Hip Hop in KölnKendrick Lamar liefert einen furiosen Auftritt in der Lanxess-Arena

In Köln ließ sich Kendrick Lamar nicht fotografieren. Dieses Bild entstand im Sommer.
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Köln – Er ist einer der Giganten des Hip-Hop. Er ist Autor, hat als erster Rapper den Pulitzerpreis bekommen und ist vielleicht der kreativste Kopf der Szene, die sich zumeist mit viel Ego-Show und Testosteron-Performances präsentiert. Tausende Fans in der fast ausverkauften Kölner Lanxess-Arena warten auf Kendrick Lamar. Die Show beginnt.
Ein weißer Vorhang verdeckt die Hauptbühne. Elf Tänzer betreten den Laufsteg – die Männer in Schwarz, die Frauen in Weiß. Sie bewegen sich wie Maschinen zu der Instrumental-Version von „Savior (Interlude)“von Lamars aktuellem Album „Mr. Morale & The Big Steppers“. Der Vorhang hebt sich, die Tänzer verlassen die Bühne, der Spot wandert auf ihn: Kendrick Lamar übernimmt am Klavier. Auf leise, nur einzelne Töne folgt das erste Text-Feuerwerk. Die Arena jubelt, die Handys sind auf Dauer-Live gestellt.
Lamar-Puppe singt den ersten Song in Köln
Lamar schreitet ins Licht und zeigt sich seinen Fans. Ein bisschen Bling-Bling trägt auch er: Brilli-Ohr-Geschmeide, eine fette Goldhalskette und eine überdimensionale goldene Gürtelschnalle. Vor der Brust hält er eine Bauchredner-Puppe – sie sieht ihm verblüffend ähnlich. Skurril: Die Puppe performt den ersten Song „United in grief“ vom neuen Album. Lamar erweckt sie zum Leben mit seinen kunstvoll gerappten Lyrics.
Es ist eine der Geschichten aus den Vierteln, in denen er aufgewachsen ist. Es geht um Liebe, Schmerz, Sex, Gewalt und Trauer. „I grieve different“ (Ich trauere anders) haut er in dem Song seinen Fans eindrücklich um die Ohren, und sie echoen es lautstark und ergriffen zurück.
Es sind Lamars messerscharf und szenisch formulierte persönliche Songgeschichten, die mitreißen, in denen er seine Anhänger mitnimmt und eintauchen lässt in die Welt der prekären Schwarzen-Communitys von Los Angeles. Der 35-Jährige weiß, wovon er spricht. Er hat als Teenager und junger Mann in diesen toxischen Milieus gelebt, und sie beschäftigen ihn bis heute. Umgeben von Gangs in den Vororten der kalifornischen Mega-Metropole und einer von Armut und Kriminalität geprägten Familie flüchtete Lamar bereits im Alter von neun Jahren in die Hip-Hop-Welt – inspiriert von Größen wie Dr. Dre und Tupac Shakur. Nun ist er der Meister.
Weniger Minimalismus als in früheren Tagen
Eine nette Überleitung in der Show: Star-Schauspielerin Helen Mirren führt (vom Band) den nächsten Song „N95“ ein. Lamar ist sich nach seiner mehrere Jahre andauernden Schaffenspause treu geblieben. In seinen Songstorys ist er Kritiker, „Täter“ und Opfer. Musikalisch verlässt er teilweise seinen minimalistischen Stil der ersten Alben und mixt seine Songs mit gefälligen Sounds, Voice-Loops und Laut-Effekten. In den fast 30 Songs des Konzerts verbindet er geschickt das neue Werk, seinem insgesamt fünften Album, mit den Hits seiner Erfolgsalben „good kid, m.A.A.d city (Deluxe)“ von 2012 und „DAMN.“ von 2017.
Allein diese Fülle an Texten zu performen, ist atemberaubend. Denn die Show ist „er“: keine Band, keine Background-Sänger, vereinzelt die Tänzer und ein paar Multimedia-Effekte auf zwei großen Leinwänden. Text, Sound, Text. Es lebe das Wort. Lamar fordert seine Fans, und sie fordern ihn, können nicht genug von ihm bekommen.Der präsentierte Minimalismus in der Show erfordert Mut und benötigt ein bühnenfüllendes Ego. Lamar bringt es offensichtlich mit. Der nur 1,68 Meter große US-Star liefert und er kann sich auf seine Fan-Gemeinde verlassen. Sie ist textsicher, jubelt, dass ihr Hip-Hop-Messias nach Köln gekommen ist – er, der bereits bei allen Musik-Awards der letzten Jahre abgeräumt hat.
Mit diesem Enthusiasmus sieht man dann vielleicht auch trotz der bis zu 100 Euro-Ticketpreise darüber hinweg, dass auch dieses Konzert ein Problem hat: Die Songs können in einer Halle soundtechnisch und musikalisch nie so gut und brillant klingen wie auf den Alben. Ja, das Wort zählt bei dieser Form der Pop-Musik. Doch wirklich verstehen kann man die Texte in Gänze nur, wenn man sie kennt. Nur ein kleines Dilemma. Immer wieder reißen die fetten Beats und choreographierten Sound-Licht-Effekte das Publikum mit: „Kendrick, Kendrick“ schreien sie beglückt. Das Handys klicken ohne Pause.Nach dem Hit „LOVE.“ folgt „Alright“. Ein gläserner Kasten schwebt von der Decke und schließt Lamar und die mit Mundschutzmasken ausgestatteten Tänzerinnen ein. Der Künstler befindet sich in einer Art Quarantäne – Corona lässt grüßen. Er wendet sich musikalisch an seine infizierten Anhänger: „We gon’ be alright.“ Und seine Fans sind seiner Ansicht: Ja, wir werden ok sein.Die große Rap-Show endet mit „Savior“, einem Song, mit dem er seinen Fans noch mal ins Gewissen redet, Fragen stellt („Freut Ihr Euch für mich?“), Ansagen macht zu Gott oder „Helden“ wie ihm („Er ist nicht dein Retter“) und persönlich bittere Wahrheiten ausspricht: „ Ja, Tupac ist tot.“ Ende. Jubel. Lamar.