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Diskussion in den sozialen MedienJuli Zeh und Simon Ufer haben einen gemeinsamen Roman geschrieben

Lesezeit 5 Minuten
Julie Zeh Simon Urban "Zwischen Welten

Juli Zeh und Simon Urban haben gemeinsam den Roman „Zwischen Welten“ geschrieben. 

Ihre Romane „Unterleuten“ und „Über Menschen“ waren große Erfolge. Daran versucht Juli Zeh mit „Zwischen Welten“ anzuknüpfen. Doch für das gemeinsam mit Simon Ufer verfasste Buch gab es schon Kritik. 

Vielleicht kann man ein Jahr wie 2022 mit seinen ganzen Verwerfungen und Unwägbarkeiten, mit den Krisen und emotionalen Tiefschlägen literarisch nur in den Griff bekommen, wenn man, wie Juli Zeh und Simon Urban das tun, das Jahr quasi in Echtzeit protokolliert und den fiktiven WhatsApp- und E-Mail-Verlauf zwischen zwei Menschen vom 5. Januar bis 4. Oktober dokumentiert.

Literarische Feinkost ist das wirklich nicht, das passt vielleicht auch nicht in die Zeit. Aber meist hoch spannend und von einer großen Aktualität getrieben, ein Stück Debattenkultur, gespeist aus dem Elfenbeinturm der Hamburger Wochenzeitung „Der Bote“, wo Stefan Jordan (46), ledig und Single, Kulturchef und Stellvertretender Chefredakteur ist, und aus dem prallen Leben in einem Agrarbetrieb im Brandenburgischen, den Theresa Kallis (43), verheiratet, zwei Kinder, leitet. Beide haben vor 20 Jahren in Münster in einer WG gelebt, waren aber kein Paar. Zufällig treffen sie sich in Hamburg wieder, was mit einem Debakel endet.

Topjournalist trifft Realofrau

Größer könnten die Differenzen nicht sein: Hier Topjournalist, dort Milchbäuerin, hier Waschlappen, dort toughe Realofrau und so weiter. Aber, weil man doch irgendwie Gefallen aneinander findet, entspinnt sich ein Dialog. Der wird alternierend auf WhatsApp recht knapp und rustikal als Schlagabtausch geführt und per E-Mail ausführlicher, weniger aggressiv.

Die in Bonn geborene und in Brandenburg lebende Bestsellerautorin und Richterin Juli Zeh (48, „Unter Leuten“, „Über Menschen“) und der in Hagen geborene Schriftsteller, Werbetexter und Journalist Simon Urban (48, „Plan D“) – sie kennen sich vom Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Für den Roman „Zwischen Welten“ haben sie sich eine gewaltige Agenda vorgenommen: Große Themen wie Journalismus mit Haltung und Cancel Culture, Sprachkolonialismus und struktureller Rassismus, MeToo, Black Lives Matter, Fridays For Future, kulturelle Aneignung, werden entweder leitartikelhaft abgearbeitet, als Name-Dropping gestreut oder erbittert diskutiert.

Steife Entrüstungsbrise

Der erwartbare Shitstorm, der in den sozialen Medien gerade auf Zeh und Simon niederprasselt, zeigt in erster Linie, wie nervös und aggressiv die jeweilige Community aufgestellt ist – und wie weit weg vom vergleichsweise kultivierten Schlagabtausch zwischen Theresa und Stefan. Nach einem Interview der Autoren in der „Neuen Zürcher Zeitung“ etwa zum Thema „Cancel Culture“ kommt die steife Entrüstungsbrise vor allem von links. So viel steht fest: Zeh und Simon haben den Nerv der Zeit getroffen. Viele Nerven.

Dabei sitzt jeder der beiden Protagonisten in seiner Blase fest. Stefan bewegt in erster Linie eine Klima-Beilage, die „Der Bote“ plant und an der junge Aktivisten – „Es gibt keinen Klimawandel. Es gibt nur eine Klimakatastrophe“ – an führender Stelle mitwirken. Er predigt von der Kanzel des hehren Journalismus herab über „brutal neutralen Faktenjournalismus“ oder „das Ende von dem, was wie unter Journalismus verstehen“ und hat sich im Biotop von „Der Bote“ komfortabel eingerichtet.

Es ist ziemlich leicht, sich als toller Klimaschützer zu fühlen, während man mit dem Elektroroller durch Hamburg saust.
Theresa über Stefan

Theresa, die den Hof, der vor der Wende eine LPG war, von ihrem Vater übernommen hat, sieht sich einer durchindustrialisierten Landwirtschaft gegenüber. Sie versucht ihren Betrieb „Kuh & Co.“ durch die Krise zu steuern, dabei bei dem zu bleiben, wofür sie einmal brannte: die Arbeit mit Tieren, ihren Milchkühen. „Ich stecke doch nicht zwanzig Jahre Arbeit in einen Biohof, um danach mit Monokultur die Böden kaputtzumachen“, sagt sie und muss sich anhören, dass Milchwirtschaft unrentabel ist.

Der Frust sitzt tief, auch bei den Bauern, die sich den Marktgesetzen unterwerfen. Stefans Hinweis über die desaströse CO2-Bilanz der Kühe, macht die Sache für Theresa nicht besser: „Es ist ziemlich leicht, sich als toller Klimaschützer zu fühlen, während man mit dem Elektroroller durch Hamburg saust“, schreibt sie.

Radikalisierung und Eskalation

Am 24. Januar unterbricht Putins Überfall auf die Ukraine den Dialog von Stefan und Theresa, sorgt für Fassungslosigkeit und Entsetzen. Das Thema verschwindet aber ziemlich bald wieder aus der Prioritätenliste, auf der sich alles mit wachsender Intensität um Radikalisierung und Eskalation dreht: Während Theresa in ihrer Verzweiflung die Agrar-Aktivistin in sich entdeckt und auf eine Katastrophe zusteuert, bootet Stefan erst die Klima-Aktivisten aus der Redaktion aus und wird dann zum Protagonisten in einer wilden Führungskrise, die die Zeitung erschüttert.

En passant geht es auch um die Beziehung zwischen Theresa und Stefan, die sich im Laufe des Dialogs eher beiläufig über die Distanz Hamburg-Schütte recht interessant entwickelt: Auf und Abs, wachsende Zuneigung, dann eine zweite desaströse Live-Begegnung an der Außenalster, erneute Annäherung, gemeinsame Pläne. 

Fürchterlich blasse Protagonisten

Was auf der Strecke bleibt: Die Figuren erscheinen jenseits ihrer Statements, die wie ein Destillat aus dem wöchentlichen TV-Talk-Angebot anmuten, fürchterlich blass. Man bekommt kein Bild von Theresa und Stefan, die hilflos, zum Teil panisch und aggressiv wirken. Sie scheinen gefangen zu sein im Strom von (fremden) Meinungen, Nachrichten und Fake News. Für Individuen, originelle und originäre Figuren ist in dieser Zeit kein Platz, lautet die Botschaft. Eine steile These des ungleichen Autorenduos, die nicht überzeugt.

Da wäre mehr drin gewesen. In den Romanen „Unterleuten“ und „Über Menschen“ zählte noch gerade die differenzierte Zeichnung der Protagonisten und der Milieus zu Juli Zehs Stärken.

Marketing ist alles – und so hat Juli Zeh auf dem Buchcover von „Zwischen Welten“ nicht nur das vom Kino bekannte „Top-Billing“, ihr Name ist gleich doppelt so groß gedruckt (Luchterhand, 444 S., 24 Euro).