Interview mit Senta Berger„Ich kann nur öffentlich lesen, wenn mir Texte nahe kommen“

Ein Stammgast bei der Lit.Cologne: Senta Berger
Copyright: Ast/Juergens, lit.Cologne
- Schauspielerin Senta Berger ist eine lit.Cologne-Teilnehmerin der ersten Stunde und seither gewissermaßen Stammgast des Festivals.
- Vor ihrem Auftritt in der Jubiläumsausgabe beantwortete sie die Fragen von Hartmut Wilmes.
Frau Berger, können Sie sich eigentlich noch an Ihren Part auf der ersten lit.Cologne 2001 erinnern?Waren wir nicht in der Philharmonie? Ich erinnere mich an ein großes vollkommen ausverkauftes Haus mit einem sehr gut aufgelegten Publikum. Ich erinnere mich an Elke Heidenreich, die durch den Abend führte. Elke spielte auf ihrem Akkordeon, und wir beide sangen ein Lied, zu dem Elke den Text geschrieben hatte: „An Deutschland denke ich nicht in der Nacht....“ Ich habe, glaube ich, einiges aus der sogenannten Wiener Kaffeehausliteratur gelesen.
Das war nur der Anfang…
Zwei Jahre später, und da erinnere ich mich an die Philharmonie ganz deutlich, habe ich mit Michael Krüger durch den Abend geführt. Und wieder ein paar Jahre später war ich von Elke Heidenreich zu einer Lesung in die Kölner Oper geladen. Das riesige Haus war ausverkauft! Für eine Lesung! Ich las meine eigene Geschichte „ Mein bleicher Vater“.
Waren Sie gleich von dieser spielerischen Festivalform überzeugt?
Wir waren alle nicht davon überzeugt. Das Publikum hat uns überzeugt.
Es gab ja in den Anfangsjahren manchmal die Kritik, das Publikum interessiere sich womöglich mehr für Senta Berger, Iris Berben oder Sylvester Groth als für die Literatur.
Und wenn es so wäre, was wäre denn daran so schlimm?
Alle Prominente bringen mit ihrem Talent, Geschichten zu lesen, dem Publikum Literatur nahe. Aber diese Kritik aus den Anfängen hat sich sowieso völlig aufgelöst.
Sie haben die Gala moderiert, an tote Dichterinnen und Dichter erinnert oder neben Yasmina Reza deren deutschen Text gelesen. Außerdem waren Sie bei Themenabenden etwa über Kitsch an Bord. Welches dieser Formate liegt Ihnen am besten?
Darf ich bei dieser Gelegenheit an Roger Willemsen erinnern! Er war einer der großen Ideengeber für die lit.Cologne. Unerschöpflich im Aufspüren von vergessenen oder fast schon vergessenen Dichtern und Dichterinnen. Meine Abende mit ihm waren die schönsten. Roger war so klug und temperamentvoll. Seine Einführungen zu den einzelnen Werken waren immer unterhaltend, lebendig – man hatte seine Freude daran und lernte auch, ohne es zu merken. Ich kann eigentlich nur dann öffentlich lesen, wenn mir die Texte nahe kommen. Dann kann ich überzeugend lesen, ob das jetzt Joseph Roth ist oder Elena Ferrante.
Ich erinnere mich an einen ungeheuer witzigen Auftritt von 2013, als Sie im Programm über Blamagen die Flatulenznöte des „Simplicissimus“ vorgeführt haben…
Das hat auch mir ungeheuren Spaß gemacht. Am Anfang hieß es noch: Aber kann sie das lesen? Wird sie das lesen wollen, die Senta? Und ob ich wollte! Und deftig wollte ich die Flatulenz beschreiben, spielen. Man spielt ja auch, wenn man liest.
Das könnte Sie auch interessieren:
Können Sie sich die Themen Ihrer Auftritte aussuchen?
Das war durch die Jahre ganz verschieden. Dieses Jahr habe ich mir Alfred Polgar ausgesucht. Im letzten Jahr habe ich gemeinsam mit Eva Menasse Texte von Heimito Doderer zusammengestellt. Vor zwei Jahren wurde mir Elena Ferrante vorgeschlagen, die ich teilweise Italienisch gelesen habe. Aber ich freue mich über Vorschläge, ich freue mich, neue Autoren kennen zu lernen und alte wieder zu entdecken.
Sind Ihnen in Ihren Festivaljahren Kolleginnen oder Kollegen ans Herz gewachsen?
Außer Elke Heidenreich , die ich seit Jahrzehnten schätze und liebe und Roger Willemsen, der ein Freund wurde, habe ich nicht so viel Kontakt zu Kollegen, was ich bedauere. Ich bin leider auch immer nur einen oder zwei Tage in Köln und habe mir schon oft vorgenommen, das zu ändern. Aber nun in diesem Jahr ist es wieder so, dass ich in ein paar Tagen mit dem Drehen eines Kinofilms beginne. Er heißt „Oskar’s Kleid“, ich spiele die Mutter von Florian David Fitz.
Sie haben ja auch viele Hörbücher eingesprochen. Worauf kommt es für Sie beim Vorlesen an?
Auf die Vorstellungskraft. Auf die Bilder, die in mir beim Lesen entstehen und die ich weitergeben möchte.
Haben Sie eine Lieblingsautorin oder einen Lieblingsautor?
Das wechselt wie Stimmungen, wie Musik, die man zu einer bestimmten Stunde oder auch durch Tage hören muss und sie dann einige Zeit nicht mehr hören will. Ich habe i n den letzten Monaten viel von Eduard Keyserling gelesen, ihn für mich wieder entdeckt. Es hat sich sehr gelohnt .
Beim Jubiläumsfestival befassen Sie sich im WDR-Sendesaal mit Alfred Polgar. Was ist das Besondere an diesem Autor?
Polgar schreibt wunderbares Deutsch. Seine Sprache ist ein Vergnügen. Seine Zeitgenossen nannten ihn „Marquis Prosa“. Polgar ist ein Beobachter, der ohne Häme, aber vielleicht mit feiner Ironie, Menschen und Situationen, in die sie geraten, bis auf ein „Wimpernhärchen“ genau beschreibt. Ich lese aus seinem Zyklus „Sie und Er“, also Geschichten von Frauen und Männern, von denen jeder weiß, dass sie nicht zusammenpassen...