Interview mit Sting„Jeder Tag in einer Ehe bedeutet Verhandlungen”

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Seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne: Hier spielt Sting Ende Juni beim Jazz Festival in Montreux .

Seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne: Hier spielt Sting Ende Juni beim Jazz Festival in Montreux .

  • Der britische Musiker Sting tritt am 15. Juli auf dem Bonner Kunstrasen auf.
  • In diesem Gespräch verrät er den Grund für sein immer noch sehr jugendliches Aussehen, das Erfolgsgeheimnis einer langen Ehe und warum jeder neue Song auch sein letzter sein könnte.
  • Außerdem verrät der Musiker seine größte Angst.

Sting, stimmt es, dass Ihnen die Idee zum Album „My Songs“ kam, als Sie Ihr Stück „Brand New Day“ für einen Silvesterauftritt am New Yorker Times Square überarbeiteten?

Ja, das war der Ursprung des Ganzen. Wir hatten soviel Spaß mit „Brand New Day“, dass ich dachte, womöglich wäre es auch lustig, sich die anderen Songs vorzunehmen und zu gucken, ob wir sie anders oder zeitgemäßer machen können als damals. Zweifelsohne klingt meine Stimme heute anders als vor 20, 30 Jahren, sie ist geschmeidiger und reicher strukturiert, hat eine tiefere und facettenreichere Qualität. Auch Aufnahmetechniken haben sich verändert. Ich sage nicht, die neuen Versionen sind besser oder schlechter als die anderen. Ich sage nur, sie sind anders.

War es für Sie eine leichte Übung, zu jenen Songs zurückzukehren, die Sie zum Teil vor 40 Jahren geschrieben haben?

Diese Songs und ich, wir sind uns sehr vertraut. Ich singe diese Lieder schließlich Abend für Abend bei der Arbeit. Und ich singe sie leidenschaftlich gern. Ich bin mir sicher, ich kenne meine Lieder heute besser als früher.

Sind Ihre Songs Ihre Freunde?

Mir sind sie jedenfalls alle sehr sympathisch (lacht). Wenn du einen neuen Song aufnimmst, ist das der Beginn einer Beziehung, das ist aufregend, aber du weißt noch nicht, wie sich diese Beziehung mit der Zeit entwickeln wird. Eine Beziehung, die über viele Jahre besteht, ist etwas ganz anderes. Da ist mehr Wissen, tatsächlich auch mehr Liebe. Und nicht mehr nur ein Hingerissensein.

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Sie würden also die Zuneigung zu Ihrer Musik mit der Liebe zu Ihrer Frau gleichsetzen?

Ich will den Vergleich nicht überstrapazieren, aber es gibt durchaus manche Parallelen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste zwischen meinen Liedern und meiner Frau, würde ich immer Trudie wählen. Ich liebe sie immer noch sehr und bin stolz auf unsere lange Ehe.

Ist Ihre Liebe auch mit den Jahren gewachsen und intensiver geworden?

Kann Liebe wachsen? Ich denke, sie reift und wird dadurch in gewissem Sinne stabiler. Aber auch durch eine schon seit langem funktionierende Beziehung kannst du nicht einfach gedankenlos hindurchnavigieren und sagen „Ist ja alles super“. Jeder Tag in einer Ehe bringt neue Verhandlungen mit sich. Das Fundament einer Ehe sind Kompromisse. Manchmal sind diese Kompromisse schwer zu finden, aber ich finde, die Anstrengung, sich immer wieder in der Mitte zu treffen, ist eine lohnende.

Haben Sie eigentlich ständig neue Songideen?

Das wäre schön. Das mit den Songs ist wie Angeln. Manchmal beißt einer an, manchmal nicht. Wichtig ist nur, dass du immer schön nah am Fluss sitzen bleibst, also offen und bereit bist, wenn dir die Inspiration begegnet. Meist schreibe ich einfach über das, was mir gerade passiert oder was ich sehe. Ich wünschte, es gäbe irgendwo einen Knopf, den ich drücken könnte, damit die Ideen strömen.

Ein paar passende Knöpfe haben Sie in den gut vier Jahrzehnten ohne Zweifel gedrückt.

Ja, aber es gibt keine Garantie. Jedes Mal, wenn ich einen Song fertiggestellt habe, frage ich mich, ob es wohl der letzte war. Denn es könnte ja wirklich sein.

Wirklich?

Ja, natürlich (lacht). So ticke ich aber ohnehin. Ich frage mich auch bei jeder Mahlzeit, ob es wohl die letzte sein könnte. Das Zusammenspiel von Leben und Tod fasziniert mich. Und daraus folgt: Genieße, was du hast. So lange du es hast. Eine gute Philosophie, um durchs Leben zu kommen? Aus meiner Erfahrung ja. Aber ich habe dieses Konzept natürlich nicht erfunden. Das waren die Stoiker aus dem alten Griechenland.

Sie identifizieren sich mit dem Stoizismus?

Schon, ja. Ich habe die „Meditationen“ von Marcus Aurelius gelesen. Er plädiert darin für ein einfaches Leben und für die Akzeptanz der guten wie der schlechten Zeiten. Mein eigenes Leben hatte früher einige extreme Höhen und Tiefen zu bieten – es war bisweilen sehr dramatisch. Heute begnüge ich mich gern mit einem langsamen, sanften Anstieg. Ich bin glücklich und zufrieden, so lange mich das Leben nicht an eine steile Klippe führt.

Aber aufwärts soll es schon noch gehen?

Ja, ich möchte mich weiterentwickeln und meine Arbeit gut machen. Worauf ich verzichten möchte, sind krasse Veränderungen. Mit dem Alter habe ich festgestellt, dass ich eine größere Gelassenheit bekommen habe.

Sind Sie denn selbst ein Stoiker?

Definitiv. In meinem Beruf kannst du leicht süchtig werden nach den Extremen. Vielen bekommt das nicht gut, denn psychologisch ist das wirklich gefährlich. So viele meiner Kollegen haben nicht überlebt, weil sie das Drama in ihrem Leben nicht mehr ausgehalten haben. Ich bevorzuge – innerhalb meiner anspruchsvollen, häufig hektischen Arbeit – ein ruhiges, gemächliches Leben.

Bringt Sie überhaupt etwas aus der Ruhe?

Ich mache gern den Eindruck, ein Fels in der Brandung zu sein. Wenn mich etwas aufregt, neige ich dazu, mir den Ärger nicht anmerken zu lassen. Ich versuche, eine grundsätzliche Entspanntheit auszustrahlen.

Haben Sie vor irgendetwas Angst?

Ja, eindeutig. Ich bin mutig, aber selbst die mutigsten Menschen haben Ängste. Ich zum Beispiel fürchte mich vor Bären und Drachen (lacht). Obwohl ich weder das eine noch das andere bisher gesehen habe.

Und im Ernst?

Vor dem Klimawandel. Der ist gefährlicher als alle Bären zusammen.

Die Jugendlichen gehen jetzt gegen Erderwärmung und Umweltzerstörung auf die Straße.

Die Jugend macht was, aber die Politiker nicht. Die scheinen sich alle mehr darum zu sorgen, an der Macht zu bleiben, als etwas gegen die größte existenzielle Krise zu unternehmen, die wir auf diesem Planeten jemals hatten. Ich kann letztlich nur an die Menschen appellieren, für jene Politiker zu stimmen, die das Problem angehen anstatt bloß dummes Zeug zu reden.

Ende Mai war Europawahl , bei der Sie als Brite überraschenderweise noch mitwählen durften.

Ja. Ich wähle immer, wenn ich dazu aufgerufen bin. Ich habe vor drei Jahren für den Verbleib in der EU gewählt, und ich weiß, nicht, was passiert, aber irgendwie hoffe ich immer noch, dass wir irgendwie in der Gemeinschaft bleiben. Ich sehe einfach keinen Grund, die EU zu verlassen.

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Die Mehrheit war anderer Ansicht.

Gut möglich, dass wir inzwischen in der Mehrheit sind. Ich finde, es muss ein zweites Referendum geben, jetzt, wo die Informationen und die Nachteile offen auf dem Tisch liegen. Ich denke, jetzt würden die Menschen klüger abstimmen.

Was sind Sie? Brite? Europäer? Weltbürger?

Ich bin ein Brite, der für Europa einsteht.

Sie werden äußerlich nicht älter. Wie machen Sie das?

Ich bin sehr fit, fühle mich ausgesprochen lebendig und ich bin neugierig auf das, was das Leben bietet. Ich bin glücklich. Ich bin gerne 67 Jahre alt, das ist ein gutes Alter. Du hast die Weisheit, aber immer noch auch die Wildheit.

Sie haben vor drei Jahren das erste Konzert im Pariser Bataclan nach der Wiedereröffnung gespielt. Und auch Ihre kommende Tournee beginnen Sie in Paris. Hat die Stadt eine besondere Bedeutung für Sie?

Paris hat mich immer sehr stark stimuliert. Ich liebe diese Stadt, sie ist einfach unfassbar schön. Außerdem kenne ich keinen romantischeren Ort als Paris.

Nach dem Brand in Notre Dame haben viele Milliardäre für den Wiederaufbau gespendet.

Ich war keiner von ihnen.

Und dann hieß es „Für die Kirche ist Geld da, aber für die Menschen nicht“.

Ja, da ist leider etwas Wahres dran. Und um das noch mal klarzustellen: Ich bin kein Milliardär (lacht).

Zur Person

Sting, eigentlich Gordon Matthew Thomas Sumner, wurde 1951 in England geboren. Der Musiker und Schauspieler, der 1977 mit The Police seine Weltkarriere begründete und seit Mitte der Achtziger solo unterwegs ist, hat jetzt mit „My Songs“ seine größten Hits („Fields Of Gold“, „Brand New Day“, „So Lonely“, „Walking On The Moon“) in neuer, zeitgemäßer Interpretation veröffentlicht. Insgesamt gewann er 18 Grammys. Er ist seit 1982 mit Trudie Styler liiert und hat sechs erwachsene Kinder. Am 15. Juli gastiert er auf dem Kunstrasen in Bonn. Das Konzert ist ausverkauft.

Kann man Ihre Sommertournee als „Greatest Hits“-Tour bezeichnen?

Warum nicht? Ich kann mich doch glücklich schätzen, überhaupt so viele Hits zu haben. Deutlich mehr als einen. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Viele Musiker haben ja nur einen einzigen Hit. Oder sogar gar keinen.

Sie arbeiten unermüdlich, treten auch weiterhin in Ihrem Musical „The Last Ship“ auf, veröffentlichen zurzeit fast jährlich ein neues Album und touren um die Welt. Wie halten Sie die Balance zwischen Arbeit und Freizeit?

Wissen Sie, jemand, der in einem Kohlebergwerk arbeitet, würde sich meine Tätigkeit anschauen und sagen: „Das ist doch keine Arbeit! Er singt ja nur und spielt ein bisschen Gitarre.“ Das trifft es nicht ganz, es ist schon harte Arbeit, aber es ist keine Arbeit, die meine Seele zerstört, sondern meine Seele nährt.

Also Augen auf bei der Berufswahl.

Ich habe tatsächlich das Glück, einen Job gefunden zu haben, den ich liebe und der meinem Leben einen Sinn gibt. Die meisten Menschen arbeiten nur fürs Geld und finden das, was sie tun, langweilig. Ich bin mir meines Privilegs bewusst. Und unendlich dankbar, dass ich all diese Möglichkeiten habe. Mein Leben ist wirklich ein großes Glück.

Das Gespräch führte Steffen Rüth  

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