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Interview mit Kölner DrehbuchautorWie kann man gute deutsche TV-Serien machen?

Lesezeit 4 Minuten
Drehbuchautor Thomas Brückner

Der Kölner Drehbuchautor Thomas Brückner

Während in den USA die Drehbuchautoren für bessere Arbeitsbedingungen und Absicherung streiken, steht für den Kölner Drehbuchautor Thomas Brückner die deutsche TV-Landschaft vor anderen Problemen.

 „Es gibt eine große Verunsicherung in der Fernsehbranche“, findet Thomas Brückner („Küss mich Frosch“). Immer wieder komme es vor, dass Serien, „die auf sechs, sieben Staffeln angelegt sind, nach der zweiten wieder verschwinden“. Das Resultat: „Die Sender haben vieles gestoppt, um mal nachzudenken.“

Das hat Brückner auch getan. „Wir können für rund 100 000 Millionen Muttersprachler in Deutschland, Österreich und der Schweiz produzieren – das ist ein Riesen-Markt.“ Aber: „Wir müssen uns international orientieren – an ‚Game of Thrones‘, an Sitcoms wie ‚Friends‘ oder ‚How I Met Your Mother‘ – Serien, die 150 oder mehr Folgen haben“, findet Brückner. „Denn das ist ‚Programmvermögen‘: Das kann man praktisch rund um die Uhr spielen, es gibt es eine Fanbase, die sich das laufend anguckt.“ Dies ist sein Sieben-Punkte-Plan:

1. Fiktion statt Journalismus

„Es wird viel über Relevanz geredet.“ Die 80er-Serie „Golden Girls“ behandle zeitlose Themen: wie es ist, als ältere Frauen der Einsamkeit zu entgehen, nicht aus dem Leben gekickt zu werden. „In den vergangenen 40 Jahren haben sich diese Probleme nicht verändert. In der gleichen Zeit gab es den Nato-Doppelbeschluss. Politisch damals hochrelevant,ist es heute nur noch für Historiker interessant.“

Daran zeige sich der Unterschied zwischen dem Journalisten und dem Autor: „Während der Journalist versucht, die Gesellschaft auszuleuchten, versucht die Fiktion das Individuum und Möglichkeiten individueller Verhaltensweisen auszuleuchten.“

Das Problem: „An den entscheidenden Stellen in den Sendern sitzen deutlich mehr Menschen mit einem journalistischen Hintergrund, als solche, die vom fiktionalen Schreiben kommen.“

2. Wahrhaftig statt wahr

„Mein Lieblingsbeispiel ist ,Alf'. Er ist nicht wahr, aber die Geschichte ist wahrhaftig. Alf hat die gleichen Probleme wie alle illegalen Immigranten: Er braucht Unterstützung, er muss sich an die neue Kultur gewöhnen – und so entstehen anrührende Beziehungen,“ erklärt Brückner, der unter anderem auch Drehbuch-Seminare an der Uni Köln gibt.

3. Das Publikum zum Weiterschauen bewegen

 „Ein Fernsehfilm oder eine Serie hat nur wenig Zeit, das Publikum zum Dranbleiben zu bewegen. Die Leute sitzen nicht da wie im Kino, wo sie nicht rauskommen.“

Nun gebe es zwei Ansätze für seinen Serienauftakt: „Man kann die Zuschauer wie im Stadion auf eine Tribüne setzen, wo sie aus der Distanz beobachten, wie die Mannschaften einlaufen und was dann geschieht. Besser ist, den Zuschauer dem Protagonisten quasi auf die Schulter zu setzen – und mit ihm zusammen geht er in die Geschichte, in das Abenteuer hinein.“

Brückners Beispiel für einen gelungenen Einstieg ist die Serie „Lost“: „Man sieht als Erstes das Gesicht eines Mannes, er reißt die Augen auf, dann sieht man ihn mit einem Smoking im Dschungel liegen. Schließlich läuft ein Hund durchs Bild. Der Mann steht auf, kommt aus dem Wald an einen Strand und sieht Menschen zwischen Flugzeugtrümmern. Und man will wissen, was hier passiert ist und wie es weitergeht.“

4. Mehr Shakespeare, weniger Brecht

„Angelsächsische Serien drehen sich um ungewöhnliche Individuen mit sehr speziellen Persönlichkeitsmerkmalen. Bei uns sind Protagonisten zu häufig Stellvertreter sozialer Milieus oder gesellschaftlicher Archetypen – wie bei Brecht Mutter Courage oder Mackie Messer.“

5. Eine Figur, die nur reagiert, ist langweilig

 „Figuren müssen Ziele haben und diese auch aktiv zu erreichen versuchen. Sie sollen nie nur in der Defensive sein. Richard Kimble ist auf der Flucht, weil er verdächtigt wird, seine Frau umgebracht zu haben – versucht aber gleichzeitig, zu beweisen, dass er es nicht war.“

6. Focus auf Publikumswirksamkeit

„In den Sendern kursieren Studien, welche Zielgruppe man auf welche Weise erreichen kann. Aber grundsätzlich muss eine gut gemacht Geschichte jede Gruppe erreichen, sodass jeder, der sie guckt, dabei bleibt. Auch wenn mich das Thema eigentlich nicht interessiert, muss ich trotzdem gefangen davon sein.“

7. Optimieren statt nivellieren

 „In den USA hat meistens einer die Verantwortung, bei uns gibt es diese Teamverantwortung, mit eher freundlichen, konfliktscheuen Menschen. Es gibt zu viele Konsensentscheidungen – das schafft zwar eine angenehme Arbeitsatmosphäre, bringt aber inhaltlich häufig nur langweilige Durchschnittsware hervor.“