So wollte er sein geliebtes Köln nicht verlieren. Da griff der Buchhändler und Antiquar Franz Anton Kreuter zur spitzen Feder und rettete, was dem Vergessen anheimfiel.
Die Welt des Sturkopfs Franz Anton KreuterEinblicke in ein untergegangenes Köln

Ausstellung im Historischen Archiv mit Rheinischen Bildarchiv: M´r welle en neue Stadt baue - Kölns Aufbruch in die Moderne
Copyright: Thomas Banneyer
Er war wohl kein Mensch, zum Liebgewinnen. Nach allem, was über Franz Anton Kreuter (1810 - 1877) noch bekannt ist, hatte er einen Dickschädel. Stur und pingelig muss er gewesen sein. Streitlustig gar, wenn es um die Sache ging. Und aus heutiger Sicht muss man sagen: Gott sei Dank. Denn Kreuters Halsstrarrigkeit, seine Akribie, hat Einblicke ins mittelalterliche Köln gerettet, das gleich zweimal untergegangen ist. Das wenige, was der Bauboom der Gründerzeit noch überließ, wurde spätestens in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs eingeebnet.
Das bisschen Grün wird auch noch zugebaut
Ja, auch Kreuter lebte in einer Zeitenwende: „Die Preußen kommen, das Militär zieht ein, die Protestanten nehmen zu, die Eisenbahn wird ein großes Thema“, so beschreibt Ausstellungs-Kuratorin Andrea Wendenburg das kölsche Grauen. „Das bisschen Grün, das Kreuter innerhalb der Stadtmauern noch sieht, wird zugebaut“, so Wendenburg weiter Für den spleenigen Heimatforscher noch schlimmer: Er sieht die Spuren des mittelalterlichen Kölns schwinden.
Um zu retten, was nicht mehr zu retten ist, greift Kreuter zur Feder, zeichnet Häuserfronten. Draufsichten mit zur Seite geklappten Fassaden. Um die dritte Dimension für seine Sache zu gewinnen, stellt er die Häuserfronten gar auf. Überspitzt könnte behauptet werden, eine frühe Form der virtuellen Realität (VR).

So wurde die Severinstraße noch nie gesehen
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Damit ist die Brücke geschlagen zur zweiten Komponente der Ausstellung. Für diese konnte die Archivdirektorin Dr. Bettina Schmidt-Czaia den Informatik-Studenten Lukas Lammers gewinnen. Der suchte ein Thema für seine Masterarbeit. Lammers und Kreuner - auf Neudeutsch würde man sagen, es hat gematcht. Ohne seine Eigenwilligkeit zu besitzen, kann Lammers die Passion Kreuters nachvollziehen: „Er hat unheimlich genau gearbeitet.“ 98 Kartons schuf der Heimatforscher. Der Informatiker hat sie „zusammengepuzzelt“. „Die Straßen passen lückenlos“, sagt Lammers anerkennend. In nur neun Wochen schuf er daraus ein Erlebnis, das Kreuter als Hexenwerk empfunden hätte. Mit einer VR-Brille über Kopf und Augen können die Menschen des bundesrepublikanischen Kölns durch das preußische Kölns gehen, durch Kreuters Werk schreiten.
Eien Ausstellung wie eine Praline
Nach „Chargesheimer fotografiert Jazz“ und „Fotografen sehen Köln“ schon wieder eine Ausstellung im Foyer des Archivneubaus, wie eine Confiserie-Praline: klein, gehaltvoll, ein Genuss. Dabei hat sich mit dieser Ausstellung zusammengefunden, was nicht zusammengehörte. Jedenfalls nicht, hätte der Wille der Zeitgenossen überdauert. Kreuter verband mit dem damaligen Stadtarchivar Leonard Ennen eine intensive Hassliebe. Ennen belegte Kreuter mit Hausverbot. Kreuter versuchte Ennen historische Dokumente vor der Nase wegzuschnappen. Nur über ihre Leichen hätten die beiden Sturköpfe es zugelassen, dass Kreuters Arbeit in Ennens Stadtarchiv eingeht. So kam es dann auch. Die Karten wurden erst 15 Jahre nach Kreuters und zwölf Jahre nach Ennens Tod durch die mit der Familie Kreuter befreundetn Familie Tonger dem Archiv übergeben.

Virtuell kann der Besucher durch die Welt des Kreutners schlendern.
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Die Ausstellung „M'r welle en neue Stadt baue. Kölns Aufbruch in die Moderne“ ist im Erdgeschoss des neuen Stadtarchivs am Eifelwall bis zum 10. März 2024 zu sehen. Öffnungszeiten sind von dienstags bis sonntags zwischen 9 und 16.30 Uhr. Mittwochs ist von 9 bis 19.30 geöffnet. Der Eintritt ist frei. Das virtuelle Angebot mit VR-Brille kann nur an den Mittwochnachmittagen genutzt werden, da es zur Nutzung eine Einführung braucht und die VR-Brillen besonders vor Diebstahl beschützt werden müssen. Zu der Ausstellung gibt es einen Katalog, der teils Kreuters Karten auf Ausklappseiten zeigt (30 Euro). Zudem gibt es ein Begleitprogramm mit Vorträgen, beginnend am 8. November mit der ehemaligen Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner: Die Kölner Ringe - ein Versagen der Stadtplanung?