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Banksy aus Hauswand geschnittenWie Straßenkunst der Stars zum Spekulationsobjekt wird

Lesezeit 3 Minuten
Banksy in Nottingham

Das Street-Art-Werk des britischen Künstlers Banksy auf einer Backsteinfassade in der Rothesay Avenue zeigt ein Mädchen, das mit einem Hula Hoop Reifen spielt. I

Nottingham – Vier Monate lang konnte sich Nottingham an einem echten Banksy erfreuen – dann kamen die Handwerker. Mit schwerem Gerät schnitten sie das Bild eines kleinen Mädchens samt seinem zum Hula-Hoop-Ring zweckentfremdeten Fahrradreifen aus dem Mauerwerk, packten es in einen Van und ließen ein notdürftig abgedecktes Loch in der Wand zurück. „Das ist Kapitalismus pur“, empörte sich Anwohnerin Jasinya Powell in der BBC. Der Galerist John Brandler hatte das erst im Oktober aufgetauchte Bild für eine sechsstellige Summe für seine Sammlung gekauft.

Schlangen bildeten sich vor dem Werk

In Nottingham hatte das Banksy-Werk Abwechslung ins triste Lockdown-Leben gebracht. Schlangen stauten sich in den Wochen zuvor, alle wollten das Mädchen aus der Nähe sehen und ein Foto machen. „Es hatte einen dynamischen Effekt, es hat neue Menschen in die Nachbarschaft gebracht“, erzählte Alex Mitchell-Messam, der in der Nähe einen Laden hat.

Für den Kunsthistoriker Ulrich Blanché von der Universität Heidelberg ist der Vorgang nicht überraschend. Bereits seit fast 15 Jahren werden Werke des berühmten und noch immer weitgehend unerkannt agierenden Künstlers von ihren Entstehungsorten entfernt und verkauft. „Ich stehe dem zwiespältig gegenüber“, sagt Blanché. „Aus archäologischer Sicht bin ich durchaus dankbar, dass es Leute gibt, die die Werke erhalten“, erklärt der Streetart-Experte. Allerdings gehe bei deren Entfernung vom Ursprungsort oft viel verloren. So hatte sich das Mädchen in Nottingham seinen Fahrradreifen von einem direkt nebenan angeschlossenen alten Fahrrad stibitzt.

Extremer Marktwert der Werke

„Wenn ich es nicht gekauft und entfernen hätte lassen, wäre in zwei Jahren gar kein Banksy mehr da gewesen“, sagt der Galerist John Brandler. Wenn man Schutzabdeckungen aus Kunststoff anbringe, könne die Wand nicht mehr atmen.

Doch Szenekennern zufolge ist das höchstens die halbe Wahrheit. „Der Marktwert der Werte ist extrem. Banksy ist mutmaßlich derzeit der größte Künstler der Welt“, sagt der Londoner Anthropologe und Kurator Rafael Schacter. „Wenn er auf einem privaten Grundstück ein Werk produziert, wird das zu einem Gewinn im Lotto.“

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Ein anderes noch ziemlich frisches Werk liegt an der Vale Street in Bristol, die als steilste Straße Englands gilt. Auf einem der von Banksy veröffentlichten Fotos sieht es aus, als hätte das Niesen der abgebildeten Frau eine Mülltonne umgeworfen und die benachbarten Häuser zum Kippen gebracht.

Banksy übt Kritik an der  traditionellen Kunstwelt

Was der Streetart-Meister selbst vom Boom einer Werke hält, ist nur zu erahnen. Immer wieder äußerte sich Banksy kritisch zur traditionellen Kunstwelt mit ihren Museen und Galerien. „Banksy sprüht fast nur noch auf Oberflächen, die nicht so leicht zu entfernen sind. Eigentlich möchte er, dass die Werke auf der Straße bleiben“, sagt Blanché.

Allerdings sei auch völlig klar: „Die Dokumentation der Werke ist das Allerwichtigste.“ Schon vor dem Sprühen soll Banksy ausmessen und testen, wie das Ganze später auf Fotos wirkt. Sein Instagram-Kanal ist mittlerweile zur Online-Galerie für Fans in aller Welt geworden. Erst wenn dort ein Foto erscheint, gilt ein Werk als offizieller Banksy. Das Entfernen der sogenannten Murals beschränkt sich neben Banksy auf wenige weitere Stars der Szene. Eine gegenläufige Entwicklung zeigt sogar: Immer mehr Städte, auch in Deutschland, haben teils öffentlich geförderte Streetart-Festivals, bei denen sich weniger bekannte Künstler auf bereitgestellten Hauswänden entfalten können – so in Köln beim CityLeaks Urban Art Festival.

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Wenn Straßenkunst verschwindet, sind allerdings manchmal auch Diebe, Vandalismus oder nur das Wetter Schuld. Experte Schacter meint: „Man könnte sogar sagen, das Kunstwerk ist nicht das Kunstwerk, sondern all das, was nach der Entstehung passiert.“