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Ausstellung zur Postmoderne in BonnUnterhaltsamer Spaziergang durch zweieinhalb Jahrzehnte Pop-Kultur

Lesezeit 4 Minuten
Bundeskunsthalle Postmoderne

Bundeskunsthalle Postmoderne

„Anything Goes“, schreibt die Bundeskunsthalle auf die Plakate ihrer großen, wuseligen, ziemlich wirren und trotzdem sehr unterhaltsamen Postmoderne-Schau: „Alles auf einmal.“

Frauen und Männer tragen Schulterpolster, hören Elektro-Pop und Bowie und sehen David Lynchs „Eraserhead“ oder Fassbinders „Querelle“ im Kino. Gelesen wird „American Psycho“ von Bret Easton Ellis, Hartgesottene kämpfen sich durch Derrida, Foucault und Barthes. Das Design der Zeit ist schrill, bunt und radikal.

In Bonn setzt Gustav Peichl auf Helmut Kohls Kulturtempel, den er als Bundeskunsttresor im ägyptischen Stil inszeniert, drei alberne Hütchen, vielleicht ein Krönchen für den Kanzler der Einheit, oder sind das Karnevalsmützen? Und dann noch die Showtreppe für Pharaonen vom Dach bis zum Museumsplatz. Hat niemand den architektonischen Scherz bemerkt, den sich der Österreicher gegenüber den Piefkes erlaubt?

Unideologisch und voller Ironie

Verspielt, offen, unideologisch und voller Ironie — die Bundeskunsthalle ist baulich ein Kind ihrer Zeit: Es herrschen Pluralität und Gleichzeitigkeit, Kunst und Kultur werden zum Baukasten. Die libertinäre Postmoderne ist da, jedenfalls nennt mancher die Zeit zwischen 1967 und 1992 so.

„Anything Goes“, schreibt die Bundeskunsthalle auf die Plakate ihrer großen, wuseligen, ziemlich wirren und trotzdem sehr unterhaltsamen Postmoderne-Schau: „Alles auf einmal.“ 1908 schreibt der österreichische Architekt Adolf Loos, das Ornament sei zeitraubend in der Produktion, überflüssig und ästhetisch ein Gräuel. Das Bonmot spielt in einer Liga mit Louis Sullivans „Form follows function“ und Ludwig Mies van der Rohes „Weniger ist mehr“. Dogmen der Moderne.

Keine 50 Jahre später ist alles Makulatur, und viele sehen die hehre Moderne am Ende. Steven Izenour, Denise Scott Brown und Robert Venturi veröffentlichen 1972 ihr Buch „Lernen von Las Vegas“. Ein Dammbruch in Richtung Freiheit und Beliebigkeit.

Chaotisch anmutendes, schrillbuntes Panorama

Der Besucher betritt Peichls große Halle mit dem Säulenkranz durch den dunklen MTV-Raum, in dem Major Tom im Video „Völlig losgelöst“ ist. Danach tritt man ins Helle, sieht ein chaotisch anmutendes, schrillbuntes Panorama.

Entlang einer giftgrünen Plastikhecke geht es weiter, vorbei am Nachbau von Venturis Altenheim „Guild House“ in Philadelphia und mitten in die späten 1960er. An Paco Rabannes Ketten-Hemdchen vorbei geht der Blick zu Jane Fonda als „Barbarella“, daneben reckt sich eine schwarze Faust bei Olympia 1968 in den mexikanischen Himmel: Black Power setzt ein Zeichen. Ed Rushas Fotos von US-Parkplätzen hängen an der Wand, man sieht demonstrierende schwarze Müllmänner in Memphis.

Dazwischen stehen tolle Möbel von Ettore Sottsass, Gaetano Pesce, Guido Droccu und Franco Mello sowie Architekturmodelle von Hans Hollein, Oswald Matthias Ungers und natürlich von Peichls Bundeskunsthalle.

Der Blick geht weiter zum Memphis-Boxring von Massanori Umeda, bleibt hängen bei Cindy Shermans fotografischen Selbstinszenierungen und Elliot Erwitts Foto im Tapetenformat mit dem jungen, muskelbepackten Arnold Schwarzenegger vor Publikum in einer Bodybuilder-Pose. Und das alles soll Postmodene sein?

Unterhaltsamer Spaziergang

Kolja Reichert, der zusammen mit Intendantin Eva Kraus die Schau kuratiert, winkt ab: „Diese Ausstellung erzählt eine Geschichte des Redens über die Postmoderne.“ Sehr elegant: ein geschicktes Name- und Object-Dropping, ein kurzweiliger, höchst unterhaltsamer Spaziergang durch zweieinhalb Jahrzehnte Pop-Kultur, Kino, Musik und Architektur.

Nigel Coates, britischer Architekt und Protagonist der Postmoderne, inszeniert diesen gut recherchierten Dialog der Dinge, als schrillen, bizarren, arg engen und konfusen Parcours, Peichls große Halle hat bisweilen die Anmutung eines Möbellagers. Von Las Vegas lernen: So war das wohl nicht gemeint.

Der Postmoderne und der Ausstellung gehen am Ende etwas die Luft aus: Da trifft 1992 die Kuckucksuhr, die Venturi für Alessi entwarf, auf das erste Album von Modern Talkingauf die Aids-Tapete und Riesenpillen von General Idea sowie einen Ausschnitt aus Sally Potters Film „Orlando“. Da durchlebt ein Edelmann, gespielt von Tilda Swinton, wechselweise als Mann und Frau die vier Jahrhunderte zwischen der Zeit von Königin Elisabeth I. und dem London des 20. Jahrhunderts.

Am Ende, 1992, ist die Ungleichheit der Geschlechter aufgehoben. Wirklich? Und was kommt nach 1992, nach dem kurzlebigen Rausch der Postmoderne?


Die Schau

Die mit 350 Objekten üppig bestückte Ausstellung „Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967-1992“ läuft bis 28. Januar 2024. Geöffnet: Di 10-19, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Der bei Hirmer erschienene Katalog kostet 39 Euro. (t.k.)