GroschenromaneDas schwere Geschäft mit der leichten Unterhaltung

„Willkommen im Fegefeuer“: Helmut Rellergerd an der Schreibmaschine.
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- Der Heftroman hatte schon bessere Zeiten, aber Helmut Rellergerds Bände verkaufen sich noch immer.
- In Bergisch Gladbach entstehen in seinem Arbeitszimmer Geschichten von "John Sinclair" binnen weniger Tagen
- Wir geben einen Einblick in seine Arbeit und in das Geschäft mit der leichten Literatur
Bergisch Gladbach – Manchmal nimmt der Fürst der Finsternis seine Schreibmaschine und steigt die 45 Stufen in seinen Keller hinab. Aber eigentlich schreibt er nur hier oben unterm Dach. „Hier ist mein Hack-Platz“, sagt Helmut Rellergerd. Nur nicht, wenn es im Sommer zu heiß ist. Neben der Maschine auf dem Schreibtisch steht eine kleine Plastikfigur von John Sinclair. Seit mehr als 40 Jahren erzählt Rellergerd die Geschichte des Geisterjägers in seinen Heftromanen. Rellergerd nennt sich Jason Dark, seine Fans nennen ihn Fürst der Finsternis.
In der weißen Olympia Monica auf dem Schreibtisch ist noch eine Seite eingespannt. 16 Seiten hat Rellergerd an diesem Morgen geschrieben. „Willkommen im Fegefeuer“ heißt die neue Geschichte. Der Verlag schickt ein Titelbild, dann legt der 74-Jährige los. Früher hat er vier oder fünf Geschichten pro Monat geschrieben, manchmal sechs.
„Seit ich 70 bin, mache ich nur noch die Hälfte“, sagt Rellergerd. Früher hat er drei Tage für eine Geschichte gebraucht, heute lässt er sich zehn Tage Zeit. „Das soll ja nicht in Arbeit ausarten“, sagt Rellergerd. Mittlerweile schreiben auch andere Autoren an der Serie mit. Die Hefte erscheinen beim Kölner Bastei Lübbe Verlag, seit 1973, jede Woche eins, 64 Seiten, Gesamtauflage: 250 Millionen. Scotland-Yard-Inspektor John Sinclair kämpft darin gegen Vampire, Zombies und Werwölfe. Die erledigt er mit Silberkugeln aus seiner Beretta, der Dämonenpeitsche oder dem Silberdolch der Erzengel. In London, wo viele der Geschichten spielen, ist Rellergerd noch nie gewesen. „Wir fahren irgendwann noch dahin“, sagt er. Ab und zu lässt er seinen Helden auch nach Deutschland reisen: etwa in Rellergerds Heimatstadt Dortmund wie in „Verliebt, verlobt, eingesargt“ oder nach Köln wie in „Der Fluch von Melaten“.
Woher nimmt er die Ideen? „Das fliegt mir so zu“, sagt Rellergerd. Als es mal nicht so gut lief, ging er mit seiner Frau um den Block. Aus einem Haus in der Siedlung in Bergisch Gladbach wurde ein Sarg getragen. „Das war für mich der Anfang einer Geschichte, nur in meinem Sarg lag dann ein Vampir“, sagt Rellergerd. Gerade ist der 2130. Sinclair-Band erschienen. Der hat eine Auflage von rund 10 000, früher waren es mal 100 000.
Andere Lesegewohnheiten
„Das Geschäft mit den Heftromanen hat sich wie bei allen anderen Verlagen in den letzten Jahren rückläufig entwickelt“, sagt auch Miran Bilic von Cora. Neben Bastei Lübbe und Kelter gehört Cora zu den drei großen Heftroman-Verlagen in Deutschland. Der Rückgang habe etwas mit anderen Lesegewohnheiten zu tun und damit, dass jüngere Menschen eher Serien und Filme im Internet streamen.
Aber auch für den Verlag ist das Online-Geschäft wichtig. „Das hat einen Anteil von 20 Prozent und ist eine wichtige Umsatzsäule für uns“, sagt Bilic. „Durch das digitale Geschäft konnten wir einen Teil der Umsatzrückgänge kompensieren.“ Für die Leser seien E-Books vor allem interessant, weil sie schneller verfügbar sind.
Hauptsächlich verdient der Cora Verlag sein Geld aber weiterhin mit den gedruckten Heften, die an der Kasse im Supermarkt oder im Bahnhofskiosk neben den Rätseln liegen. Etwa 45 Titel, die vor allem Frauen ansprechen sollen, hat der Verlag im Programm. Zusammen liegt die Auflage bei rund zwölf Millionen Heften im Jahr. „Für viele Leserinnen gehören die Romane zum täglichen Leben“, sagt Bilic. „Sie entspannen damit 20 Minuten vom Alltag.“ Im Schnitt lesen sie zwei bis vier Romane pro Woche. Coras erfolgreichster Titel ist „Julia“, den es seit 1973 gibt. Die Hefte mit 144 Seiten erscheinen alle zwei Wochen und kosten 2,80 Euro. „Leidenschaft unter Tausend Sternen“, „Im Bett mit dem sexy Bodyguard“ oder „In der Oase der Sinnlichkeit“ heißen die Geschichten, die in mehr als hundert Ländern erscheinen. „Julia ist eine Cinderella-Story“, sagt Bilic. „Wir haben beobachtet, dass diese klassischen Geschichten über alle Kulturkreise am besten laufen.“
Jerry Cotton in 50 Ländern
Auch die Geschichten vom FBI-Agenten Jerry Cotton aus dem Programm von Bastei Lübbe sind in 50 Länder ausgeliefert worden. „Das ist mit Abstand unsere erfolgreichste Serie“, sagt Oliver Leimann, der beim Verlag den Bereich „Romane und Rätsel“ leitet. „Die erscheint seit 1954 und hat eine Gesamtauflage von einer Milliarde Exemplare.“ Auch die Leser der Bastei-Lübbe-Romane schätzen bewehrte Zutaten. „Einen Heimatroman mal nicht in den Bergen spielen zu lassen, sondern an der Nordsee“, sagt Leimann, „war nicht von Erfolg gekrönt.“
Die Leser seien sehr treu. „Von der Rentnerin bis zum Maschinenbauingenieur ist alles dabei“, sagt Leimann. Viele Leser sind über 50 Jahre alt, manche aber auch erst 20. Alle Heftromane des Verlags haben eine gedruckte Auflage von etwa sieben Millionen im Jahr. Hinzu kommt das Online-Geschäft, das fünf Prozent des Umsatzes ausmacht. Rellergerds Hefte hat der Verlag alle nachträglich digitalisiert, sodass Fans und Sammler sie sich als E-Book runterladen können. Rellergerds Leser sind vergleichsweise jung, fast die Hälfte sind Frauen. Bei der „John Sinclair Convention“ in der Stadthalle Mülheim ließen sich letztes Jahr einige Fans sogar ein Autogramm von Jason Dark tätowieren.
Vier Schreibmaschinen
„Opa Jason“, so nennen ihn auch seine Enkel. Hat Opa Jason auch manchmal keine Lust mehr auf John Sinclair? „Nach ein paar Tagen drängt es mich immer wieder an die Schreibmaschine“, sagt Rellergerd. Vier Schreibmaschinen hat er gehabt. Seine aktuelle hat er von der Frau seines Cousins bekommen, zwei andere lagert er in seinem Arbeitszimmer. Sicher ist sicher. „Eine ist mir mal bei einer Ausstellung im Haus der Geschichte geklaut worden“, sagt Rellergerd. Die Ausstellung hieß: „Die schwere Kunst der leichten Unterhaltung.“
Zur Person
Jason Dark ist einer der erfolgreichsten Romanautoren Deutschlands. Im wirklichen Leben heißt er jedoch Helmut Rellergerd, wurde 1945 geboren und wuchs in Dortmund auf. Seit 40 Jahren und 2130 Groschenheften bekämpft sein Geisterjäger John Sinclair die wahre Unterwelt mit ihren unheimlichen Kreaturen. Rellergard ist in Bergisch Gladbach zu Hause. (ht)