Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Als Lagerfeld trotzig wurdePersönlicher Rückblick auf 20 Jahre lit.Cologne

Lesezeit 4 Minuten
130727188 lit cologne 20 jahre

Das Logo des Literaturfestival Lit.Cologne

  1. Seit 2001 gibt es die lit.cologne schon.
  2. Das Literaturfestival Lit.Cologne soll trotz der Ausbreitung des Coronavirus wie geplant am Dienstag starten.
  3. Axel Hill und Hartmut Wilmes blicken auf viele Erinnerungen zurück.

Köln – Seit 2001 hatte die lit.Cologne Weltklasse-Autoren, hochrangige Politiker, Sportler,  Musiker, bildende Künstler und Köche zu Gast. Und sie produzierte bemerkenswerte, traurige oder komische Episoden. Einige davon lassen Axel Hill und Hartmut Wilmes hier Revue passieren.

Mutprobe

Vor gefährdeten Gästen wie Mafia-Entlarver Roberto Saviano hatte das Festival niemals Angst. So kam Miichel Houellebecq am 19. Januar 2015, keine 14 Tage nach dem islamistischen Pariser Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo, ins Depot 1, um seinen als islamfeindlich verdächtigten Roman „Unterwerfung“ vorzustellen. Es gab Taschenkontrollen, Garderobenzwang sowie einen Polizeiwagen am Eingang – vor allem aber die Ansage des Franzosen, dass sein Roman sich nicht gegen Muslime richte. Aber er sei überzeugt, „dass man einen islamophoben Roman schreiben dürfte, wenn man das denn wollte“.

Houellebecq

Miichel Houellebecq am 19. Januar 2015 bei der lit.cologne.

Altersklasse

Kurz vor seinem 80. Geburtstag absolvierte Kabarettist Dieter Hildebrand 2007 im Theater am Tanzbrunnen mehr als fünf Stunden stehend am Lesepult.  „Die Weltgeschichte der Lüge“ war so gefragt, dass eine Zusatzshow angesetzt wurde. Dazwischen genehmigte sich der Altmeister nur einen Kaffee – und feierte abends im Schokomuseum den Doppelerfolg.Die englische Krimi-Queen P.D. James reiste sogar mit 93 Jahren an den Rhein, um aus ihrem Buch „Der Tod  kommt nach Pemberley“ zu lesen. Besondere Fürsorge genoss Margarethe Mitscherlich.  Die 90-jährige Grande Dame der Psychoanalyse wurde 2008 in Frankfurt von einem Fahrer abgeholt und nach der Lesung gleich wieder nach Hause gebracht.

Mitscherlich

Die 90-jährige Grande Dame genoss besondere Fürsorge.

Einspringer

Modezar Karl Lagerfeld lehnte ebenso trotzig wie kurzentschlossen Elke Heidenreich als Moderatorin seines Auftritts von 2012 ab. Der nichts ahnende Roger Willemsen wurde daraufhin von den Organisatoren an seinem freien Tag aus dem Hotelbett geklingelt. Als multitalentierter Festival-Libero überlegte er nur kurz und lieferte sich dann im ausverkauften Opernhaus mit dem bibliophilen „Papierfresser“ (Lagerfeld über Lagerfeld) ein virtuoses Bonmot-Pingpong.

Todesschatten

Im Hörsaal I der Uniklinik stellte Robert Gernhardt 2004 seine noch unveröffentlichten „K-Gedichte“ über die eigene Darmkrebserkrankung vor. „So ein Tod geht über Leichen“ hieß es da – und gut zwei Jahre später erlag der große Lyriker und Zeichner seinem Leiden.Barbara Rudnik las 2009 in der Kulturkirche aus Olga Tokarczuks Roman „Unrast“. Die an Krebs erkrankte Schauspielerin sagte nachher voller Lebensfreude „Es geht mir gut!“ Zwei Monate später war sie tot.

Großformat

Manchmal war der lit.Cologne selbst die Philharmonie zu klein. 2006 lockte „Die größte Deutschstunde der Welt“ mit Oberlehrer Bastian Sick 15 000 „Schüler“ in die Lanxess-Arena, wo sich selbst der damalige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers an die Tafel stellte.Problematischer wurde 2016 der große Benefiz-Abend „Auch ihr seid jetzt Deutschland“. Der Wind in der Flüchtlingspolitik hatte sich derart radikal gedreht, dass es trotz prominenter Teilnehmer wie Herbert Grönemeyer nur mühsam gelang, 7200 Zuschauer in der Arena zu versammeln.

Raumfahrer

Frank Schätzing durfte 2009 als Gast der Gala schon mal üben: Im Astronauten-Anzug las er aus „Per Anhalter durch die Galaxis“, kam dabei mächtig ins Schwitzen und konnte durch den Helm kaum die Buchstaben entziffern. Im Jahr darauf startete er dann in der Arena mit seinem eigenen Space-Trip  und machte die Lesung aus seinem Weltraumwälzer „Limit“ zum aufwendigen Multimedia-Spektakel.

Scheck-Schaetzing-13

Im Astronauten-Anzug las Frank Schätzing aus „Per Anhalter durch die Galaxis“

Improvisationskunst

Patti Smith kam 2010 eigentlich zur Vorstellung ihrer Autobiografie „Just Kids“ nach Köln. Doch schon bei der Pressekonferenz machte sie auch Musik. Und nachdem sie sich mit Nick Hornby das Richter-Fenster im Dom angeschaut hatte, spielte sie auf der Domplatte als Straßenmusikerin - unerkannt! Noch überraschender: Dass der niederländische Autor Maarten ´t Hart 2008 das Publikum nach der Lesung aus seinem Buch „Der Psalmenstreit“ mit einem Spontankonzert an der Orgel der Kulturkirche entzückte.

Hilfestellung

Ein Jahr nach seinem Nobelpreisgewinn kam der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer 2012 zur lit.Cologne. De nach einem Hirnschlag schwer sprachbehinderte Dichter verfolgte im Rollstuhl gut gelaunt, wie seine Frau Monica, Verleger Michael Krüger und Übersetzer Hanns Gössel seine Texte für ihn lasen.

Lit.Cologne trotzt dem Coronavirus

Das Literaturfestival Lit.Cologne soll trotz der Ausbreitung des Coronavirus wie geplant am Dienstag starten. Die Lit.Cologne sei nicht mit Großveranstaltungen wie der Leipziger Buchmesse zu vergleichen, sagte der Festivalchef Rainer Osnowski der dpa. „Die Leipziger Buchmesse – um bei dem Beispiel zu bleiben – hat nach eigenen Angaben 300 000 Besucher, und die drängen sich an vier Tagen in den Messehallen. Unsere 100 000 Besucher verteilen sich auf rund 200 Lesungen an zwölf Festivaltagen.

Das sind kleine Veranstaltungen, wie sie jeden Tag, ob in Theatern, Konzerthäusern, Opernhäusern, tausendfach stattfinden. Wenn man die absagen würde, dann müsste man das gesamte kulturelle Leben in der Bundesrepublik stilllegen. Das wäre völlig unverhältnismäßig.“ Es gebe keine Hinweise darauf, dass Besucher aus Angst vor einer Ansteckung nicht kommen wollten.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Wir haben bisher nicht mehr als wohlgemerkt drei besorgte E-Mails bekommen“, sagte Osnowski. Es würden zwar Tickets bei Ebay verkauft, aber das sei jedes Jahr so. Die Karten würden zu höheren, nicht zu niedrigeren Preisen angeboten. „Die unterschiedlichen Spielstätten, in denen wir zu Gast sind, machen jeden Tag Veranstaltungen und haben dementsprechend zusätzliche Hygienemaßnahmen ergriffen.“ (dpa)