75. GeburtstagWarum sich an Grace Jones bis heute die Geister scheiden

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Die amerikanische Sängerin und Schauspielerin Grace Jones.

1981 entstand dieses Foto zur Single „I’ve seen that face before“, Astor Piazzollas „Libertango“. Foto: dpa

Der berufliche Werdegang von Grace Jones liest sich wie der vieler anderer gut aussehender Frauen in den 70ern: Erst wird gemodelt, später gesungen.

Muse oder Meisterwerk? Selbstermächtigung oder Ausbeutung? Die Karriere von Grace Jones ist lang; weibliche und männliche Geister scheiden sich an der Frau aus Jamaika nach wie vor. Nun feiert sie am 19. Mai ihren 75. Geburtstag.

Der berufliche Werdegang liest sich wie der vieler anderer gut aussehender Frauen in den 70ern: Erst wird gemodelt, später gesungen. Disco wird für viele Damen zum Einfallstor in die Musikwelt und für die meisten direktemang zur Einbahnstraße.

Grace Jones, die auf Jamaika geboren wurde und, seitdem sie 13 war, in New York lebte, ragt aus den schönen Heerscharen heraus – optisch und musikalisch. Mit „La vie en rose“, eine siebenminütige, sehr tanzbare Fassung von Edith Piafs Chanson, hat Jones 1977 einen ersten Hit. Die Stimme, die changiert zwischen rauchig und stählern, zwischen sinnlich und sirenenhaft, passt perfekt zum auf Androgynität getrimmten Aussehen. Kurzgeschorene Haare, ausgeprägte Wangenknochen, ein großer Mund – verewigt auf dem Cover ihres ersten Albums „Portfolio“, geschaffen von Richard Bernstein, einem Künstler aus dem Dunstkreis von Andy Warhol. Man kennt sich spätestens aus dem legendären Studio 54.

Kantig und schwarz-blau

Mit dem Ende der 70er bekommen Musik und Aussehen noch härtere Konturen. Für den Look sorgt ihr Lebensgefährte, der Künstler und Designer Jean-Paul Goude: Die Kopfform wird dank des entsprechenden Haarschnitts noch kantiger, in vielen seiner Werke verleiht er ihrer Haut einen schwarz-blauen Ton. Im berühmten Werbespot für Citroën zeigt sich Jones als Cyborg, aus dessen weit geöffnetem Mund ein Auto braust – an dessen Steuer sie selber sitzt. Und spätestens hier setzen heutige Kritiken ein, die in Goude einen weißen Mann sehen, der eine schwarze Frau sexualisiert, objektifiziert, ausbeutet. Jones selber bedient dieses Image, das sie zur Marke, ja zur Ikone gemacht hat.

Sie sei „a man eating machine“, eine männerfressende Maschine, droht sie noch 2008 auf ihrem Comeback-Album „Hurricane“. Der Look passt zu der Art von Musik, mit der sie Anfang der 80er Jahre ihren Durchbruch als Sängerin erlebt. In den berühmten Compass Point Studios in Nassau auf den Bahamas entstehen unter der Regie von Alex Sadkin drei großartige Alben. Statt Disco interpretiert sie irgendwo zwischen Reggae, Dancehall und Wave Songs von Roxy Music, den Pretenders, Iggy Pop oder sogar Astor Piazzolla. Mit dessen „Libertango“ gelingt ihr 1981 „I’ve seen that face before“ ein internationaler Hit.

Der ganz große Wurf ist nicht dabei

Neben den Coverversionen entstehen aber auch immer wieder Stücke, an denen sie selber mitschreibt. Mitte der 80er kreiert Trevor Horn (Produzent von Frankie goes to Hollywood oder Propaganda) das autobiografische „Slave to the rhythm“, ein Evergreen, zu dem sie bei Livekonzerten gerne minutenlang einen Hula-Hoop-Reifen kreisen lässt.

Danach verläuft die musikalische Karriere erratisch. Projekte werden angekündigt, dann wieder verworfen. Was dann erscheint ist nicht schlecht, aber der ganz große Wurf ist länger nicht dabei. Eine Filmkarriere kommt zwar mit „Conan, der Barbar“ und dem James-Bond-Streifen „Im Angesicht des Todes“ ganz ordentlich in die Gänge, aber dümpelt dann auch schnell nur noch so vor sich hin. Sicher liegt all das Auf und Ab auch an der Künstlerin selber.

Schon als Jugendliche lehnt sie sich gegen die strikte Erziehung ihrer religiösen Eltern und Großeltern auf. Kratzbürstig, auf Krawall gebürstet – oft weiß man nicht, ob sie nur die Marke bedient oder wirklich genervt ist. So kursieren im Netz Videos von zwiespältigen Auftritten in Talkshows, legendär ihre handgreifliche Attacke auf den britischen Moderator Russell Harty. „Ich habe mich geändert und bin nicht mehr so ungeduldig, wie ich früher einmal war“, zitiert sie die Deutsche Presse Agentur. „Ich habe aufgehört, Menschen zu hauen. Lasst uns einfach sagen, ich schlage niemanden mehr zusammen.“

Eine ganz andere Seite zeigt sie im Gespräch mit US-Talkerin Joan Rivers. Dort berichtet sie stolz von ihrem damals zehn Jahre alten Sohn Paolo (er stammt aus der Beziehung mit Jean-Paul Goude) – und von Erlebnissen, die wohl jedes Elternteil kennt: Das Outfit, mit dem Mama am Elterntag erscheint, ist dem Filius peinlich. Man kann es sich lebhaft vorstellen. Nicht aber, dass der Nachwuchs Grace Jones vor einiger Zeit zur Großmutter gemacht hat. Doch wie bei so vielem, wenn auch nicht allem, in ihrem Leben: Es ist die Wahrheit.


Drei Alben

Insgesamt hat Grace Jones seit 1977 nur zehn Alben veröffentlicht. Drei davon gehören in jede gute Sammlung.

1. „Portfolio“ (1977): Zur Hochzeit von Disco entsteht mitreißendes Tanzflächen-Material rund um das hypnotische „La vie en rose“.

2. „Nightclubbing“ (1981): Düster, geheimnisvoll, unterkühlt und voller Gefühl.

3. „Slave To The Rhythm“ (1985): Acht Tracks, die Variationen des Titelstücks sind – mit gesprochenen Passagen und Soundcollagen. (HLL)

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