Was für ein Mensch war Mama oder Papa? Hörbücher für Kinder sollen die Frage beantworten. Einer, der auf diese Weise sein Leben vertont hat, ist Benedikt Bodendorf.
„Wer war Papa?“Kölner Initiative produziert mit todkranken Eltern Hörbücher

Will bleibende Erinnerungen schaffen: Benedikt Bodendorf bei der Aufnahme des Hörbuchs für seine Tochter.
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Was soll mein Kind unbedingt über mich wissen? Benedikt Bodendorf hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Ziemlich schnell stand für ihn fest, was er auf jeden Fall erzählen wollte: „Da komme ich her. So bin ich aufgewachsen. Das treibt mich um. Meine Hobbys. Meine peinlichen Geschichten – die vielleicht auch meine Frau nicht kennt.“
Wenn man mit Bodendorf spricht, hört man im Hintergrund seine kleine Tochter krähen, 16 Monate alt. Leider muss der junge Vater befürchten, dass sie, wenn es schlecht läuft, kaum eigene Erinnerungen an ihn bewahren wird. Seit 2016 kämpft der Kölner mit akuter lymphatischer Leukämie. Zweimal bekam er Stammzellen transplantiert. Fast fünf Jahre hatte er Ruhe, dann kam der Rückfall. Jetzt ist er 34 und in einer Erhaltungstherapie – mit der Hoffnung, dass sich in der Forschung noch was tut.
„Das alles hat sehr düstere Gedanken in mir ausgelöst“, sagt Bodendorf. „Ich hatte die Angst, dass meine Tochter mich nie richtig kennenlernt.“ Darüber sprach er mit einem Psycho-Onkologen. „Als er von der Angst gehört hat, hat er gesagt, dass ihm Kollegen vom Familienhörbuch erzählt haben.“ Einem Hörbuch, das Mütter und Väter für ihre Kinder produzieren, wenn absehbar ist, dass sie sie auf dem Weg ins Erwachsenenleben nicht mehr begleiten können. Ein „Zukunftsgeschenk für die Ohren“, wie es auf der Website der Initiative heißt.
Eine Idee mit großem Team
Begründet hat das Familienhörbuch die Journalistin Judith Grümmer. Die Idee dazu sei in vielen Jahren in ihr gereift, erzählt sie in dem Studio in der Kölner Innenstadt, in dem viele der Hörbücher entstehen. Mittlerweile steht hinter dem Projekt ein Team von fünf Festangestellten, 60 Honorarkräften und 20 Ehrenamtlichen. Besonders wichtig sind die sogenannten Audiobiografen, die die Teilnehmer wie ein Regisseur und Coach beraten. Sie haben alle eigens eine Ausbildung durchlaufen. Dazu kommen Techniker, Psychologen, Grafiker.
Die Kosten für ein Hörbuch mit maximal 100 Arbeitsstunden betragen 5000 bis 6000 Euro – finanziert vor allem aus Einzel- und Firmenspenden. Derzeit nähmen die Anfragen stark zu, das Geld reiche aber kaum noch, sagt Grümmer. „Wir haben alle Angst vor der Warteliste. Denn warten – dafür fehlt unseren Teilnehmern die Zeit.“

Bodendorf leidet an Leukämie und muss befürchten, dass seine 16 Monate alte Tochter keine persönlichen Erinnerungen an ihn behalten wird.
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Manchmal schaffen es Teilnehmer nicht, das Hörbuch fertigzustellen, weil sie vorher sterben. Einmal starb eine junge Mutter einen Tag nach dem Ende der Tonaufnahmen. Ein anderes Mal blieb einer Mutter von drei kleinen Kindern nur noch ein Wochenende Zeit, weil sie wusste, dass am Dienstag danach eine Hirn-OP anstand, die ihr Sprachzentrum beeinträchtigen würde. Sie hat das Hörbuch noch rechtzeitig aufnehmen können.
Eine persönliche Botschaft an die Hinterbliebenen
„Ich fand es eine sehr schöne Idee, den Hinterbliebenen eine persönliche Botschaft hinterlassen zu können“, sagt Benedikt Bodendorf. „So dass meine Tochter weiß: Wer war Papa, was hat er so gemacht?“ Seine Audiobiografin war Selina Pfrüner. „Das war ein sehr, sehr schönes Verhältnis, das wir uns da aufgebaut haben“, sagt er. An einer Stelle hat er zum Beispiel erzählt, wie er mit Kassetten und Videobändern groß geworden ist. „Selina hat dann manchmal eine Karte hochgehalten mit der Botschaft ,genauer‘. Dann hab ich versucht, das nochmal besser zu erklären, weil es ja auch eine Art Zeitzeugnis ist. Meine Tochter wird bestimmt keinen Kassettenrecorder mehr kennen.“
Pfrüner spricht von dem Schalk in der Stimme, mit dem Bodendorf sein Leben erzählt habe. Viel Zeit verwandte er auf die Beschreibung seiner Jugend, denn letztlich ist es das, was einen ein Leben lang prägt: „Ich hab’ früh mit Computern angefangen, während der Schulzeit exzessiv ,World of Warcraft‘ gespielt.“ Er erzählte seiner Tochte, was daran cool ist, aber auch, was die negativen Seiten sind. Nächstes Kapitel: das Mathematik-Studium. „Da hab’ ich meine Frau getroffen. Also kommt an der Stelle die Kennenlern-Geschichte.“
Irgendwann ging’s auf das Jahr 2016 zu, „und da ist dann das Biest, die Krankheit. Da sind ein paar sehr emotionale Kapitel entstanden, um klarzumachen: Was ist das denn, womit ich hier kämpfe?“ Er ist überzeugt, dass seine Tochter das schon mitbekommt: „Ich bin immer noch in Behandlung und kann vieles gar nicht so machen, wie ich es als Papa gerne machen würde.“
Ich fand es eine sehr schöne Idee, den Hinterbliebenen eine persönliche Botschaft hinterlassen zu können.
Schließlich ist Bodendorf im Hier und Jetzt angelangt. Gleichsam als Bonusmaterial hat er noch das erste Kapitel von einem seiner Lieblings-Kinderbücher vertont, „Ein Bär namens Paddington“. Jetzt ist das Hörbuch im Schnitt. Es wird aufwendig mit Musik und Geräuschen unterlegt, fast wie bei einem Hörspiel. „Es ist so individuell wie der einzelne Mensch“, sagt Tontechnikerin Sitara Schmitz.
Judith Grümmer hat die Erfahrung gemacht, dass die Teilnehmer während der Aufnahme einen Reifungsprozess durchmachen. „Sie fangen an, sich noch einmal anders mit ihrer Endlichkeit auseinanderzusetzen. Und sie merken, dass sie – obwohl sie noch jung sind – doch schon ein reichhaltiges Leben gelebt haben.“ Das helfe ein wenig, seinen Frieden mit dem bevorstehenden Ende zu machen.
Benedikt Bodendorfs Hörbuch heißt „Ich – Einfach unverbesserlich“. Einer der Ratschläge, die er seiner Tochter darin mit auf den Weg gegeben hat, lautet: „40 Sushi kann man essen. Gut geht’s einem danach nicht.“ (dpa)