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Heimatlos im alten LebenSchauen Sie am Sonntag einen starken Tatort aus Köln

Lesezeit 4 Minuten
Im Tagebaurevier angesiedelt ist der neue Tatort aus Köln mit dem Titel "Abbruchkante". Die Kommissare Schenk und Ballauf ermitteln nach dem Mord an einem Mediziner.

Konrad Baumann (Jörn Hentschel) steht an der Abbruchkante in einer Szene aus Tatort - Abbruchkante.

In „Abbruchkante“ geht es am Sonntag, 26. März, 20.15 Uhr in der ARD  um die verletzten Seelen eines Dorfes am Braunkohletagebau. Am Anfang steht diesmal ein Selbstmord.

Wann immer es Umfragen unter Tatort-Fans gibt oder man sich bei Schauspielkollegen der TV-Kommissare umhört – das Team vom Rhein landet stets ganz weit oben. An diesem Sonntag lässt sich einmal mehr beobachten, woran das liegt: Der Kölner Tatort mit Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ist in der Regel gesellschaftspolitisch auf der Höhe, nachvollziehbar erzählt und menschlich geerdet. „Abbruchkante“ hat von alledem eine Extraportion. Der neue Fall spielt im Tagebaurevier Garzweiler. Die  Region war im Januar wegen der Räumung des damals von Braunkohle-Gegnern besetzten und inzwischen abgerissenen Ortes Lützerath täglich in den Medien.

Am Anfang steht diesmal kein Mord, sondern das, was man früher Selbstmord nannte und heute Suizid. Ein altes Ehepaar in einem neuen Haus. Ganz nah und doch so fern von dem Ort, der für die beiden jahrzehntelang Heimat war. Ernst und entschlossen mixen sich die beiden einen Cocktail aus Sekt und Tabletten, spülen ihn runter und legen sich nebeneinander. Peter Schnitzler (Peter Franke) wird gerettet, seine Frau Inge stirbt. „Du mieser Wixer“, wird ihr Enkel Yannick (Leonard Kunz) danach zum Arzt Christian Franzen (Leopold von Verschuer) sagen. Wenig später ist auch der Mediziner tot. Kopfschuss.

Bagger haben tiefen Wunden in die Seele der Menschen geschlagen

Peter Schnitzler war früher Ortsvorsteher von Bützenich, einem fiktiven Ort vor den Toren Kölns. Dann rückte der Braunkohletagebau immer näher. Bützenich wurde nach jahrelangem Streit und Protest für die Kohle aufgegeben, die Bevölkerung ins moderne, aber gesichtslose Retortendorf Neu-Bützenich umgesiedelt. Hier wollten die beiden Alten nicht mehr leben. Nicht einmal nach der Rolle rückwärts: Denn Bützenich wird nun doch nicht angebaggert. Doch in die Seelen der Menschen haben die Bagger längst tiefe Wunden geschlagen. Und ein Zurück ins alte Leben gibt es auch nicht mehr.

Dieser Kölner Tatort ist ein ruhig erzähltes, feinfühliges und dadurch umso beeindruckenderes Psychogramm einer Dorfbevölkerung, die mit dem kollektiven Verlust ihrer Heimat konfrontiert wird. „Wir wollten von dieser Abbau-Thematik erzählen, ohne einen Themen-Tatort zu machen, in dem sich die Protagonist:innen energie- und umweltpolitische Argumente um die Ohren hauen, die man in der Zeitung oder bei Wikipedia nachlesen kann“, sagt im Senderinfo Volker A. Zahn, der zusammen mit seiner Frau Eva das Drehbuch zu diesem ausgesprochen starken Krimi schrieb. „Uns ging es um die tieferen Verletzungen, die dieser Raubbau an Mensch und Natur anrichtet.“ Das ist den beiden in Zusammenarbeit mit Regisseur Torsten C. Fischer, der bereits seinen zehnten Kölner Tatort inszenierte, rundum gelungen.

Eine zerrissene Gesellschaft, die ihrer Wurzeln beraubt ist

Wer meint, dass der Tatort oft zu finster, zu grausam, zu künstlerisch ambitioniert rüberkommt, sollte sein TV-Navi auf „Abbruchkante“ einstellen. Kein Wunder, dass Spannung und Action bei der von Eva Zahn beschriebenen Zielsetzung ein wenig in den Hintergrund treten – sie hätten auch nicht wirklich in diesen Krimi gepasst. Im Vordergrund steht eine sorgsame und präzise Figurenzeichnung. Das Finale hat gar etwas von einem alten Derrick, aber: „Wir erleben exemplarisch im fiktiven Bützenich, ob alt oder neu, eine zerrissene Gesellschaft, eine Gemeinschaft, die keine Orientierung mehr hat und – ihrer Wurzeln und Erinnerungsstätten beraubt – so verwirrt in eine ungewisse Zukunft torkelt, als habe sie eine kollektive Alzheimer-Erkrankung befallen.“ So beschreibt Eva Zahn das Wesen ihrer Geschichte, die ein solches, auf den ersten Blick altbackenes Ende durchaus vertragen kann.

Auch Max Ballauf wird von der kollektiven Melancholie erfasst

An der Abbruchkante ihres Lebens steht aber nicht nur die Bützenicher Bevölkerung. Auch Max Ballauf wird – wenn auch aus anderen Gründen – von der kollektiven Melancholie erfasst. Nie war seine Einsamkeit so greifbar wie in diesem Tatort. Er nörgelt an Schenks Faible für protzige Oldtimer rum, verbringt die Nächte im Gasthof des verlassenen Dorfes, führt lange Gespräche mit der um noch ein paar Jahre älteren Wirtin, spricht seiner verflossenen Beziehung Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) mitten in der Nacht eine Nachricht aufs Handy: „Ich finde, wir sollten mal wieder essen gehen.“

Einsamer Wolf nennt man so jemanden gerne. Eigentlich ist er ein armes Schwein – wenn man schon ein tierisches Bild verwenden will. Klaus J. Behrendt trifft für diese Facette seiner Figur haargenau den richtigen Ton. Doch Abhilfe für den traurigen Kommissar scheint in Sicht: In der 90. Folge soll es laut Drehankündigung um den Mord an einem Erpresser gehen. Viel verriet der WDR nicht, aber eines schon: „Für Max Ballauf ist dieser Fall eine besondere Herausforderung – denn er hat gerade die Liebe seines Lebens gefunden.“

Tatort: Abbruchkante. Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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