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Zum Tag der ArbeitKölner „Helden der Arbeit“ erzählen von ihrem Alltag

6 min
Arbeit 2

Köln – Homeoffice, Digitalisierung, Kinderbetreuung nebenher: Die Arbeitswelt verändert sich im Moment radikal. Aber was ist mit denen, die jeden Tag raus müssen? Wir haben uns zum Tag der Arbeit umgehört.

Die Industriemechanikerin

Günes Sen war seit Beginn der Pandemie kaum einen Arbeitstag nicht in der Produktion. Die 28-jährige Industriemechanikerin stand und steht wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen – eine Gesamtbelegschaft von gut 700 Menschen – an den Maschinen, produziert alle erdenklichen Filter von der Flaschenreinigung bis hin zum Schiffsdiesel.

Günes Sen

Günes Sen

Zwar habe ihr Arbeitgeber von Anfang an sehr genau auf die Hygienevorschriften geachtet. „Aber klar war das ein komisches Gefühl, wenn alles geschlossen ist und man selbst zur Arbeit fährt. Wir können nun mal nicht einfach zuhause bleiben.“ Dazu kommt die Pflicht zur Maske: „Das ist ja sinnvoll, aber irgendwie auch bedrückend und anstrengend.“ Man versteht sich durch die Maske kaum, die Kommunikation ist stark eingeschränkt. Manchmal verspürt sie eine Art Beklemmung, neben den physischen gehen auch die psychischen Folgen nicht spurlos an der Belegschaft vorbei.

Im September schien sich die Stimmung etwas zu lockern, nur um dann noch mehr anzuziehen: Die Bestimmungen wurden noch einmal verschärft. „Auf einmal lief alles wieder auf Hochtouren.“ Die Stimmung ist angespannt. Auch eine gewisse Angst und Unsicherheit macht sich breit. Viele Kollegen haben im engeren Umfeld bis in die Familie hinein mit Entlassungen oder Kurzarbeit zu kämpfen. Günes Sen hat in ihrem Unternehmen zwar noch keine betriebsbedingten Kündigungen erlebt, aber die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist dennoch gegenwärtig. Bei der momentanen Arbeitsmarktsituation ist ein anderer Job eben in der Regel keine Option.

Der Service-Techniker

„Die Corona-Regeln müssen gemacht worden sein von Menschen im Homeoffice. Draußen kann von denen keiner unterwegs gewesen sein“, sagt Georg Vinck. Er wartet und repariert Aufzüge, ist jeden Tag draußen, hat jeden Tag Kundenkontakt. Oft mehr als ihm lieb ist. „Wenn im zehnten Stock der Aufzug klemmt, kommt der Hausmeister aufgeregt angerannt und mit ihm die Bewohner. Besonders zu Beginn der Pandemie ohne Masken und Abstand.“

Georg Vinck

Georg Vinck

Wobei die Techniker selbst nicht besser ausgestattet waren: „Es gab ja kaum Masken und Desinfektionsmittel.“ Unterwegs waren und sind er und seine Kollegen trotzdem. Mit allen Ängsten und Sorgen, der Gedanke an eine mögliche Ansteckung fährt immer mit. Der Kastenwagen wird zur Pausenhalle, ein bisschen Grün am Straßenrand zum provisorischen Sozialraum – die sind schließlich ebenfalls alle geschlossen. Toiletten-Apps gibt es zwar mittlerweile, doch es dauert meistens zu lange, eine zu finden, der nächste Auftrag wartet schließlich bereits. Die Ausstattung mit Masken und Desinfektionsmitteln ist mittlerweile zwar besser geworden, auch hat jeder Mitarbeiter einen 20-Liter-Kanister zum Händewaschen dabei. Was Vinck aber bis heute fast am meisten ärgert: Er und seine Kollegen im Außendienst fanden sich plötzlich vor den verschlossenen Türen der Zentrale wieder. Zugangsbeschränkungen wegen Ansteckungsgefahr, nur mit Terminankündigung. „Da fühlt man sich dann als Mensch zweiter Klasse“, sagt er. Zumal auch in der Öffentlichkeit über alles Mögliche diskutiert wurde und wird, nur eben selten über diejenigen, für die Homeoffice einfach nicht machbar ist.

Der Fahrradkurier

Semih Yalcin dreht mit dem Rad seine Runden – unermüdlich. Liefert Pizzen aus, Schnitzel und Salate, Sommer wie winters. Dass die Bestellungen mit Beginn des ersten Lockdowns massiv zunehmen würden, war allen klar, und es kam auch so. Was nicht kam, waren Masken.

Samih Yalcin

Semih Yalcin

Oder Desinfektionsmittel. Die Kuriere wurden vollkommen ungeschützt zu fremden Wohnungen geschickt, mit dem vagen Hinweis, doch bitte die Abstände einzuhalten. Was in beengten Treppenhäusern und mit dem großen Rucksack auf dem Rücken bisweilen aber schlicht unmöglich ist. So ärgert sich Yalcin, dass sein Arbeitgeber bis heute keine Bitte an die Kunden herausgab, doch bitte ihrerseits bei Empfang eine Maske zu tragen: „Wir schützen natürlich unsere Kunden“, sagt er. „Aber wir würden uns schon wünschen, dass auch auf uns etwas mehr Rücksicht genommen würde.“ Was im Übrigen auch für die sonstige Ausstattung gilt: „Ich fahre jetzt den fünften Winter. So weit kommen viele Kollegen gar nicht.“ Für alles unter der Oberbekleidung müssen die Fahrer selbst aufkommen, von der Funktionsunterwäsche bis zu den Handschuhen. Immerhin, sagt Yalcin, so ganz langsam tut sich etwas in der Branche. Die Bedingungen würden besser. „Aber das dauert Ewigkeiten“, meint der 33-Jährige – zumal es keinen direkten Ansprechpartner gibt und Entscheidungen und Anweisungen größtenteils per Mail kämen.

Der Sicherheitsleiter

„Mit ganz harten Bandagen“ geht Bernd Olterdorfs Firma gegen Mitarbeitende und vor allem Fremdfirmen vor, die gegen die Hygiene-Verordnungen verstoßen. Was von der Belegschaft des großen Kabelherstellers nicht nur mit getragen, sondern ausdrücklich begrüßt wird.

Bernd Oltersdorf

Bernd Oltersdorf

Es werden tägliche Schnelltests für alle Mitarbeitenden angeboten. „Natürlich wird es in der Produktion mal eng, und bei Temperaturen um die 40 Grad in manchen Bereichen wird die Maske schnell unangenehm“, sagt er. Hilft aber nichts, da müssen alle 850 Mitarbeiter durch, ob in der Produktion oder in der Verwaltung. „Maske auf Halbmast reicht nicht“, sagt Oltersdorf. Glücklicherweise ist die Auftragslage gut, so dass die Motivation der Mitarbeitenden ungebrochen ist. Ein Problem allerdings zieht sich auch hier durch wie ein roter Faden: Die einen stehen Tag für Tag in der Produktion, während sich die anderen im Homeoffice einrichten. Natürlich führt das zu Diskussionen. Allerdings, so Oltersdorfs Eindruck, habe man durchaus den Eindruck, „dass die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen wertgeschätzt wird“.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Köln im Interview

Das diesjährige Motto zum 1. Mai, „Solidarität ist Zukunft“, klingt recht allgemein. Warum nicht etwas spezifischer?

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Witich Roßmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Köln.

Solidarität ist in der Corona-Zeit aktueller denn je: Solidarität mit den dauerbelasteten Beschäftigten im Gesundheitssystem und in der Pflege. Aber auch Solidarität, Wertschätzung und Respekt vor den Beschäftigten, die unsere technische und soziale Infrastruktur, unsere Versorgung, Mobilität und Wirtschaft unter komplizierten Arbeitsbedingungen aufrechterhalten haben. Und sie gilt besonders den Eltern, Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern, die sich oft doppelbelastet um Bildung und Wohlergehen unserer Kinder gekümmert haben.

Hat Corona die Gewerkschaften gestärkt?

Betriebsräte und Gewerkschafter haben Hygieneschutzkonzepte erarbeitet und verhandelt, sich gegen Entlassungen, für Kurzarbeit, Beschäftigungssicherung und Qualifizierung oft erfolgreich engagiert. Und gleichzeitig hat Verdi gute Tariferhöhungen, insbesondere für Beschäftigte der Gesundheitswirtschaft, durchgesetzt. Das hat uns Anerkennung und viele neue Mitglieder gebracht. Zudem haben alle Gewerkschaften neue virtuelle Arbeitsformen für Betriebsarbeit entwickelt.

In welche Richtung entwickelt sich unsere Stadtgesellschaft?

Die Politik muss Wirtschaft und Handwerk unterstützen, innovative Betriebe ansiedeln helfen und durch tariftreue Auftragsvergabe gegen Niedriglöhne ankämpfen. Über Klimaschutz darf nicht nur geredet werden: Wir brauchen Photovoltaik-Anlagen, die E-Mobilität muss besonders für Familien in Mietwohnungsvierteln aufgebaut werden. Die soziale Spaltung hat das Virus drastisch offengelegt: Bezahlbarer Wohnraum bleibt ein Hauptthema wie der Ausbau von Gesamtschulen.