Museum-Ludwig-Chef„Wenn Kunstwerke nur illustrieren, wird es langweilig“

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Yilmaz Dziewior, Direktor im Museum Ludwig

  • Seit Anfang 2015 leitet Yilmaz Dziewior (55) das Museum Ludwig und soll dies mit neuem Vertrag bis 2032 tun.
  • Über Ziele und Herausforderungen seiner Arbeit sprach der Direktor mit Hartmut Wilmes.

Köln – Sie sollen ja noch zwölf Jahre die Geschicke des Museums lenken. Wird man es denn 2032 noch wiedererkennen? Man wird das Haus auch 2032 selbstverständlich mit der Pop Art, der russischen Avantgarde, der Sammlung Haubrich, mit Picasso, der Gegenwartskunst sowie unserer großen Fotografiesammlung verbinden. Das ist und bleibt die DNA der Institution. Aber ich hoffe, dass man schon früher merkt, dass die Geschichten, die wir hier erzählen, differenzierter sind, als wir gemeinhin annehmen.

Ein Beispiel?

Bietet aktuell die Schau „Mapping the Collection“. Wir treffen da unsere alten Bekannten wie Robert Indiana und Claes Oldenburg, aber man sieht eben auch, was es parallel alles gab. Ich selbst dachte bei dem „Fire Plug Souvenir“ lange: Aha, ein typischer Oldenburg, der das Harte weich macht und die Dimensionen verändert. Aber jetzt lernt man, dass dieser rote Hydrant auch im Kontext der Black Power Bewegung zu sehen ist. Solche Zusammenhänge soll verstärkt auch unsere ständige Sammlung aufzeigen.

Man soll etwas lernen?

Ja, aber Kunst zu betrachten, ist nicht nur lernen, sondern bringt auch Freude, weckt neue Sensibilität. Wenn Kunstwerke nur dazu dienen, etwas zu illustrieren, wird’s langweilig.

„Mapping the Collection“ ist eine Selbstbefragung der Sammlung, wie sie auch schon die Jubiläumsschau „Wir nennen es Ludwig“ unternahm. Goutiert das Publikum solche Formate?

Ja, durchaus, und ich werde nicht müde zu sagen: Unterschätzen Sie Ihr Publikum nicht. Wenn wir nur die Schönheit der Bilder zeigen wollen, bräuchten wir keine Kunsthistoriker zu beschäftigen.

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Intendanten wie Museumschefs schreiben sich gern die Erschließung neuer Besucherschichten auf die Fahne… Es ist ein wichtiges Ziel, dass unser Publikum so vielfältig ist wie die Gesellschaft draußen. Das ist schon besser geworden, aber das Bildungsbürgertum überwiegt doch noch deutlich.

Was ist zu tun?

Möglichst früh mit Schulen zusammenarbeiten. Zur Ausstellung der türkischen Künstlerin Nil Yalter konnten wir, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, eine junge Wissenschaftlerin für zwei Jahre anstellen, die in die Bezirke nach Kalk und Mülheim gegangen ist. Die Kinder kamen dann ins Museum, bewegten sich hier ganz selbstverständlich und haben die Eltern mitgebracht. Das war ein Schub, aber um den zu verstetigen, braucht man einen langen Atem.

Wie wichtig sind Ihnen Besucherzahlen?

Mir sind Besucherinnen und Besucher wichtig. Und sicher möchten wir so viele wie möglich haben. Aber eben nicht auf Kosten einer Absenkung des Niveaus, die dem Ruf der Institution schaden würde.

Das Museum Ludwig ist ein großer Tanker. Bedeutet das nicht enormen Druck für den „Kapitän“?

Ja, den gibt es, aber ich habe mir eine gewisse Unbekümmertheit bewahrt. Dennoch denke ich manchmal: Wow, da ist ganz schön viel zu erledigen. Das beginnt bei den Sponsorengeldern, die wir akquirieren müssen, bei Verwaltungsaufgaben und endet bei selbstverschuldetem Druck. Ich müsste ja keine Andy-Warhol-Ausstellung machen, die 1,8 Millionen Euro kostet. Aber da zeichnet sich schon hohes Besucherinteresse ab, und die Zusammenarbeit mit der Tate in London spiegelt auch das Standing unseres Museums.

Beginnt die Ausstellung trotz Corona am 10. Oktober?

Sie kommt auf jeden Fall in diesem Jahr und im vorgesehenen Umfang, der genaue Start wird bald bekannt gegeben.

Bekommen Sie neben den Stücken aus London auch Leihgaben aus den Corona-geplagten USA?

Da sind frühe Arbeiten zugesagt, und mit den Transportunternehmen stehen wir in positivem Kontakt.

Wie hart trifft Corona ihr Haus?

Noch fehlen die Touristen und die Schulklassen, und selbstverständlich bleiben wir aufgrund des Lockdowns deutlich hinter den angepeilten Zahlen zurück.

Sie müssen sich um diese Zahlen kümmern, Mitarbeiter führen, Kontaktpflege betreiben. Sehen Sie sich eher als Manager oder als Kurator?

Das Schöne am Museum Ludwig ist, dass man hier als Direktor beides sein kann. Wobei 80 Prozent schon Organisationsarbeit sind. In den letzten Jahren hatte ich viele Treffen mit Politikern, Sponsoren, Sammlern, aber zu wenige mit Künstlerinnen und Künstlern. So habe ich mir für 2020 mindestens einen Atelierbesuch pro Monat vorgenommen. Das ging im Januar, Februar gut, danach wurde es wegen Corona schwierig – und digital ist es nur der halbe Spaß.

Worin sehen Sie denn Ihre Hauptaufgabe?

Schon darin, eine Richtung vorzugeben, wobei das Thema Diversität auch im Kuratorenteam und in der Vermittlungs- und Presseabteilung auf fruchtbarsten Boden fällt. Aber nicht nur unsere Sammlung soll diverser werden, sondern auch unser Team: In dem gibt es momentan – zumindest in den Büros – etwa wenige Arbeiterkinder.

Macht Ihnen die lange Laufzeit Ihres Vertrags nicht Angst, dass irgendwann die spitze Bemerkung kommt: Mensch, dem alten Knacker fällt auch nichts Neues mehr ein?

Nein, da würde mich die jungen Mitglieder im Team rechtzeitig anstupsen. Und in den fünfeinhalb Jahren, die ich jetzt hier bin, haben wir einiges verändert, aber ich hatte etwa die Zeit unterschätzt, die wir für unseren Bestandskatalog gebraucht haben. Und wenn man über das Ludwig irgendwann sagen soll: Hier seht ihr nicht nur die gewohnte Pop Art, sondern auch zum Beispiel die lateinamerikanische Pop Art, dann wird es nicht einfach, das in zehn Jahren zu schaffen.

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