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Waschen, legen, redenDas sind die Themen in Kölner Friseursalons

Lesezeit 4 Minuten
Szene in einem Friseur-Salon.

Friseurmeister Mike Engels im Gespräch.

Plappern gehört zum Handwerk beim Friseur. Doch worüber reden die Kölnerinnen und Kölner?

Wohl kaum an einem anderen Ort wird so viel und so intim zwischen Kunden und Dienstleistern gesprochen wie in einem Friseursalon. Darüber, warum das so ist, hat Friseurmeister Mike Engels eine klare Theorie. „Beim Haareschneiden erlaubt dir der Kunde, in seine Intimzone zu kommen.“ Die sprichwörtliche Armlänge Abstand, die gerade in Köln zum geflügelten Wort wurde, wird unterschritten. „Wenn ich da jemanden reinlasse, dann schenke ich dem eine ganze Menge Vertrauen“, sagt Engels, der seit fast 35 Jahren in Köln mit Kamm und Schere im Dienst der Schönheit tätig ist.

„Wenn ich in diesem Intimbereich bin, dich auch noch berühre und wenn es nur deine Haare sind, kommen plötzlich Gespräche auf. Und Menschen bringen Probleme mit“, erzählt er. In gefühlt 98 Prozent der Gespräche gehe es um Negatives.

„Krankheit ist eigentlich überall mit dabei“

Es geht um den der Handwerker, der den Kunden sitzen gelassen hat, den Ehemann, der böse ist, weil die Ehefrau vielleicht fremdgegangen ist. Um Kinder, die den Weg zur Schule nicht gefunden haben. Den Nachbarn, der im Keller Teppiche anzündet. Um Lehrer, die etwas am Kind auszusetzen haben. „Gesprächsthemen haben wir massig“, sagt Engels. Die meisten kommen aus den Bereichen Beziehung, Politik und Urlaub. „Krankheit ist eigentlich überall mit dabei“, schmunzelt er.

Der Kölner Friseur weiß inzwischen, wo man auf Mallorca den besten Fisch bekommt, wohin man auf keinen Fall reisen darf und wo man garantiert übers Ohr gehauen wird. „Ich war schon überall auf der Welt in Urlaub“, lacht er. Wenn die Menschen über ihre Urlaube sprechen, dann genügt Zuhören, Nachfragen, die eine oder andere Anregung einstreuen.

Gradmesser für politisches Klima

Wenn der Mensch auf dem Friseurstuhl über Politik spricht, ist das wie ein Gradmesser für das, was gerade in der Luft liegt. Über Trump werde kaum noch gesprochen und wenn, dann meistens mit der Bezeichnung „der Geisteskranke“. Immer noch geht es um den Krieg in der Ukraine. „Jeder kennt jemanden, der wieder einen kennt, der Ukrainer ist.“ Weiteres Thema: die Bedenken, dass in vielen europäischen Ländern plötzlich queere Menschen wieder eingeschränkt werden sollen. Auch die Diskussion um den Mindestlohn beschäftigt die Leute. Ebenso die Situation bei Ford.

Friseurmeister Mike Engels in seinem Salon in Weidenpesch.

Friseurmeister Mike Engels in seinem Salon in Weidenpesch.

Der erste FC Köln ist selbstredend immer wieder Gesprächsthema. Und der Karneval sowieso - schließlich ist Mike Engels als Hoffriseur des Dreigestirns überall dabei in der fünften Jahreszeit. 

Sein Credo: „Manchmal wollen Leute aber auch nicht über das Negative diskutieren, sondern einfach nur ihr Negatives ablassen. Also letztendlich lässt du Menschen reden. Und ich glaube, es ist nicht sinnvoll, wenn man dann als Friseur eine zu religiöse, eine zu politische und eine zu verhärmte Richtung vertritt. Man muss schon ein bisschen offen sein.“ Wenn aus seiner Sicht jemand zu politisch wird, wechselt er das Thema - auf das Wetter und die Pläne fürs Wochenende. 

Starke Bindung zum Stammfriseur

Meist sitzen in den Friseursalons Stammkundinnen und -kunden. Engels Erklärung: „Bindung kommt durch Regelmäßigkeit und sie wechseln genauso selten den Frauenarzt wie den Friseur.“ Wobei die Bindung auch zwischen Männern und den Schnittmeistern eng ist.

Doch wie merkt sich Engels die ganzen Geschichten seiner Kundinnen und Kunden? Die Erklärung ist bildlich: „Du hast als Friseur einen Riesenschrank mit Schubladen in dir und dann ziehst du den auf. Und in einer Schublade ist der Herr Meier, in einer die Frau Schmitz. Du ziehst die Schubladen je nach Bedarf auf und schiebst sie wieder rein.“ Sobald ein Kunde weg ist: Schublade zu und bereit für die nächste. Aber sobald die Kundin wieder da ist, könne er die Informationen wieder hervorholen. Trainingssache sei das.  

Friseure nehmen sich in der Dienstleistung die Zeit, mit dem Kunden über dessen Probleme zu diskutieren und zu sprechen. „Wir sind so ein bisschen Psychiater. Wir sind ein bisschen Psychologen. Wir sind so ein bisschen Kummerkasten.“ Und außerdem: Lustigmacher. „So mancher kommt sehr traurig her und geht gut gelaunt wieder raus.“

Bei zwei seiner Kunden hielt die Fröhlichkeit sogar jahrelang. Als eine ältere Dame und ein älterer Herr ihre Partner betrauerten und ihre Einsamkeit beklagten, brachte Engels sie zusammen. „Ich habe die Dame gefragt, ob ich ihr jemanden nennen darf. Und er hat gesagt ‚Ja, das würde ich gerne mal versuchen‘. Und ab dem Tag sind die jeden Mittwoch gemeinsam in ein Lokal gegangen und er hat sie zum Essen eingeladen. Als Dankeschön hat sie an einem anderen Tag dann gekocht.“