Ein Rückblick auf neue Namen und weitere Dramen für Kölns Kulturlandschaft - und darüber hinaus.
Das war die Kultur 2023Die Aufsteiger und Absteiger in Köln und andernorts

Die neue Direktorin für das Museum für Ostasiatische Kunst Shao-Lan Hertel hatte keinen leichten Start.
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Ach, die Bühnen der Stadt! Da scheint zunächst doch endlich alles wie am Schnürchen zu laufen: Mit Kay Voges wird ein neuer Intendant fürs Schauspiel gewonnen, über den (noch) niemand meckert, Rafael Sanchez übernimmt den Job, bis der Voges 2025/26 antreten kann — und darf sich zusammen mit Pınar Karabulut auf die Leitung des Schauspielhauses Zürich vorbereiten.

Kölns künftiger Schauspielintendant Kay Voges.
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Noch-Intendant Stefan Bachmann kann sich auf der persönlichen Zielgeraden über den Faust für seine Inszenierung „Johan Holtrop“ freuen, und das von ihm geschaffene Depot in Mülheim bleibt nicht nur als Spielort erhalten, sondern wird Heimat der zukünftigen Tanzsparte der Bühnen und der freien Szene.
Auch musikalisch gerät nichts aus dem Takt: Der künftige Generalmusikdirektor Andrés Orozco-Estrada entscheidet sich im zweiten Anlauf für das Dirigentenpult am Offenbachplatz ab der Spielzeit 2025/26, und Opern-Chef Hein Mulders verantwortet ein publikumsaffines Programm. Läuft doch – dachte man.

Andrés Orozco-Estrada übernimmt ab 2025 als Kölner Generalmusikdirektor und Gürzenich Kapellmeister die musikalische Verantwortung für Gürzenich-Orchester und Oper.
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Doch dann platzt entsprechend theatralisch die Bombe: Die Schlüsselübergabe der sanierten Häuser verschiebt sich vom März auf Ende Juni 2024, das Datum der eigentlich für September geplanten Eröffnung ist ab sofort in den Sternen oder den Tiefen einer Kristallkugel zu finden – auch wenn anzunehmen ist, dass sich die seriösen Vertreterinnen der Zunft der Wahrsagerinnen eine Aussage diesbezüglich verweigern. Vielleicht droht ja doch noch eine Wiederaufnahme von „Warten auf Godot“?
Stolperfallen der Bildenden Kunst
Kein Trost ist, dass auch für die Bildende Kunst immer wieder Steine den Weg zum Genuss blockieren. Kurz nachdem mit Shao-Lan Hertel eine engagierte neue Direktorin für das Museum für Ostasiatische Kunst gefunden wird, muss diese zur nächtlichen Stunde ins Haus, weil eingebrochen und wertvolle Stücke der Sammlung gestohlen wurden – im dritten Anlauf, wohlgemerkt ...
Marcus Dekiert kann nach zehn erfolgreichen Jahren am Wallraf-Richartz-Museum nun endlich die Grundsteinlegung des lange geschobenen, noch länger angekündigten Erweiterungsbaus ins Auge fassen.
Während in Düsseldorf und Bonn die Museen immer wieder auch auf populäre Themen setzen, bleibt Yilmaz Dziewior seiner Linie treu und zeigt im Museum Ludwig mit den Retrospektiven von Ursula und Füsun Onur spannende und geachtete Ausstellungen.
Doch man würde dem Haus – und den Kölnerinnen und Kölnern – auch wieder Blockbuster-Schauen wünschen, bei denen Andrang so groß ist, dass sich lange Schlangen bilden oder Tickets nur für bestimmte Zeitfenster erworben werden können.
Und inmitten dieser Gemengelage: Kulturdezernent Stefan Charles, von dem an nach zwei Jahren Amtszeit manchmal das Gefühl hat, dass er es zu vielen recht machen möchte.
Zumindest im Kölnischen Kunstverein verlief der Wechsel von Nikola Dietrich zu Valérie Knoll geräuschlos und ohne Qualitätsverlust.

Valérie Knoll leitet den Kölnischen Kunstverein.
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Literarisch ganz vorne platzierte sich Kathrin Röggla: mit ihrem großartigen NSU-Roman „Laufendes Verfahren“ und der Tatsache, dass mit der Vergabe des Heinrich-Böll-Preises an sie die Auszeichnung in der Stadt blieb.
Ein anderer Autor hatte guten Grund zu fluchen: Ewigkeiten war die Verfilmung von „Der Schwarm“ in der Mache, vom verwässerten Resultat waren dann weder Frank Schätzing noch die Kritikerinnen und Kritiker (auch in dieser Zeitung) alles andere als angetan.
Hätte man das Ganze vielleicht Edward Berger überlassen sollen? Zumindest führte sein „Im Westen nichts Neues“ das deutsche Selbstbewusstsein in neue Höhen: Neun Oscarnominierungen, darunter die erste für ein deutschsprachiges Werk in der Königsklasse „Bester Film“. Vier Trophäen wurden es am Ende — ein toller Erfolg.
Sandra Hüller auf der Überholspur
Auch eine andere Deutsche machte ab Mitte des Jahres Furore: Sandra Hüller, hochgelobt und vielfach ausgezeichnet für ihre Rollen in „Anatomie eines Falls“, „The Zone of Interest“ und „Sisi & Ich“. Wie schön, dass sie einen Draht zu Köln hat und seit vielen Jahren immer wieder bei der lit.Cologne auftritt — so auch im kommenden März, wenn sie Texte von Wolfgang Herrndorf liest. Man darf gespannt sein, wie sich ihre Filmkarriere weiterentwickelt — nächste Station Hollywood?

Sandra Hüller ist die Überfliegerin in Sachen Schauspiel.
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Dort wird zumindest wieder gedreht, nach dem sich Gewerkschaften und Studios nach langem Streik auch bessere Bedingungen für die Beschäftigten und mehr Klärung rund um Künstliche Intelligenz geeinigt haben. Natürlich wird man niemals auf Schauspielgewichte à la Hüller verzichten können. Aber wenn man sich die Serie „Der Schwarm“ anguckt, liegt die Frage nahe, ob hier Chat-GPT die virtuellen Finger im Spiel hatte.
Die Frage des Antisemitismus
Nicht erst seit dem Angriff der Hamas ist das andere große Thema in der Kultur die Position, die Israel gegenüber eingenommen wird und wo die Grenze zwischen Antisemitismus und Kritik an der Politik der israelischen Regierung verläuft. Eine offene Positionierung in Köln gab es im Vorfeld des Roger Waters-Konzertes (was kaum einen Fan davon abhielt, in die Lanxess-Arena zu gehen). Aber ansonsten hielt man sich eher bedeckt. Es fiel aber auch niemand unangenehm als BDS-Befürworter, als Israel-Boykotteur auf. Natürlich, Kassel und die documenta-Verwerfungen sind weit.
Doch einmal mehr zeigt sich, dass man sich in dieser Stadt mehr mit sich selbst beschäftigt – und auch beschäftigen muss. Denn ansonsten wird Kay Voges noch in Mülheim inszenieren oder Andrés Orozco-Estrada im Staatenhaus den Taktstock schwingen müssen.