er flexibel. Abrechnen, Protokollieren, Bestellen, die Arbeit im Lager, das sei auch viel Schreibkram, erzählt der 62-Jährige. Weil er gehörlos ist,  übersetzt der stellvertretende Küchenchef Antonio La Rocca seine Antworten. Seit elf Jahren ist Schuh dabei, seine Energie ist ansteckend, und Teil des Teams in der Großküche des Sozialverbandes „In Via“ zu sein, macht ihm unverkennbar Spaß.

Die beiden stehen sich in weißer Arbeitskleidung gegenüber am Spülmaschinenband.

Küchenchef Antonio La Rocca und Willi Schuh (r.) unterhalten sich in Gebärdensprache an der Großspülmaschine.

6500 Essen für Grundschulen  bereitet das Team mit 50 Mitarbeitenden im Mülheimer Schanzenviertel täglich zu. Die Hälfte von ihnen hat eine Beeinträchtigung, Bastian D. etwa hat autistische Züge, einige Mitarbeiter sind gehörlos, wieder andere brauchen etwas länger zum Lernen. Um 4.30 Uhr geht es los für das Küchenteam. Um 11 Uhr ist Mittag. Dann werden die 50 Köche und Küchenhelfer zu Vorkostern für ihre Grundschulkinder. „Wenn doch noch ein Gewürz fehlt, die Nudeln mal nicht durch sind, können wir da noch nacharbeiten“, schildert Küchenchef Mathias Rüßler. Was gut ist, wird auf Rollwagen in die riesigen stählernen „Chiller“ geschoben. Da wird das knackig angedünstete Gemüse oder auch Bastians Spätzle auf 3 Grad runtergekühlt und so an die Schulen geliefert. „Wieder erhitzt, ist es deutlich gesünder als ein über Stunden warmgehaltenes Essen“, erklärt In-Via-Geschäftsführerin Katja Schauen.

Daraus hat sich der Gedanke der Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder entwickelt, die wir in unseren Ganztagsbetreuungen zu realisieren versuchen.
Katja Schauen und Andrea Redding, In-Via-Geschäftsführerinnen

Grundschulen, darunter auch solche in sozial benachteiligten Vierteln, mit gesundem Essen zu beliefern, ist ein Anliegen des Sozialverbandes, der vor 125 Jahren gegründet wurde. Sein erstes Arbeitsfeld war die Bahnhofsmission, es folgten Wohn- und Hilfeangebote zunächst  für Mädchen und Frauen (s. Infokasten). Mit Gründung der Bundesrepublik erweiterte In Via sein Jugendhilfeangebot, etwa um berufsvorbereitende Maßnahmen. „Daraus hat sich der Gedanke der Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder entwickelt, die wir in unseren Offenen Ganztagsbetreuungen (OGS) zu realisieren versuchen“, so die  Geschäftsführerinnen Andrea Redding und Katja Schauen. „Die verantworten wir an 25 Grundschulen in Köln – als größter Träger in diesem Segment.“ 

Gleiche Chancen für alle Menschen will In Via auch im Bereich berufliche Bildung umsetzen. „Wir gestalten Übergänge in eine berufliche Zukunft für Menschen, denen das schwer fällt“, erläutert  Schauen. „Dazu kommt die Begleitung von rund 30 Menschen mit Beeinträchtigung, die eine Arbeit gefunden haben, bei der sie zeitweise Unterstützung benötigen.“

Zwei Männer arbeiten am Hinterreifen eines Fahrrads.

Schon vor 20 Jahren wurde die erste Radstation von In Via eröffnet. Hier erhalten langzeitarbeitslose Menschen eine Tagesstruktur und teils Fortbildungen.

Seiner Zeit voraus war der Sozialverband auch mit seinen beiden Radstationen, den ersten in Köln; eine wurde vor  20 Jahren eröffnet. Hier bekommen langzeitarbeitslose Menschen eine Tagesstruktur und teils Fortbildungen. Und auch mit dem Garten der Religionen, der auf dem Gelände von In Via vor elf Jahren eröffnet wurde, hatte der damals von Sibylle Klings und Marianne Wolf geleitete Sozialverband ein Gespür für gesellschaftliche Strömungen. Hier stehen die fünf Weltreligionen gleichberechtigt nebeneinander: eine Einladung zum Dialog und nutzbar für alle.

Seit rund zweieinhalb Jahren bilden Andrea Redding  und Katja Schauen das neue Vorstandsteam. Über Projektfinanzierung könne In Via weiterhin schnell auf Bedarfe der Gesellschaft reagieren – etwa mit dem Zentrum für alleinerziehende Eltern in der Südstadt. Dessen Zukunft hängt von Landesgeldern ab. „Für das Zentrum hatten wir die Erlaubnis zum vorzeitigen Maßnahmenbeginn, was bisher immer eine Zusage bedeutet hat. Die Situation eines gesperrten Haushaltes ist neu. 2023 haben wir komplett aus Rücklagen finanziert. Ob wir 2024 Landesgeld bekommen, ist offen“, erläutert Schauen. 

Wir sind zuversichtlich, dass die Verwaltung die Träger möglichst rasch finanziell so aufstellt, dass wir den Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung weiter gut umsetzen können.
Andrea Redding, Geschäftsführerin von In Via

Um eine angemessene Finanzierung seiner 25 OGS hatte In Via vor kurzem mit den großen Kölner Sozialverbänden zusammen gekämpft (wir berichteten). „ Die zum März 2024 wirksam werdenden Tarifsteigerungen von bis zu 16 Prozent im Niedriglohnbereich sollen wir zum großen Teil aus eigenen Mittel tragen“, so Redding. „Das können wir nicht.“  Offen sie zudem, was mit den 30 Bundesfreiwilligen von In Via passiere – auch hier schwebt der Träger noch in der Luft. „Wir freuen uns über den großen Zuspruch der Politik Anfang Dezember, die OGS weiter zu unterstützen. Und sind zuversichtlich, dass die Verwaltung die Trägern möglichst rasch finanziell so aufstellt, dass wir den Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung auch weiter gut umsetzen können“, sagt Andrea Redding. 

Vision von Bildungsgerechtigkeit

Für Zukunftsvisionen ist also ob der prekären Lage keine Luft. Und es gibt sie doch. „Wir würden gerne Schulträger werden, um unsere Vision von Bildungsgerechtigkeit aus einer Hand zu verwirklichen“, so Redding und Schauen. Neue Initiativen zur Klimagerechtigkeit will In Via möglichst schnell realisieren. „Etwa ein Lastenrad, das günstig auch von sozial schwachen Familien ausgeliehen werden kann“, so Redding. 

Unterdessen freut sich Katja Schauen mit dem Küchenteam, das gerade eine kleine Pause macht,  über einen der vielen kleinen und großen Erfolge. „Ein Junge aus einem benachteiligten Wohnviertel hatte bei uns zum ersten Mal in seinem Leben gelbe Wachsbohnen als Salat gegessen", schildert der Küchenchef. „Weil eine OGS-Mitarbeiterin die liebevoll auf den Tellern drapiert hatte, waren das für ihn ‚Dekoböhnchen‘. Er nennt sie bis heute so - sie wurden sein Lieblingsessen.“


In Via - Entstehung vor 125 Jahren

Armut, geringe Bildung und Arbeitslosigkeit führten Ende des 19. Jahrhunderts zu großen Wanderbewegungen junge Mädchen und Frauen vom Land in die Städte. Alle Habseligkeiten  in einem Handkoffer dabei, kamen die nach Ende der Schule oft erst 14-jährgen Mädchen auch in Köln am Hauptbahnhof an.

Zwei junge Frauen laufen mit je einem Koffer in der Hand über einen matschigen Platz am Hauptbahnhof.

Am Hauptbahnhof im Schatten des Domes angekommen, hatten viele junge Frauen keine Anlaufstelle.

Viel kamen aus der Eifel, dem Hunsrück oder dem Bergischen Land. Hier wurden sie von Männern erwartet, die sie mit Versprechungen zum Mitgehen bewegten; Ausbeutung und Prostitution waren Folgen. 1889 schlossen sich in Köln katholische Frauen unter der Leitung von Jeanne Trimborn zu einem Verband zusammen, um die Mädchen zu schützen. Sie boten ihnen Unterkunft in Schwesternhäusern, vermittelten ihnen Arbeitsplätze und Fortbildungen und kämpften gegen die organisierten Mädchenhändler. Aus der Damen-Union wurde der Marianische Schutzverein, eine Vorläufer der heutigen Bezeichnung In Via.