Wohnung gesucht!So viel Macht hat die Stadt im Kampf gegen hohe Mieten

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Teures Pflaster: Die Severinstraße und ihre Umgebung sind durch eine Satzung geschützt.

Teures Pflaster: Die Severinstraße und ihre Umgebung sind durch eine Satzung geschützt.

  • München hat 23 Erhaltungssatzungen, um seine Quartiere zu schützen, Köln aber nur zwei.
  • Was taugen Satzungen wie im Severinsviertel wirklich, um horrende Mieten zu verhindern?
  • Im neunten Teil unserer Wohnserie beleuchten wir den Kampf um Kölns Viertel.

Köln – Marina Schmitz, 50, hat Angst, nach 15 Jahren ihre Heimat zu verlieren. „Ich hänge am Severinsviertel“, sagt Schmitz. Sie fühlt sich wohl in dem Viertel, ist dort zuhause – aber bald könnte das vorbei sein. Sie wohnt in einer Wohnung eines großen Unternehmens, laut Schmitz’ Aussage plant die Firma, Wohnungen zu verkaufen. Erste Begehungstermine hat es schon gegeben. Schmitz sorgt sich, ihre Wohnung zu verlieren, falls ein neuer Eigentümer kommt.

Deshalb schaut sie sich um. Aktuell zahlt sie acht Euro Miete pro Quadratmeter, damit kommt sie nicht weit. „Wenn man sich anschaut, wie die Mietpreise sich entwickeln: Da wird mir schlecht“, sagt Schmitz. Sie hofft, doch in ihrer Wohnung bleiben zu können – und will deshalb nicht ihren richtigen Namen in der Zeitung lesen.

Was soll die Soziale Erhaltungssatzung erreichen?

Die 50-Jährige ist ein gutes Beispiel, wie der Wohnungsmarkt samt Gentrifizierung langjährige Mieter verdrängen kann – deshalb hat der Stadtrat im Dezember die Soziale Erhaltungssatzung für das Severinsviertel verabschiedet, sie gilt seit 30. Januar für zunächst fünf Jahre, wird dann überprüft. Das Regelwerk ist auch bekannt als Milieuschutzsatzung, eben weil sie die Mischung der Bevölkerung bewahren soll. In Köln ist es die zweite, die erste hat die Stadt 1996 in der Stegerwaldsiedlung in Mülheim eingeführt.

Vereinfacht gesagt sichert die Satzung der Stadt zu, bei geplanten Um- oder Anbauten der Eigentümer den Finger drauf zu haben. Die Stadt will so Luxussanierungen verhindern, die die Miete nach oben jagen. Der Begriff meint Aufwertungen, die über die „zeitgemäße Ausstattung“ hinausgehen und die Mieten so steigen lassen, dass die Mieter sie nicht zahlen können. Laut Stadt sind normale Standardmodernisierungen möglich. Ob Balkone oder Aufzüge dazu zählen, wollte die Verwaltung nicht bewerten. Bei Neubauten greift die Satzung nicht. Und: Sie schützt nicht einzelne Mieter, weil Mieterhöhungen grundsätzlich möglich sind.

Kritik: Eigentümer werden unter einen Generalverdacht gestellt

Rund 11.000 Menschen leben im beliebten Severinsviertel. Doch Lage und Charme haben ihren Preis: Die Miete stieg von 2013 bis 2017 um 17 Prozent. Laut einer Befragung von mehr als 500 Haushalten im Viertel bezahlen rund 42 Prozent der Haushalte mindestens zehn Euro je Quadratmeter für die Kaltmiete. Architekt Ulrich Schlüter wohnt selbst im Severinsviertel, seine Familie besitzt dort Wohnungen, ist Mitglied in der Immobilien-Standortgemeinschaft Severinstraße. Schlüter lehnt die Satzung als „veraltet“ ab, er sagt: „Natürlich gibt es schwarze Schafe unter den Vermietern, aber wir Eigentümer werden unter einen Generalverdacht gestellt. Wir sollen die Bösen sein, die Mieter die Guten. Das ist falsch.“ Es gebe im Veedel mehr als 600 Eigentümer, nur wenige davon seien große Firmen.

Hier die Vermieter, dort die Mieter, all das im umkämpften Wohnungsmarkt. Und Verwaltung und Stadtrat versuchen, unter Zeitdruck gegenzusteuern. Aber taugt die Erhaltungssatzung als Allheilmittel, auch für andere Viertel? Um das beurteilen zu können, lohnt ein Blick nach München. Schon 1987 hat die bayerische Landeshauptstadt die ersten zwei Satzungen aufgestellt. Mittlerweile sind es 23 Gebiete mit 160 000 Wohnungen und etwa 281 000 Einwohnern. Mark Michaeli von der Technischen Universität (TU) München, Lehrstuhl für Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land, sagt: „Die Sozialen Erhaltungssatzungen haben in München schon eine preisdämpfende Wirkung erzielt. Aber die Satzungen können nicht alle immobilienwirtschaftlichen Prozesse aufhalten, das wäre zu viel verlangt.“

Die Soziale Erhaltungssatzung im Überblick

Was soll die Erhaltungssatzung verhindern?

Luxussanierungen plus Mieterhöhung, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Verdrängung alteingesessener Bevölkerung und Auflösen bestehender Milieus.

Wie wird sie konkret angewendet?

Rückbau, Umbau oder Nutzungsänderungen muss die Stadt genehmigen, auch wenn sie laut Gesetz nicht genehmigungspflichtig sind.

Wo kommt sie nicht zum Tragen?

Gewerbebauten, unbebaute Areale oder Neubauvorhaben.

Städte und Kommunen haben nur bestimmte Mittel, um aktiv zu werden, andere sind Länder- oder Bundessache. Deshalb sagt Anne Vogelpohl von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg: „Die Erhaltungssatzung ist keine Lösung für das gesamte Problem der steigenden Mieten. Aber sie ist Teil eines Potpourris, das helfen kann – auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist.“ Sie wertet es als gutes Zeichen, dass Investoren das Instrument kritisieren, das beweise die Effekte.

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Für Köln und andere Städte heißt das: Die Satzungen können bestimmte Effekte abmildern, aber alleine reichen sie nicht aus. Und eine Satzung ist laut der Experten nur wirksam, solange die Stadt sie konsequent anwendet – etwa beim Vorkaufsrecht durch die Stadt. Das zieht, wenn ein potenzieller Käufer keine Schutzvereinbarungen unterschreibt, etwa bei der Miethöhe.

Vorkaufsrecht durch die Stadt als letztes Mittel

Das Ganze kostet aber viel Geld. München hat 23 Erhaltungssatzungen, Köln nur zwei. Trotzdem: 2019 hat München 145 Millionen Euro für Grundstücke und Wohnungen ausgeben. Das Haushaltsdefizit Kölns beträgt 2019 insgesamt 137,1 Millionen Euro. Michaeli sagt: „Die ultimative Drohung ist das Vorkaufsrecht durch die Stadt, das ist aber am Ende auch eine Frage, ob die Stadt sich das angesichts der Immobilienpreise tatsächlich leisten kann.“

Aber nicht nur das Geld ist ein Problem, das zeigt die Umwandlung von Miet- zu Eigentumswohnungen. Auch diese Veränderung muss die Stadt genehmigen, so sollen Mietwohnungen erhalten werden. Das Problem: Diese Option basiert auf einem Landesgesetz, es läuft am 27. März aus. Ob die schwarz-gelbe Landesregierung es verlängert, ist ungewiss – und ohne diesen Passus die Satzung massiv geschwächt.

Michaeli und Vogelpohl betonen, wie wichtig es ist, die Satzungen früh einzuführen, am besten wäre es in den 1990er-Jahren passiert. Kommt die Satzung im Severinsviertel nicht zu spät, ist das Milieu nicht längst zerstört? Michaeli sagt: „Allerdings stellt sich die Frage, ob eine Stadt auf diese Satzungen verzichten sollte, wenn der Zeitpunkt zu spät ist. Meiner Meinung nach sollte sie es trotzdem machen, aber keine Wunderdinge erwarten. Sie schützt nicht den einzelnen Mieter, es wird weiter Enttäuschte geben.“ Mieter wie Marina Schmitz. Sie sagt: „Im Severinsviertel werde ich wohl nichts neues bekommen. Das habe ich mir abgeschminkt.“

Hintergrund - Das sind die Die Wohnbau-Werkzeuge

2014 wurde das Kooperative Baulandmodell eingeführt. Es soll Bauherren dazu zwingen, auch öffentlich geförderte und damit Wohnungen mit relativ geringer Miete zu bauen. Das gilt ab 20 Wohnungen und wenn es ein neues Planrecht braucht. Doch bis Oktober 2019 wurde keine öffentliche Wohnung mehr gebaut, obwohl 2017 eine neuere Version eingeführt wurde, sie sollte weniger Schlupflöcher für Investoren bieten. Sie haben häufig wenig Interesse an Wohnungen mit geringeren Mieten. Doch laut Stadt greift die Version besser und kommt in 38 Bauprojekten mit 3968 geförderten Wohnungen zum Tragen.

Konzeptvergabe: 2016 hat der Rat dieses Instrument beschlossen, bestimmte städtische Flächen sollen seitdem nicht mehr an den Bieter mit dem meisten Geld gehen, sondern an den mit dem bestem Konzept. Ein Kriterium ist etwa der Bau öffentlich geförderter Wohnungen. Das Problem: Etwa im Sürther Feld ist die Stadt im Sommer 2019 auf ihrem Bauland sitzen geblieben, weil die Investoren zu viele Vorgaben kritisierten, die den Bau unwirtschaftlich machen würden.

Erbbaurecht: Städtische Grundstücke teuer verkaufen oder über Erbbaurecht verpachten und weiter besitzen? Die zuständige Dezernentin Andrea Blome spricht sich für das Erbbaurecht aus, noch gibt es keine Entscheidung des Rates.

Neue Flächen: Das Stadtentwicklungskonzept Wohnen hat 2016 rund 80 Flächen ausgewiesen, um mehr Wohnraum zu schaffen. Doch zur Wahrheit gehört: Bis zur Bebauung vergehen Jahre. (mhe)

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