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Debatte in KölnGrünen-Chef Habeck und Soziologe Welzer eröffnen phil.cologne

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phil.cologne

Faire Streitkultur zeigen Harald Welzer und Robert Habeck (r.) im Gespräch mit Svenja Flaßpöhler.

Köln – Der eine schrieb das Buch „Wer wir sein könnten“ und gilt gerade dank der Konjunktur grüner Themen manchen schon als Kanzler der Zukunft. Der andere hat unter dem Titel „Alles könnte anders sein“ ebenfalls utopische Horizonte aufgerissen. Dass sich Robert Habeck und Harald Welzer zum Auftakt der phil.cologne im Disput beharken würden, war also nicht unbedingt zu erwarten.

Tatsächlich musste Moderatorin Svenja Flaßpöhler im WDR-Sendesaal kaum als Ringrichterin eingreifen. Welzer geht es darum, „endlich einen Punkt zu machen gegen die eitle Untergangsrhetorik“. Man müsse „die Schwerkraft des ,So ist es eben' überwinden“.

Das findet Habeck gar nicht so schwierig, „denn dass Nichtstun eine Option ist, glaubt außer der aktuellen Bundesregierung niemand mehr“. Der Bundesvorsitzende der Grünen plädiert da durchaus für Revolution – doch keine Bange, gemeint ist kein totalitärer Umsturz, sondern die Rückbesinnung auf die ursprünglichen Ziele der sozialen Marktwirtschaft. „Und wir müssen fossile Energien teurer machen, anstatt Natur und Klima den Märkten zu unterwerfen.“ Auch gebe es keinen Grund, etwa Amazon nicht über die Umsatzsteuer zur Kasse zu bitten.

Wird die Welt immer komplexer?

Ein erster Disput entzündet sich an der vermeintlich immer komplexer werdenden Welt. Unfug, meint der Soziologe, die Lebensformen glichen sich vielmehr an, die Globalisierung sei eine große Harmonisierungsmaschine, „und überall ist Starbucks“. Das Individuum werde höchstens als Konsument überfordert, der im Optimierungswahn noch jeden Joghurtkauf per App bewerten solle.

Einspruch, kontert der Politiker, „unsere Leben als Individuen sind etwa gegenüber der feudalen Gesellschaft vielfältiger geworden, es gibt keinen allgemeinen Wertekonsens mehr“. Einen neuen „Veggie Day“ dürfte es mit Habeck nicht geben. „Bessere Menschen statt besserer Politik zu machen, ist die falsche Idee.“ Sinnvoller wäre es seinerzeit gewesen, die Landwirtschaft etwa mit Dünge-Restriktionen oder der Forderung nach mehr Platz für die Tiere zu Reformen zu zwingen.

„Die Politik braucht ein neues Mandat“

Nur wie lässt sich das Leben in einer Welt singulärer Interessen verbessern? Habeck: „Man kann nicht zurück zur gesellschaftlichen Homogenität, die Politik braucht ein neues Handlungsmandat. Man muss sich auf gemeinsame Ziele einigen – und an dieser Wasserscheide stehen wir gerade.“ Harald Welzer sieht da gar nicht so schwarz: „Das Klimathema hat sich in einem Generationenkonflikt manifestiert, und diese Konflikte sind stärkste Treiber für Veränderungen. Das kann die Verhältnisse zum Tanzen bringen.“Statt also stets Vorbehalte gegen die CO2-Steuer zu debattieren, müsse man knallhart klarmachen: „Fliegen ist kein Menschenrecht – und die Rettung der Welt kostet eben Geld.“ Beifall im Saal.

Auch sein Gesprächspartner räumt ein: „Nur durch die kritische Masse bewegt Politik ihren Arsch.“ Während Welzer auch dem ums Weltklima besorgten Einzelnen etwa den „Ausstieg aus der Steigerungslogik“ zumuten will, möchte Habeck den Systemwandel weder in der Landwirtschaft noch in der Mobilität allein dem Verbraucher überantworten. Allerdings sieht auch der Grünen-Chef die Zeit zum Handeln als ebenso dringend wie günstig an: „Es gibt jetzt eine Chance für große Ansagen.“

Eine Ansage fürs Festival ist auch diese anregende Eröffnung, bei dem keiner der Kontrahenten den Universalschlüssel für alle Probleme beansprucht. So geht Streitkultur.