Kölner PhilharmonieFurioser Auftritt von Konstantin Wecker und seiner Band

Seine Liedtexte liest Konstantin Wecker nach wie vor ab - vom Blatt oder sogar vom Teleprompter.
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Köln – "Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen - dann steh auf und misch dich ein: Sage nein!" Vom ersten Moment an macht Konstantin Wecker in der bis unters Dach ausverkauften Philharmonie klar, wo für ihn im Moment der gesellschaftspolitische Hammer hängt. "Ursprünglich hatte ich das Lied nicht so prominent im Programm", aber nach der Bundestagswahl habe er umentschieden. Und die Tonart gewechselt. "Es war in d-Moll, aber das kann man als demokratischer Musiker durch den Dreiklang a-f-d nicht mehr spielen."
Persönliche Rückschau
Das klingt natürlich jetzt fast nach Agit-Prop, wird aber von Wecker mit dem gehörigen Schalk im Nacken verkauft. Überhaupt neigt er an diesem Abend nicht zum Predigen. Politische Songs werden durch die dreistündige (!) Show gestreut, sind aber als Schlaglichter platziert - an diesem Abend, der inhaltlich doch mehr eine persönliche, ja eine private Rückschau ist.
Da singt er über die Eltern, vor allem über den Vater, der ein wunderbarer, aber erfolgloser Opernsänger war. Und besingt die eigenen Kinder. Wecker ist im Frühjahr 70 geworden, ist seit bald fünf Jahrzehnten im Geschäft, muss niemandem mehr etwas beweisen. Aber ruht sich dabei auch nicht darauf aus, seine "Greatest Hits" runterzunudeln, ja er verzichtet sogar auf Ultra-Populäres wie "Genug ist nicht genug".
Für sein aktuelles Album "Poesie und Widerstand" hat er sich alte Lieder noch einmal vorgenommen, sie bilden den Schwerpunkt auf der Bühne. Und werden von ihm und seiner fünfköpfigen Band beeindruckend umgesetzt. Jeder spielt mehrere Instrumente - da greifen Cellistin Fanny Kammerlander und Violinist Marcus Wall zum E-Bass, Gitarrist Severin Trobacher zur Bratsche. Drummer Jens Fischer zupft die Akustikgitarre, und der musikalische Leiter Jo Barnikel - eigentlich zwischen Keyboards und Flügel pendelnd - landet irgendwann hinter den Drums. So entstehen immer wieder neue Klangfarben, und selbst das ans Kunstlied grenzende "Der alte Kaiser" wird mit allen Brüchen, allem Raffinement vorgetragen. Es ist ein Genuss, diesen Profis bei der Arbeit zuzusehen - weil sie es keinen Moment wie Arbeit aussehen lassen.
Und das gilt auch für den Protagonisten. Braungebrannt, gut in Form, mit federndem Schritt betritt er Punkt 20 Uhr die Bühne - und hinterlässt beim letzten Applaus um 23.25 Uhr den Eindruck, als könnte es, wenn es nach ihm ginge, noch ganz gut weitergehen. Geradezu beseelt.
Natürlich ebenfalls ein bisschen von sich selbst. Aber das weiß Wecker auch, das war schon immer so. So erzählt er, wie er in den 70ern "im bodenlangen Nerzmantel durch München" gelaufen sei, oder "im sinnlosen Sportwagen zum Politevent" gefahren, das sei ein "saudummes Rollenspiel als Möchtegern-Macho" gewesen. Mit dieser Einsicht kann er natürlich dann auch heute eine Brille von Emporio Armani tragen und gleichzeitig in einem Text über Männer und Markenartikel frotzeln.
Und er erzählt auch, wie er in den 70ern für sein Pathos verpönt war. Doch wenn man ihn im Zugabenblock mehrfach italienisch singen hört (zum Beispiel Lucio Dallas "Caruso"), erkennt man, wo sein Schmelz, den er so gut vom Schmalz trennen kann, seine Wurzeln hat. Und man denkt sich: Konstantin, mach doch mal 'ne ganze Platte so.