Beckmann-Ausstellung in HamburgWie ein heimliches Tagebuch

"Großes Fisch-Stillleben" von 1927.
Copyright: Museum Lizenz
Hamburg – Die Figurenbilder, die großartigen Küsten- und Stadtlandschaften, die vielen Porträts und bildlichen Mythen von Max Beckmann (1884-1950) sind längst zu Ikonen der Moderne geworden. Weniger bekannt und in einer so konzentrierten Zusammenschau international noch nie gezeigt sind hingegen die Stillleben.
Sie finden sich in den frühen, ab 1905 entstandenen Arbeiten und in den Kriegswirren, in der Frankfurter Zeit, als er am Städel lehrt, im Amsterdamer Exil, wo der als "entartet" diffamierte Künstler bis 1947 ein Refugium findet und in seinen letzten Jahren in Amerika. Diesem Genre widmet die Hamburger Kunsthalle nun eine faszinierende Ausstellung mit siebzig Ölbildern und zehn Aquarellen überwiegend privater Leihgeber aus Europa und den USA.
In ihrer Intimität, ihrer Klarheit, ihren berückend schönen Farben offenbart die Schau ganz neue Seiten des kraftvoll-kantigen Malers. Im Stillleben feiert Max Beckmann das Leben und die Welt in ihrem Reichtum an Farbe, Form und Stofflichkeit wie ein sprühendes, wenngleich vergängliches Fest. Und manchmal neigt er zu makabren Späßen - wie in dem "Totenkopfstillleben" von 1945: Drei Schädel mit dunklen Augenhöhlen werden da umringt von Spielkarten, erloschenen Kerzen und Weinflasche. Im Hintergrund stehen drei prachtvolle Stühle für die Toten bereit. Selten waren sich Glück und todbringendes Verderben so nah - und das in strahlendem Gelb mit Orange.
Beckmann verehrt bekanntlich die alten Meister und verdankt ihnen viel. Dennoch erkühnt er sich, das Stillleben zu demolieren und sehr persönlich zu interpretieren. Und so fügt er in das klassische Repertoire aus Blumen, Früchten, Muscheln, Fischen, Vasen, Uhren oder Spiegeln neue Motive ein, vergilbte Zeitungen etwa und Anspielungen auf aktuelles Zeitgeschehen. Er integriert Innenräume, Landschaften, Figuren und eröffnet aufregende Grenzbereiche zu anderen Gattungen. Und er führt immer wieder seine Lieblingsstücke vor, von denen er sich niemals trennte. Einige sind in der Schau zu sehen, zum Beispiel das Nachtlämpchen in Form eines Elefanten.
In den Amsterdamer Kriegsjahren herrscht Verdunkelungspflicht, da wird der kleine Dickhäuter mit seinem Quäntchen Licht dem Maler zum nächtlichen Freund. So sind Beckmanns Stillleben auch ein heimliches Tagebuch.
Der Rundgang durch lichte, hell getünchte Räume beginnt delikat in Pastell, mit weißen Hyazinthen, zart gelben Stiefeln und verblassten Faschingskostümen. Doch werden die Farben zunehmend greller und lauter, als wollten sie sich Gehör verschaffen. Inmitten von kräftigem Grün, Rot, Blau drängt in den 30er Jahren Schwarz unheilvoll ins Bild, schafft harte Konturen. Blumen gleichen bösen Krähen, wie ein Raubtier mit aufgerissenem Maul bedroht die Muschel glänzende Fische.
Wenige Wochen vor seinem Tod malt Beckmann "Großes Stillleben mit Tauben". In diesem dunkeltonigen Bild stellen durchs Fenster spähende Vögel die Ruhe des Interieurs mit Teetopf und Kaminfeuer infrage. Mit ihren flatternden Flügeln und flammend roten Schnäbeln verheißen sie nichts Gutes, lassen sich aber auch nicht entschlüsseln. Max Beckmann verrät dem Betrachter vieles, aber nicht alles. So bleibt er für uns ein unauflösbares Rätsel.
Bis 18. Januar 2015, Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr. Kunsthalle: Galerie der Gegenwart. Glockengießer Wall. Katalog 29 Euro.